27. Juli 2011
Verteidigugnsvergaberichtlinie
Gewerblicher Rechtsschutz

Mit leeren Händen kommen und mit vollen gehen – Wenn der Sachverständige besichtigt

Ein unschöner Verdacht kam auf: Wie konnte der Wettbewerber nur so wenige Jahre nach dessen Markteintritt so erfolgreich bei der Herstellung hochkomplexer Anlagen sein? Aus eigener Kraft wohl nicht. Aber waren nicht einige der früheren eigenen Mitarbeiter zu dem Wettbewerber gewechselt? Und hätten diese ehemaligen Mitarbeiter nicht Konstruktionszeichnungen unerlaubt vervielfältigen und mitnehmen können? Das klang plausibel und vor allem nach Verstößen gegen Urheber- und Lauterkeitsrecht. Allein es fehlte der Beweis.

Doch in solchen Fällen kann das selbständige Beweisverfahren helfen. Und zwar insbesondere, wenn nach den Grundsätzen der sog. „Düsseldorfer Praxis″ verfahren wird: Im selbständigen Beweisverfahren wird dabei ohne vorherige Anhörung der Gegenseite durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber Beweis erhoben, ob die Gegenseite die beanstandete Handlung (hier: Vervielfältigung der Konstruktionszeichnungen) vorgenommen hat. Dazu wird der Gegenseite im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Besichtigung der Betriebsstätte durch den in dem Beweisverfahren bestellten Sachverständigen und Rechtsanwälten der Antragstellerin zu dulden, wobei sämtliche „Besichtiger″ zur Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen zunächst zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.

Diesen Düsseldorfer Weg schlug das angerufene Gericht auch vorliegend ein – sehr zum Missfallen der Gegenseite: Der Besuch des Sachverständigen und das Mitnehmen von Unterlagen sei rechtswidrig gewesen. Denn von glaubhaft gemachten Rechtsverletzungen fehle jede Spur! Doch nach dem Weg durch die Instanzen gab auch das OLG Frankfurt (Urteil vom 10.06.2011, Az.: 15 U 192/09) nachträglich grünes Licht für die zu erduldende Besichtigung.

Zwar teilte das OLG Frankfurt die Auffassung der Gegenseite insoweit, als dass die angeblichen Urheberrechtsverletzungen nicht glaubhaft gemacht worden seien: Konstruktionszeichnungen könnten als technische Zeichnungen gem. § 2 I Nr. 7 UrhG urheberrechtlichen Schutz genießen. Voraussetzung sei allerdings die individuelle Eigenart (§ 1 II UrhG) der Konstruktionszeichnungen. Da technische Zeichnungen in großem Maße aber durch technische Regelwerke (DIN- und ISO-Normen) vorbestimmt würden, sei die urheberrechtliche Werkqualität nicht selbstverständlich gegeben. Glaubhaft könne deren Vorliegen im Einzelfall nicht bereits dadurch gemacht werden, dass technischen Zeichnern ganz allgemein trotz der technischen Normen ein gewisser Gestaltungsspielraum hinsichtlich Winkel und Perspektive der Darstellung verbleibe. Vielmehr müsse glaubhaft gemacht werde, dass der Zeichner auch gerade im streitgegenständlich Fall von diesem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht habe. Dies sei vorliegend unterblieben, so dass ein Besichtigungsanspruch nach § 101a I UrhG nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei.

Aber auch nach Auffassung des OLG Frankfurt war die Besichtigung durch den Sachverständigen dennoch nicht rechtswidrig. Der Anspruch auf Duldung der Besichtigung habe sich vielmehr aus dem allgemeinen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ergeben. Denn ein Wettbewerbsverstoß infolge unerlaubter Mitnahme von Konstruktionszeichnungen sei hinreichend glaubhaft gemacht worden. Und auch die erforderliche Dringlichkeit sei gegeben: Denn im Rahmen einer Interessenabwägung sei es zutreffend, dass wegen der Gefahr einer Beweisvereitelung allein der Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Gegenseite effektiven Rechtsschutz biete.

Also alles verloren? Noch liegt das Sachverständigengutachten in den Gerichtsakten. Ob das Gutachten jemals an den Antragsteller ausgehändigt wird, steht auch nach der Entscheidung des OLG Frankfurt noch nicht fest. Denn auch das OLG Frankfurt vertritt die (herrschende) Auffassung, dass darüber nicht in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, sondern erst im selbständigen Beweisverfahren. Die Karten könnten also nochmals neu gemischt werden.

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