Unsere Analyse zum Deckmyn-Urteil des EuGH und dessen mögliche Konsequenzen für Deutschland.
Vor wenigen Wochen hat der EuGH in seiner Deckmyn-Entscheidung (C-201/13 vom 3.9.2014) zum ersten Mal zu der Schrankenregelung für Parodien nach der Richtlinie 2001/29/EG (InfoSoc-Richtlinie)geurteilt. Der Entscheidung lassen sich ein paar interessante Aussagen entnehmen, die letztlich mehr Parodien zulassen würden als bisher. Es stellt sich aber die Frage, ob die Entscheidung für Deutschland überhaupt relevant ist.
Der Sachverhalt der Deckmyn-Entscheidung lässt sich verkürzt wie folgt darstellen: Die Kläger sind die Rechteinhaber an einer Zeichnung auf dem Deckblatt eines Comichefts. Eine der Hauptfiguren wirft Münzen anderen Personen zu, die versuchen, sie aufzusammeln.
Die Beklagten haben auf einem Flugblatt diese Figur durch den Bürgermeister der Stadt Gent und die die Münzen aufsammelnden Personen durch verschleierte und farbige Personen ersetzt. Die Kläger sehen die Grenzen der zulässigen Parodie überschritten. Das höchste dänische Gericht hat Einzelaspekte dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
EuGH: autonomer Parodiebegriff, kein eigener ursprünglicher Charakter erforderlich
In Antwort auf die ihm gestellten Vorlagefragen hat der EuGH im Wesentlichen geurteilt, dass die Parodieschranke dahin auszulegen ist,
1. dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „Parodie“ ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts ist,
2. dass die wesentlichen Merkmale der Parodie darin bestehen,
- zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und
- zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen,
3. dass der Begriff „Parodie“ nicht von den Voraussetzungen abhängt, dass
- die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, dass sie vernünftigerweise einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werkes zugeschrieben werden kann,
- dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder
- dass sie das parodierte Werk angibt.
Es müsse außerdem ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten der Rechteinhaber und Urheber auf der einen und der freien Meinungsäußerung des Nutzers auf der anderen Seite gewahrt werden.
Vollharmonisierung der fakultativen Schranken?
Die erste Aussage des Urteils trägt zu der Diskussion bei, ob die fakultativen Schranken der Richtlinie vollharmonisiertes Recht darstellen. Das Urteil des EuGH spricht tendenziell für eine Vollharmonisierung, da es die fakultative Natur der Schranke explizit nicht als Argument gegen eine Harmonisierung zulässt (siehe in Randnummer 16 des Urteils).
Ganz eindeutig ist das Urteil jedoch nicht, da die Richter nur von einer „Harmonisierung″ und dem autonomen Begriff der Parodie sprechen. Dies kann aber grundsätzlich auch bei einer Mindestharmonisierung zutreffen.
In einer Gesamtschau mit den vorangehenden Entscheidungen dürfte jedoch einiges dafür sprechen, auch hier von einer Vollharmonisierung auszugehen. Es ging bei diesen verkürzt gesagt zuletzt im Ergebnis auch meist um Vollharmonisierung, wenn bloß von „Harmonisierung“ die Rede war.
Zum Hintergrund: Was bedeutet Vollharmonisierung?
Vollharmonisierung bedeutet, dass unionsweit ein verbindliches Minimal- und Maximalniveau des jeweils angestrebten Schutzes verbindlich vorgegeben wird. Damit wird im Ergebnis die Rechtsprechung des EuGH fast alleinig maßgeblich.
Es ist bei den Schrankenbestimmungen der InfoSoc-Richtlinie wohl im Wesentlichen anerkannt, dass die obligatorische Schranke für flüchtige Vervielfältigungen in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie (bei uns umgesetzt durch § 44a UrhG) vollharmonisiertes Recht darstellt.
Ob jedoch auch die weiteren Schrankenbestimmungen, die allesamt nur fakultativ sind, ebenfalls einer Vollharmonisierung unterliegen, ist umstritten. Bis dato wurde oft ins Feld geführt, dass eine Bestimmung, die fakultativ ist, schon aus diesem Grunde nicht vollharmonisiertes Recht darstellen könne. Denn es stehe jedem Mitgliedsstaat frei, eine Regelung überhaupt einzuführen – es gebe also in gewisser Weise gar kein Mindestmaß.
Die Gegenauffassung führt an, dass eine Vollharmonisierung auch bei einer fakultativen Regelung möglich sei. Mindest- und Maximalmaß werden nach dieser Auffassung dadurch begründet, dass es zwar freistehe, keine entsprechende Schranke einzuführen – bei einer (wie auch immer gearteten) Privilegierung sei jedoch vollverbindlich den Vorgaben der Richtlinie zu folgen.
„Innerer Abstand″ zum Original
Ein erheblicher Unterschied zu der bisherigen nationalen Rechtslage ergibt sich aus der dritten Aussage des Urteils. Nach dem EuGH ist es nicht erforderlich, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat. Es genügt, wenn das Werk einfach nur „wahrnehmbare Unterschiede″ zu dem Original aufweist.
Der BGH fordert hingegen im Rahmen seiner Subsumtion der Parodie unter § 24 UrhG, dass die Parodie einen „inneren Abstand″ zum Original hält, der eigenschöpferische Züge aufweisen müsse, was deutlich mehr Kreativität bei der Parodie voraussetzt. Letztlich folgt diese Voraussetzung schon zwingend aus den ersten drei Worten des § 24 Abs. 1 UrhG, worunter die Rechtsprechung die Parodie subsumiert. Sie wäre daher auch nicht so einfach aufzugeben.
Urteil überhaupt relevant für Deutschland?
Die Parodie ist im deutschen Recht nicht eigens geregelt. Seit jeher herrscht daher auch eine gewisse Diskussion darum, über welche Vorschriften sie „aufzufangen″ ist. Es besteht immerhin Einigkeit darüber, dass jedenfalls eine aufwändig betriebene Parodie im Rahmen der grundgesetzlich verankerten Kunst- und/oder Meinungsfreiheit irgendwie zulässig sein muss.
Die herrschende Meinung wendet § 24 UrhG an, der jedoch eher von der Rechtsfolge passt, als von den Voraussetzungen. Denn eigentlich muss für die freie Bearbeitung nach § 24 UrhG das vom Ursprungswerk Übernommene „verblassen″, was bei großflächigen Übernahmen im Rahmen vieler Parodien nur mit Kunstgriffen wie dem „inneren Abstand″ zu begründen ist. Es finden sich nicht zuletzt deswegen auch Stimmen, welche die Lösung über Schrankenbestimmungen suchen, die Zitierfreiheit nach § 51 UrhG anwenden wollen und dementsprechend zu anderen Ergebnissen in den Details kommen.
Das Urteil wirft nun die Frage auf, ob es bei dieser Sachlage für deutsche Gerichte überhaupt verbindlich ist. Denkbarer Streitfall wäre eine Parodie, die keinen eigenen eigenschöpferischen Gehalt aufweist und damit keinen „inneren Abstand″ wahrt, aber im Übrigen den Kriterien des EUGH genügt und das Originalwerk in wesentlichen Zügen übernimmt.
Gegen eine Relevanz des EuGH-Urteils spricht zumindest dem ersten Anschein nach, dass Deutschland keine ausdrückliche Parodieschranke eingeführt hat. Im prototypischen Fall wird nämlich deutsches Recht dann richtlinienkonform ausgelegt, wenn eine bestimmte Regelung in Umsetzung einer Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber ins deutsche Recht eingeführt wurde. Man könnte sich insoweit auf den Standpunkt stellen, dass Deutschland damit keine Parodieschranke kennt und die Gerichte hierzulande demgemäß auch nicht richtlinienkonform auszulegen haben. Inhaltlich greift dies aber etwas kurz.
Europarechtskonform auszulegen ist nämlich auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Richtliniengebung das geregelte Recht schon national gewährt wurde und deswegen nicht extra umgesetzt wurde. Entscheidend ist dadurch im Ergebnis, was in den so genannten „Regelungsbereich″ der Richtlinie fällt. Es ließe sich in diesem Sinne umgekehrt anführen, dass Deutschland keine explizite Schranke für Parodien eingeführt hat, weil die Rechtsprechung schon eine Lösung (über § 24 UrhG) gefunden hatte. Diese Rechtsprechung zur Parodie berührt aber den Regelungsbereich der Richtlinie. Da Deutschland Parodien grundsätzlich anerkennt und in Bezug auf die Richtlinie auch generellen Umsetzungswillen hatte, wäre nach dieser Sichtweise den Vorgaben des EuGH zu folgen.
Es wird sich zeigen müssen, welche Argumentation sich durchsetzt. Der erste Weg wäre durch die Fülle an bestehender Rechtsprechung rechtssicherer für Deutschland. Der zweite wäre hingegen wohl eher im Sinne des Richtliniengebers.