Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass es der regelmäßigen Nachprüfung von Gütesiegeln bedarf, um die Erwartungen des Verkehrs an das Siegel zu erfüllen.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte (erneut) über eine Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs bezüglich der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit eines von einem Industrieverband herausgegebenen Gütesiegels zu entscheiden (Urteil v. 3. Juli 2020 – 20 U 123/17).
Nachdem der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufhob und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwies (Urteil v. 4. Juli 2019 – I ZR 161/18), gab das Gericht dem Unterlassungsbegehren des Klägers statt.
Verstoß gegen Nachprüfpflicht
Der Beklagte ist ein Industrieverband, dessen Kernaufgabe in der wissenschaftlichen und technischen Verbesserung und Weiterentwicklung von Kleb- und Dichtstoffen besteht. Im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe stellt der Beklagte das „IVD-Gütesiegel“ auf der Grundlage seiner Güterichlinien aus.
Der Kläger ist der Ansicht, dass das von dem Beklagten ausgegebene Gütesiegel irreführend im Sinne des § 5 UWG ist. Die angesprochenen Verkehrskreise dürften erwarten, dass das Gütesiegel aufgrund einer objektiven und neutralen Prüfung und Qualitätsüberwachung vergeben wird. Daran fehle es aber vorliegend, da durch den Beklagten keine hinreichende Nachkontrolle bezüglich der Einhaltung der Kriterien des Gütesiegels erfolge. Insbesondere habe der Beklagte im Rahmen von Nachkontrollen nicht die Ware selbst, sondern lediglich Dokumente oder Aufdrucke auf der Ware begutachtet.
Der Beklagte wendet gegen die anschließend eingelegte Klage ein, dass er die Nachprüfung durch die Anbringung einer Prüfnummer auf den fraglichen Produkten gesichert habe. Eine Nachkontrolle könne auf der Basis eines Abgleichs der Angaben auf der Kartusche des zertifizierten Dichtstoffs mit den vom Hersteller vorgelegten Dokumenten erfolgen, da jede Änderung am Produkt wegen der sich andernfalls ergebenden Haftungsrisiken auf dem Produkt vermerkt werden müsste. Eine unbemerkte Produktveränderung, die sich auf die Prüfkriterien auswirken könnte, sei daher äußerst unwahrscheinlich.
Die Nachprüfung dient der Gewährleistung des Vertrauens der angesprochenen Verkehrskreise in das Gütesiegel
Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt in seiner erneuten Entscheidung nun die Auffassung des Klägers und verurteilte den Beklagten zur Unterlassung der Verwendung des IVD-Gütesiegels, da in den relevanten Güterichtlinien des Beklagten keine kontinuierliche Überprüfung der Kriterien für die Verleihung des Siegels vorgesehen sei. Zugleich konkretisiert es die vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 (I ZR 161/18) aufgestellten Anforderungen an eine kontinuierliche Überwachung der Verwendung des Siegels durch die verleihende Stelle.
Das Oberlandesgericht sieht in der Vergabe des IVD-Gütesiegels auf der Grundlage der relevanten Güterichtlinien durch den Beklagten eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Mit dem Siegel würden Erwartungen der relevanten Verkehrskreise geweckt, die nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen im Einklang stehen.
Die Vergabe eines Gütesiegels weckt aus Sicht der angesprochenen Geschäftskreise die Erwartung, dass ein mit dem Siegel versehenes Produkt eine besondere Qualität aufweist. Damit das zertifizierte Produkt dieser Erwartung gerecht wird, bedarf es auch nach der Vergabe des Siegels einer kontinuierlichen Kontrolle der Einhaltung der Vergabestandards durch die verleihende Stelle.
OLG Düsseldorf konkretisiert Umfang der Nachprüfpflicht eines Gütesiegels
Nach zutreffender Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird ein bloßes Abgleichen von Dokumenten (z.B. anhand einer angebrachten Prüfnummer) mit den Angaben auf dem zertifizierten Produkt der Erwartung des Verkehrs an eine regelmäßige Nachkontrolle des Gütesiegel nicht gerecht. Das Gericht führt dazu wörtlich aus:
Nur eine erneute, einem publizierten Prüfungsprogramm folgende Überprüfung und Untersuchung des Produkts selbst kann gewährleisten, dass die mit dem Gütesiegel bescheinigten Produkteigenschaften tatsächlich fortbestehen und die Güteerwartung des Verkehrs insoweit nicht getäuscht wird.
Damit eine Vergabestelle der durch ein Gütesiegel geweckten Erwartungshaltung des Verkehrs gerecht wird, bedarf es folglich der nach einem publizierten Rahmenprogramm folgenden kontinuierlichen Nachprüfung der Vergabeparameter anhand einer Kontrolle der untersuchten Produkte selbst.
Der Beklagte wendet dagegen ein, dass eine nachträgliche Überprüfung durch die Vergabestelle nicht notwendig und der Abgleich mit den vorgelegten Dokumenten ausreichend sei. Die Hersteller der Produkte machten sich haftbar und eventuell strafbar, wenn sie nachträglich Änderungen am getesteten Produkt vornehmen würden, ohne diese zugleich auf dem Produkt selbst und den beigefügten Unterlagen kenntlich zu machen. Demnach genüge ein Abgleich der auf dem Produkt angegebenen Inhaltsstoffe mit den Prüfdokumenten, um die Einhaltung der Güterichtlinie sicherzustellen. Diesem Einwand begegnet das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch mit der Klarstellung:
Denn der Zweck einer kontinuierlichen Überwachung und Prüfung nach Vergabe des Gütesiegels soll ja gerade zum Schutz des Verkehrs dazu dienen, mögliche Produktveränderungen und damit die Konformität mit den Parametern, auf deren Grundlage das Produkt geprüft und mit dem Gütesiegel versehen wurde, zu überprüfen und zu vermeiden.
Die konsequente Beachtung der Nachprüfpflicht von Gütesiegeln schützt vor Abmahnung und stärkt das Ansehen des Siegels
Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt mit seiner Entscheidung die Verpflichtung zur regelmäßigen Nachkontrolle von Gütesiegeln durch die verleihende Stelle und konkretisiert deren Umfang und Reichweite. Die fortlaufende Überprüfung muss dabei insbesondere sicherstellen, dass die Prüfkriterien beeinflussende Änderungen am getesteten Produkt entdeckt und berücksichtigt werden.
Zwar geht mit dieser Entscheidung ein erhöhter Aufwand bei der Vergabe von Gütesiegeln einher. Dieser Aufwand kommt jedoch der Reputation des Siegels zugute, da somit das Vertrauen des Geschäftsverkehrs in das vergebene Siegel gestärkt wird.