Das aktuelle BGH-Urteil stärkt den Geheimnisschutz. Die Geheimnisschutz-Reform verlangt von Geheimnisinhabern darüber hinaus angemessene Schutzmaßnahmen.
Am 9. Juni 2018 ist die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (Richtlinie) abgelaufen. Der deutsche Gesetzgeber ist im Verzug, aber auf dem Weg: Der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) ist nach erster Beratung im Bundestag in die Ausschüsse verwiesen worden. Er soll im Dezember im Bundestag abschließend beraten werden und das GeschGehG noch dieses Jahr in Kraft treten.
Dieses neue sogenannte „Stammgesetz″ ersetzt den bisher im UWG verankerten Geheimnisschutz und vollzieht die von der Richtlinie geforderten Änderungen im deutschen Recht. Besonders relevant für Geheimnisinhaber ist die neue Definition des Geschäftsgeheimnisses: Ein Geschäftsgeheimnis liegt überhaupt nur dann vor, wenn der Inhaber den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen hat (§ 2 Nr. 1 GeschGehG).
In seinem kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist ergangenen Urteil hat der BGH sich zum Geheimnisschutz nach altem Recht geäußert (Urteil v. 22. März 2018 – I ZR 118/16 – Hohlfasermembranspinnanlage II). Bedauerlich ist, dass der BGH das nur knapp drei Monate später – auf Grund richtlinienkonformer Auslegung – zu beachtende Richtlinienrecht nicht einmal erwähnt. Die Ausführungen lassen sich aber zu großen Teilen auf das neue Recht übertragen. Wichtig ist, dass der Geheimnisschutz aufgrund der Vorgaben der Richtlinie schon seit Juni 2018 angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen voraussetzt, die der Kläger im Prozess darlegen und beweisen muss. Dies wird auch das Berufungsgericht zu beachten haben, an den der BGH den Rechtsstreit zurückverwiesen hat.
Hintergrund des Rechtsstreits: Rechtswidrige Geheimnisverwertung
Die Klägerin vertreibt Dialysefilter. Die Membran dieser Filter enthält Hohlfasern, die die Klägerin bereits seit Jahrzehnten mit Hilfe spezieller und stets fortentwickelter Spinnanlagen aus einer Polymerlösung herstellt. Die Beklagte vertreibt Spinnanlagen. Sie beschäftigt den (ebenfalls beklagten) Chemiker, der zuvor Produktionsleiter für die Membranherstellung bei der Klägerin war. Während seiner Beschäftigung bei der Klägerin hatte dieser Chemiker Zugang zu technischen Zeichnungen und Datensätzen zu Spinnanlagen der Klägerin. Er war der Klägerin sowohl arbeitsvertraglich zur Geheimhaltung als auch in seinem Aufhebungsvertrag zum Stillschweigen über Geschäftsgeheimnisse verpflichtet.
Die Klägerin verlangt Unterlassung der Herstellung, des Anbietens und des Inverkehrbringens bestimmter Spinnanlagen der Beklagten. Diese seien nach Auffassung der Klägerin unter Verwendung von Konstruktionszeichnungen, Plänen und weiteren Informationen der Klägerin unzulässig nachgebaut worden. Die Konstruktionspläne habe ihr ehemaliger Produktionsleiter gesetzes- und vertragswidrig mitgenommen.
BGH: Geschäftsgeheimnisse müssen nicht im Klageantrag offenbart werden
Nach Auffassung des BGH ist der Unterlassungsantrag der Klägerin hinreichend bestimmt, obwohl das Geheimnis dort nicht im Detail beschrieben ist. Das Gericht führt zutreffend aus, dass der Bestimmtheitsgrundsatz den Kläger nicht dazu zwingen darf, die Geschäftsgeheimnisse im Klageantrag zu offenbaren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Kläger (wie hier) gegen eine konkrete Verletzungsform richtet. Zutreffend berücksichtigt der BGH damit zugunsten des Geheimnisinhabers die Gefahr, dass das Geschäftsgeheimnis durch die Antragstellung offenkundig wird und damit der Geheimnisschutz spätestens bei der Durchsetzung im Prozess verloren geht.
Dieser Schutzgesichtspunkt gilt auch unter dem GeschGehG fort. Das GeschGehG enthält zudem zusätzliche Regelungen zum Geheimnisschutz während des Prozesses: Auf Antrag einer Partei kann das Gericht streitgegenständliche Informationen als geheimhaltungsbedürftig einordnen, die sodann einer besonderen (mit Ordnungsmitteln bewehrten) Vertraulichkeitsverpflichtung unterliegen (§§ 16, 17 GeschGehG). Der Zugang zu den gewechselten Dokumenten und zur mündlichen Verhandlung kann auf die Vertreter der Parteien und (mindestens) eine Person pro Partei beschränkt werden (§ 19 GeschGehG). Vor Akteneinsicht durch Dritte sind als geheim eingestufte Informationen zu schwärzen.
Es bleibt allerdings bei der Herausforderung, das Geschäftsgeheimnis und dessen rechtswidrige Nutzung darzulegen und zu beweisen.
Klarstellung zur Offenkundigkeit
Der BGH sieht das Geschäftsgeheimnis der Klägerin als dargelegt und bewiesen an. Er greift dabei auf die zum Urteilszeitpunkt geltende Definition zu § 17 UWG zurück, nach der – anders als heute – ein bekundeter Geheimhaltungswille noch ausreichte (der allerdings auch von der Beklagten nicht bestritten wurde).
Als Geschäftsgeheimnis schutzfähig ist nach altem wie neuem Recht die in einem Konstruktionsplan verkörperte Anordnung von Düsen und Düsenköpfen. Dreh- und Angelpunkt war die vom Berufungsgericht rechtsfehlerhaft angenommene Offenkundigkeit, also allgemeine Bekanntheit des Geheimnisses. Der BGH stellt zutreffend klar, dass weder die Kenntnis der mit der Produktion befassten Beschäftigten noch die Zuordnung der Tatsache zum Stand der Technik eine Offenkundigkeit begründen kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Tatsache nur mit großem Zeit- oder Kostenaufwand ausfindig, zugänglich und damit für einen Unternehmer nutzbar gemacht werden kann. Vor dem Hintergrund, dass die durch Kenntnis der Konstruktionspläne eingesparte Entwicklungszeit sich ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens auf ca. 1.000 Stunden belief, konnte daran kein Zweifel bestehen.
Auch dieser Gesichtspunkt gilt unter dem GeschGehG fort: Danach liegt ein Geschäftsgeheimnis vor bei Informationen, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich sind und daher von wirtschaftlichem Wert sind, § 2 Nr. 1a) GeschGehG.
Neue Anforderung an Geschäftsgeheimnis: Ergreifen Angemessener Schutzmaßnahmen
Der Schutz als Geschäftsgeheimnis setzt nach neuem Recht weitergehend das Ergreifen von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch den rechtmäßigen Inhaber voraus, § 2 Nr. 1b) GeschGehG. Ein bloß bekundeter oder aus den Umständen ersichtlicher Geheimhaltungswille reicht nicht mehr aus. Dieses, auf der Richtlinie beruhende und im GeschGehG verankerte, zusätzliche Erfordernis wird man bereits jetzt bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe berücksichtigen müssen. Der BGH hat sich hierzu nicht geäußert.
Die zu ergreifenden Maßnahmen sind nach der Gesetzesbegründung abhängig vom Wert des Geschäftsgeheimnisses, dessen Entwicklungskosten, der Bedeutung für das Unternehmen, den üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen im Unternehmen, der Art der Kennzeichnung der Informationen sowie der Gesamtumstände des Einzelfalles. Diese Kriterien gelten auch für die Beurteilung, welche Maßnahmen des Geheimnisinhabers (etwa Rückruf, Vernichtung) im Verletzungsfall verhältnismäßig sind, § 9 Nr. 2 GeschGehG. Folgende Schutzmaßnahmen kommen in Betracht:
- Technische Maßnahmen – etwa Kennzeichnung als Geschäftsgeheimnis; Zugriffsbeschränkungen und Verschlüsselungen; Sicherheitsabfragen für den Zugriff; Beschränkungen des Drucks, Speicherns und Versendens von Daten.
- Organisatorische Maßnahmen – etwa Zutrittsbeschränkungen; Freigabeerfordernisse; Mitarbeiterschulungen zum Geheimnisschutz.
- Vertragliche Maßnahmen – etwa Geheimhaltungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern und Fremdpersonal, Geschäftspartnern (z.B. bei F&E Verträgen; Joint-Ventures; Outsourcing), und Kunden. Hierbei sollten Unternehmen unbedingt im Blick behalten, dass Richtlinie und GeschGehG – anders als unter altem Recht – das Reverse Engineering in weitem Umfang zulassen, wenn es nicht vertraglich ausgeschlossen wurde, § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG.
Die getroffenen Schutzmaßnahmen sind zu dokumentieren und im Streitfall durch den Geheimnisinhaber nachzuweisen.
Abgrenzung zu Erfahrungswissen
Zutreffend hält der BGH auch fest, dass die angegriffene Nutzung von Geschäftsgeheimnissen der Klägerin mehr war als die (rechtmäßige) Nutzung redlich erworbenen Erfahrungswissens. Zwar darf ein ehemaliger Mitarbeiter die während seiner Beschäftigungszeit erworbenen Kenntnisse auch später unbeschränkt verwenden, soweit er nicht einem wirksamen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt. Dies gilt aber ausschließlich für Kenntnisse und Informationen, die er in seinem Gedächtnis bewahrt hat. Unzulässig ist die Nutzung von Informationen, die dem Mitarbeiter nur deswegen noch bekannt sind, weil er auf schriftliche Unterlagen zurückgreift, die er während der Beschäftigungszeit angefertigt oder vom bisherigen Arbeitgeber mitgenommen hat. Ein ausscheidender Mitarbeiter ist nicht berechtigt, erlangtes Wissen anhand solcher Unterlagen weiterzuverwenden.
Auch diese Abgrenzung gilt unter dem GeschGehG für die Frage des verbotenen Erlangens des Geheimnisses (§ 4 Abs. 1 GeschGehG) fort.
Fazit: Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen prüfen
Auch wenn der BGH mit seiner aktuellen Entscheidung den Geheimnisschutz unter verschiedenen Aspekten gestärkt hat, sollten Unternehmen dringend eine Bestandsaufnahme zu vorhandenen Geheimnissen und zu deren Schutz getroffenen angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durchführen. Auf dieser Grundlage ist ein konkretes Schutzkonzept zu entwickeln, zu dokumentieren und regelmäßig auf seine Einhaltung sowie Effektivität zu überprüfen und ggf. anzupassen. Nur so können Unternehmen die neuen, in vielen Aspekten auch effektiveren Instrumente des demnächst auch im GeschGehG geregelten Geheimnisschutzes nutzen.