Der Mai 2011 war für viele Anwälte kein Wonnemonat: Das OLG Düsseldorf warf – zumindest im Bereich der Patentstreitsachen – der Anwaltschaft vor, durch unangemessen niedrige Streitwertangaben Gerichtskosten zu sparen – und damit letztlich zum Nachteil der Staatskasse zu agieren (Beschluss vom 10.05.2011, Az. I-2 W 15/11). Das OLG Düsseldorf erklärte diese angebliche Vorgehensweise der Anwälte damit, dass die an den häufig „großen″ Patentstreitverfahren beteiligten Anwälte nach Stundensatz (statt nach RVG) abrechnen und somit kein Interesse an einem hohen Streitwert hätten. Kurz: Der Stundensatz-Anwalt bekomme ein ordentliches Honorar auch ohne hohe Streitwerte. Wörter wie „Betrug″ machten schnell die Runde.
Das OLG Frankfurt grenzt sich in seinem Beschluss vom 03.11.2011 (Az. 6 W 65/10) jedoch deutlich von der von dem OLG Düsseldorf vertretenen Auffassung ab. Es bleibe bei dem Grundsatz, dass den Streitwertangaben des Klägers zu Beginn des Verfahrens eine gewisse indizielle Bedeutung zukomme: In diesem frühen Verfahrensstadium bestehe meist keine Gewissheit über den Verfahrensausgang, so dass der Kläger wohl weder die Risiken einer zu hohen (denn er könnte das Verfahren ja auch verlieren) noch einer zu niedrigen Streitwertangabe (im Falle des Obsiegens wären dann die Kostenerstattungsansprüche entsprechend mickrig) eingehe.
Die von dem OLG Düsseldorf angenommenen Nachteile vor allem zur Lasten der Staatskasse könnten sich also vielmehr nur ergeben, wenn alle Verfahrensbeteiligten – Kläger, Beklagter und die jeweiligen Anwälte – gemeinsam bewusst auf die Festsetzung eines zu niedrigen Streitwerts hinwirken, um die Gerichtskosten niedrig zu halten. Dafür gebe es aber regelmäßig keinerlei Anhaltspunkte.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich ein zu niedriger Streitwert nicht alleine zu Lasten der Staatskasse auswirke. Denn damit seien zwangsläufig niedrigere Kostenerstattungsansprüche der obsiegenden Partei verbunden. Auch dies spreche dafür, dass Kläger und Beklagter grundsätzlich daran interessiert sind, einen angemessenen Streitwert festzusetzen.
All diese Erwägungen führen dazu, dass das OLG Frankfurt einen vielleicht auf den ersten Blick als niedrig erscheinenden Streitwert (EUR 50.000,00) in einer Patentstreitsache für angemessen hielt. Denn die Klägerin hatte ihre Streitwertangabe damit begründet, dass die Beklagte über eine bislang kaum spürbare Marktpräsenz verfüge und der relevante Markt klein und die auf ihm zu erzielenden Umsätze ohnehin gering seien. Diese Begründung teilte das OLG Frankfurt und wies überdies darauf hin, dass der Umstand, dass es sich um eine Patentstreitsache handele, wertneutral sei.
Das OLG Frankfurt salbt also die geschundene Anwaltsseele: Nicht jede eher niedrigere Streitwertangabe muss betrügerisch sein – sondern manches Mal ist eben einfach nicht mehr „drin″. Und der Beschluss zeigt, dass das Gericht Vertrauen in den Anwaltsethos hat, der ohnehin jeglicher Streitwert-Arithmetik entgegenstehen sollte. Ein Kompliment, das aber auch erhalten bleiben will.