Der EuGH hat seine Rechtsprechung zu dem Erfordernis einer „Aufnahmebereitschaft″ im Rahmen von öffentlichen Wiedergaben von urheberrechtlichen Schutzgegenständen in seiner OSA-Entscheidung kürzlich präzisiert. Betreiber von Arztpraxen müssen nun für Hintergrundmusik den GEMA-Tarif entrichten. Die Diskussion um die Reichweite der Voraussetzung ist mit dem Urteil zwar beendet, der Grundsatz der „einheitlichen Auslegung″ ist jetzt aber unklarer als zuvor.
Urheberrecht folgt verstärkt dem Europarecht
Der Bereich der urheberrechtlichen Verwertungsrechte ist inzwischen vollharmonisiertes Recht (vgl. das Svensson-Urteil des EuGH, Rz. 33ff. zum Recht der öffentlichen Wiedergabe). Nationale Gerichte müssen daher jedem Verwertungsrecht der InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Geltung verschaffen.
Im Ergebnis betrifft dieser Imperativ praktisch vor allem die Auslegungsergebnisse durch den EuGH. Der BGH legt deswegen inzwischen auch regelmäßig entsprechende Fragen dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren vor – aktuell etwa zum Framing - und wird dies künftig wohl noch viel öfter tun (müssen). Die „urheberrechtliche Musik″ spielt also heute regelmäßig im Europarecht und macht beinahe jede urheberrechtliche Prüfung sehr aufwändig und kompliziert, auch wenn dies weiterhin nur vergleichsweise langsam in das allgemeine Bewusstsein rückt.
Unterschiedliches Verständnis der öffentlichen Wiedergabe von EuGH und BGH
Der EuGH legt nun mit dem Recht der öffentlichen Wiedergabe eines der wichtigsten Rechte der Richtlinie dogmatisch wesentlich anders aus, als die nationalen Gerichte dies bei den entsprechenden nationalen Bestimmungen getan haben. Während der BGH meist eine sehr objektive und an den technischen Vorgängen orientierte Deutung vollzieht, rückt der EuGH die subjektive Nutzungsabsicht des Werknutzers in den Mittelpunkt. Wie viele Fragen sich aus dieser unterschiedlichen Auslegung ergeben können, hat kürzlich das Svensson-Urteil wieder offenbart.
Aber auch schon zuvor haben andere Urteile des EuGH zu den Verwertungsrechten viele grundlegende Fragen aufgetan. Ein solches Urteil war das SCF-Urteil. In diesem entschied das Gericht, dass bei der streitgegenständlichen öffentlichen Wiedergabe eines Werks als Hintergrundmusik in einer Arztpraxis keine öffentliche Wiedergabe vorliege, weil es an einer Aufnahmebereitschaft der Rezipienten im Wartezimmer fehle.
Die Patienten wollten nach dem EuGH die Musik verkürzt gesagt gar nicht hören, auch sei nicht zu erwarten, dass eine Praxis öfter besucht werde, wenn sie Wartezimmermusik biete. Nach einer rein nationalen Auslegung des BGH wäre das Ergebnis wohl umgekehrt gewesen: eine öffentliche Wiedergabe hätte vorgelegen, auf eine „Aufnahmebereitschaft″ als Beleg für die Zielgerichtetheit des Nutzungsvorgangs wäre es überhaupt nicht angekommen.
Die Diskussion um die „Aufnahmebereitschaft″
Nach dem SCF-Urteil entstand in der juristischen Literatur eine Diskussion darum, ob jede öffentliche Wiedergabe (also unabhängig vom Schutzgegenstand, seien es urheberrechtliche Werke oder Gegenstände von Leistungsschutzrechten) eine „Aufnahmebereitschaft″ voraussetzt.
Die Befürworter konnten für sich Folgendes anführen: Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen betont, dass der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Unionsrecht einheitlich auszulegen ist, soweit der Unionsgesetzgeber keinen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat (vgl. zu diesem Grundsatz etwa das FAPL-Urteil in Rz. 187f. und zu der Grenze das UsedSoft-Urteil in Rz. 60).
Gegner haben angeführt, dass sich das SCF-Urteil nur auf das Recht der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Vermiet- und Verleihrichtlinie 92/100/EWG bezog, nicht aber auf die urheberrechtlichen Verwertungsrechte der InfoSoc-Richtlinie.
Das OSA-Urteil des EuGH
Letztere Begründung hat sich der EuGH nun im aktuellen OSA-Urteil zu eigen gemacht. Er entschied in diesem Urteil unter anderem, dass das Erfordernis der „Aufnahmebereitschaft″ nicht für eine öffentliche Wiedergabe von urheberrechtlichen Werken besteht, sondern nur bei den verwandten Schutzrechten der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (vgl. Rz. 35).
Er bricht damit im Urheberrecht ohne genauere Ausführungen mit seinem Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Rechtsbegriffes der „öffentlichen Wiedergabe″. Die Tragweite dieses Grundsatzes ist dadurch unklarer als zuvor. Offenbar ist nun aber grundlegend zwischen einer öffentlichen Wiedergabe von urheberrechtlichen Werken einerseits und Leistungsschutzrechtsgegenständen andererseits zu differenzieren, wohl weil diese „teilweise unterschiedliche Zielsetzungen″ verfolgen (so das SCF-Urteil in Rz. 74).
Konsequenz für Hintergrundmusik in Arztpraxen
Beendet ist damit aber im Grundsatz die Diskussion um die wohl unmittelbarste Folge, nämlich um den GEMA-Tarif, der auf Hintergrundmusik in Arztpraxen nun eindeutig Anwendung findet.
Dieser ist entgegen anderslautender Meldungen unmittelbar nach dem SCF-Urteil europarechtskonform. Denn die GEMA nimmt die Rechte der Urheber wahr und eine öffentliche Wiedergabe von Werken setzt auch nach dem EuGH nunmehr eindeutig keine „Aufnahmebereitschaft″ voraus.
In dem Tarif enthalten sind daneben auch „sämtliche Zuschläge der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL)″. Ob ein Tarif auch für die durch die GVL wahrgenommenen Leistungsschutzrechte gerechtfertigt ist, ist trotz des SCF-Urteils wohl zu bejahen. Die dem Recht der öffentlichen Wiedergabe von Leistungsschutzrechten zugrundeliegende Vermiet- und Verleihrechterichtlinie ist nur teilharmonisiert (vgl. den 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/115/EG), so dass es nicht per se richtlinienwidrig ist, eine öffentliche Wiedergabe bei fehlender „Aufnahmebereitschaft″ national anzuerkennen.
Der BGH legt das Recht der öffentlichen Wiedergabe im Bereich von Urheberrechten und Leistungsschutzrechten einheitlich aus, da der Gesetzgeber das Verwertungsrecht für beide Schutzgegenstände parallel regeln wollte (vgl. Rz. 14 seines Breitbandkabel-Beschlusses). Seine (europarechtskonforme) Auslegung des Rechts bei Werken (jetzt ohne ein Erfordernis einer „Aufnahmebereitschaft″) ist daher auch auf die Leistungsschutzrechtsgegenstände der Vermiet- und Verleihrechterichtlinie zu übertragen. Der Umstand, dass der EuGH keine einheitliche Auslegung betreibt und bei Leistungsschutzrechten eine „Aufnahmebereitschaft″ fordert, dürfte dadurch im Ergebnis wohl unbeachtlich sein.
Zum erwähnten Svensson-Urteil erscheint in der April-Ausgabe 2014 der „GRUR – Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht″ eine gemeinsame Anmerkung von Dr. Ole Jani und Frederik Leenen.
Hinweis: Der BGH hat inzwischen zu Zahnarztpraxen konkret entschieden. Eine Anmerkung hierzu finden Sie hier.
Da sich das URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) vom 27. Februar 2014(*) eindeutig auf Kureinrichtungen bezieht, die „sowohl gleichzeitig als auch nacheinander eine unbestimmte, aber recht große Zahl von Personen beherbergen, die in ihren Zimmern Sendungen empfangen können, dass die Patienten einer Kureinrichtung dort im Allgemeinen während eines längeren Zeitraums untergebracht werden als Gäste in einem Hotel und die Zugänglichmachung der Werke an diese Patienten aufgrund ihrer kumulativen Wirkung stets verhältnismäßig viele Personen betreffen kann“, ist für mich nicht nachvollziehbar, warum Sie aus diesem Urteil ableiten, dass eine Arztpraxis GEMA-Gebühren zu entrichten hat.
Alle die im Urteil genannten Fakten zu einer „Kureinrichtung“ treffen für eine Arztpraxis meines Erachtens nicht zu. Insofern ist das Urteil nicht übertragbar auf die Situation in einer Arztpraxis.
Eine Stellungnahme hierzu würde mich sehr interessieren.
Mit freundlichen Grüßen – Dr. M. Heller
Zunächst: sie haben natürlich Recht, die faktischen Umstände einer Kureinrichtung sind natürlich nicht pauschal mit einer Arztpraxis vergleichbar. Darum ging es mir bei dem Beitrag aber auch nicht und das müssen sie auch nicht, damit Tarif der Gema grundsätzlich rechtens ist. Daher vielen Dank für ihr Frage, die mir zeigt, dass ich nicht klar genug gemacht habe, worauf mein Schluss beruht. Ich will daher gerne versuchen, ihre Frage zu beantworten und etwaige Unklarheiten (auch für andere Leser) zu beseitigen.
Sie stellen im Prinzip eine Frage, die ganz generell bei Urteilen des EuGH diskutiert wird: Wie weit reicht ein Urteil des EuGH jenseits des konkret entschiedenen Sachverhalts? Die Antwort ist nicht leicht zu geben. Klar ist einerseits, dass das Urteil nicht nur von Wirkung für die Parteien des Rechtsstreits ist, sondern auch Grundsätze von allgemeiner Geltung enthält, die bei einer Vollharmonisierung sogar im Ergebnis zu verbindlichen Leitlinien für alle Gerichte in Europa werden. Andererseits ist das, was der EuGH in Bezug auf den konkreten Sachverhalt des Ausgangsverfahrens urteilt, letztlich auch nur eine Bewertung von dem konkret im Verfahren vorliegenden Sachverhalt. Hier darf nicht zu sehr verallgemeinert werden.
Im Prinzip kann man verallgemeinerungsfähige Voraussetzungen/Grundsätze und eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallbeurteilung daran unterscheiden, dass das Gericht allgemeingültig und abstrakt definiert, wo es allgemeine Grundsätze oder Voraussetzungen aufstellt – und bei der Einzelfallbeurteilung den konkreten Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter eine (zuvor aus älteren Urteilen fortgesetzte oder neu aufgestellte) Definition subsumiert. Die Grenze zwischen beidem ist aber zugegebener Maßen fließend und auch mitunter schwer zu bestimmen, der EuGH hält sie auch selbst leider nicht immer ganz stringent ein.
Bei der Frage, ob der GEMA-Tarif rechtens ist, ist der Spielraum meines Erachtens jedoch eher gering. Alle allgemeingültigen Voraussetzungen, die bei einer öffentlichen Wiedergabe zu prüfen sind, wurden in dem von mir im Artikel erwähnten SCF-Urteil vom EuGH schon aufgezeigt und zwar sogar im Kontext von Hintergrundmusik in einer Zahnarztpraxis. Es ging dort bei dem SCF-Urteil jedoch um Leistungsschutzrechte und nicht um die (in Deutschland von der GEMA wahrgenommenen) Urheberrechte. Für eine öffentliche Wiedergabe von Leistungsschutzgegenständen muss (zusätzlich) eine sog. „Aufnamebereitschaft“ vorliegen, die für eine öffentliche Wiedergabe von urheberrechtlichen Werken nicht erforderlich ist. Es war umstritten, ob die „Aufnahmebereitschaft“ durchweg eine Voraussetzung einer öffentlichen Wiedergabe ist, oder aber nur bei eine öffentlichen Wiedergabe von Leistungsschutzrechten vorliegen muss. Dies ist mit dem OSA-Urteil nun aber geklärt.
Mein Schluss auf den Hintergrundmusik-Tarif der GEMA beruht also auf der Zusammenschau der allgemeingültigen Voraussetzungen von zwei Urteilen. Dem SCF-Urteil einerseits, in dem der EuGH schon geklärt hat, welche Grundsätze bei der Frage einer öffentlichen Wiedergabe (unter anderem in Form von Hintergrundmusik durch den Betreiber einer Arztpraxis) zu prüfen sind – und andererseits darauf, dass jedenfalls seit dem OSA-Urteil das Kriterium der „Aufnahmebereitschaft“ bei Urheberrechten keine Rolle spielt.
Der Tarif der GEMA bezieht sich nach seiner Überschrift auf „Einzelhandelsgeschäfte, Arztpraxen, Friseurbetriebe u. Ä.“ und dort auf die Wiedergabe von Hintergrundmusik. Das ist letztlich von der GEMA eine Subsumtion, wohl um den Tarif für den juristischen Laien anschaulicher darzustellen – und ist typisierend zu verstehen. Ob eine öffentliche Wiedergabe bei Praxis ABC, Einzelhandelsgeschäft DEF oder Friseur XYZ wirklich vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Es sind durchaus Sonderfälle denkbar, bei denen eines der vielen Kriterien einmal nicht erfüllt ist. Die abgespielte Musik kann z.B. besonders alt und/oder gemeinfrei sein oder sie kann ausnahmsweise mal nicht zum GEMA-Katalog gehören.
Es kann auch im Ausnahmefall einmal sein, dass Patienten in Arztpraxen keine Öffentlichkeit darstellen. Im SCF-Urteil lag ein solcher Fall sogar vor. Die entsprechenden Randziffern 95 und 96 sind jedoch meines Erachtens kein pauschaler Freibrief für Arztpraxen. Der EuGH hat hier eindeutig nur den konkreten Fall (nämlich den der Praxis des Zahnarztes Del Corso in Neapel) unter die zuvor wiederholten allgemeingültigen Voraussetzungen subsumiert. Del Corso hatte allem Anschein nach eine vergleichsweise kleine, jedenfalls aber ungewöhnlich abgeschottete private Zahnarztpraxis, bei der die Patienten kategorisch nur mit Termin oder „in jedem Fall nur mit Zustimmung des Arztes“ Zugang(!) bekommen haben (vgl. das SCF-Urteil unter Rz. 33 am Ende). Dass der EuGH seine Aussage zur Zahnarztpraxis nicht verallgemeinernd versteht wissen möchte, wird an dieser Stelle im SCF-Urteil durch eine entsprechende Einschränkung deutlich (in Rz. 95: „eines Zahnarztes wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden“).
Die Realität wird in den Praxen jedoch oft anders sein als bei Zahnarzt Del Corso in Neapel. In Gemeinschaftspraxen sind im Wartezimmer sicherlich eine deutlich größere Anzahl an Personen und die Patienten kennen sich weder untereinander, noch sind sie allen Ärzten / Betreibern der Praxis immer bekannt. Auch bei vielen Allgemeinmedizinern, die pro Patient weniger Zeit benötigen als ein Zahnarzt, ist die Zahl merklich höher. Anders als bei Del Corso läuft auch gerne einmal eine Playlist oder eine CD in Schleife, wodurch sukzessiv noch mehr Personen im Wartezimmer die Werke wahrnehmen und mit zu der relevanten „Öffentlichkeit“ zählen. Regelmäßig kann man auch als neuer und unbekannter Patient die Praxis frei betreten (und jedenfalls nach Klärung der Personalien und der Versicherung mit der Sprechstundenhilfe) im Wartezimmer neben vielen anderen Personen Platz nehmen und bei Hintergrundmusik eben warten, bis der Arzt einen zum ersten Mal wahrnimmt und behandelt.
Dass der EuGH auch bei solchen Praxen immer so entschieden hätte, wie bei der Del-Corso-Praxis, wage ich zu bezweifeln. Verbindlich werden es für jeden Einzelfall jetzt nur die nationalen Gerichte klären können. Sie werden dann jeweils die allgemeingültigen Voraussetzungen des EuGH heranziehen und zueinander abwägen („unbestimmte Zahl und recht viele Personen“, „keine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl“, „Personen allgemein, also nicht auf besondere Personen beschränkt, die einer privaten Gruppe angehören“, sukzessive Zuhörer addieren sich; etc.).
Mir ging es im Kern auch wirklich um etwas anderes – und dies hoffe ich jetzt durch meine Antwort zumindest hier deutlich zu machen: Der Tarif wurde nach dem SCF und vor dem OSA-Urteil ganz grundlegend und vor allem deshalb in Frage gestellt, weil (fälschlich) angenommen wurde, es käme auch für das Urheberrecht auf eine „Aufnahmebereitschaft“ an. Diese wäre wohl gerade bei (für den Kunden gewissermaßen unausweichlich zu hörender) Hintergrundmusik wohl sehr oft fraglich. Mit dem Argument der fehlenden „Aufnahmebereitschaft“ kann der Tarif meines Erachtens nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden. Auch kommt es für den GEMA Tarif insgesamt einfach überhaupt nicht auf eine „Aufnahmebereitschaft“ an.
Beste Grüße
Frederik Leenen
Ein Hinweis: Der BGH verhandelt am 18. Juni 2015 in der Rechtssache I ZR 14/14 (Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen). In dem Verfahren hatte ein Zahnarzt nach dem SCF-Urteil des EuGH seinen Nutzungsvertrag über Hintergrundmusik mit der GEMA gekündigt. Diese klagte nun bis vor den BGH auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und auf Zahlung der Gebühren auch nach der Kündigung. Die Vorinstanzen (AG und LG) sahen den Arzt im Recht. Sie berufen sich auf einen Erst-Recht-Schluss des EuGH. Dieser hatte festgestellt, dass wenn bereits bei der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der für Urheberrechte einschlägigen) Richtlinie 29/2001/EG eine Erheblichkeit der Frage des Erwerbszweckes zu bejahen sei, müsse dies erst Recht bei Art. 8 Abs. 2 der (für bestimmte Leistungsschutzrechte einschlägigen) Richtlinie 92/100/EWG, der einen wirtschaftlicheren Hintergrund hat, gelten. Die Gerichte erblicken hierin ein Argument dafür, dass dies und die „gesamte Entwicklung“ des europäischen Urheberrechts dafür spreche, dass der EuGH die Reichweite der urheberrechtlichen Verwertungsrechte – gerade im Vergleich zur bisherigen deutschen Rechtspraxis – deutlich beschränke.
Meines Erachtens geht diese Argumentation zu weit. Der Erwerbszweck ist bei urheberrechtlichen Verwertungsrechten nach dem EuGH explizit keine zwingende Voraussetzung (EuGH, ECLI:EU:C:2006:764 – SGAE, Rz. 44; EuGH, ECLI:EU:C:2013:147 – ITV, Rz. 42). Mehr als das: Der EuGH hat in dem hier kommentierten OSA-Urteil in der erwähnten Rz. 35 gerade Schlüssen von Auslegungskriterien der öffentlichen Wiedergabe bei den Leistungsschutzrechten auf solche von Urheberrechten eine klare Absage erteilt. Dennoch zieht das Amtsgericht sie und das LG bestätigt diese Argumentation, wohl, weil sie diese Aussage aus dem OSA-Urteil übersehen. Bei der die Urheberrechte betreffenden InfoSoc-Richtlinie ist und bleibt aber das höchste Ziel die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Urheber.
Auch wenn viele Kriterien der öffentlichen Wiedergabe nach der Auslegung des EuGH die gleichen sind, so ist gerade das Kriterium der Entgeltlichkeit bei Urheberrechten und Leistungsschutzrechten nicht gleich zu verstehen. Leistungsschutzrechte sind auf „unkreativen“, aber wirtschaftlich-organisatorischen Leistungen beruhende Rechte mit Entschädigungscharakter. Sie sind vor allem wirtschaftlich geprägt und daher auch nur dann zu gewähren, wenn die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht. Bei Ihnen muss daher eine „Aufnahmebereitschaft“ der Werkrezipienten bestehen und eine Gewinnerzielungsabsicht vorhanden sein. Bei Urheberrechten, um die es in dem jetzigen BGH-Fall geht, hingegen nicht. Hier ist das Vorliegen eines Erwerbszwecks zwar ein Indiz für eine öffentliche Wiedergabe, das Fehlen aber kein Hinderungsgrund. Alles andere wäre ein Ausverkauf der Urheberrechte, den auch der EuGH sicherlich nicht anstrebt.
Die einzige Frage, die sich tatsächlich bei Arztpraxen im Hinblick auf die Urheberrechte stellt, ist die Frage, ob eine Öffentlichkeit im konkreten Wartezimmer vorliegt. Hierzu hatte ich schon zuvor Ausführungen gemacht.