15. November 2023
fliegender Gerichtsstand UWG
Wettbewerbsrecht (UWG)

Sturzflug des fliegenden Gerichtsstands – Update #3

Seit dem 2. Dezember 2020 schränkt eine Neuregelung den fliegenden Gerichtsstand in Wettbewerbssachen ein. Deren Reichweite ist schon zu Beginn umstritten.

Klagen wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht können grundsätzlich von Mitbewerbern bei dem Gericht erhoben werden, in dessen Bezirk die Wettbewerbsverletzung begangen wurde. Dies galt bis Anfang Dezember 2020 auch für Handlungen im Internet und bedeutete: in der Regel bundesweit. 

Kläger konnten sich daher bis Anfang Dezember nach eigenem Belieben aussuchen, wohin man ‚fliegen‘ wollte. Die Gründe für den Ort konnten vielfältig sein: Expertise des Gerichts, Gerichte mit einer wohlgesonnenen Rechtsauffassung, räumliche Entfernung, Streitwertpraxis des Gerichts und mehr.

Die Neuregelung: Gerichtszuständigkeit richtet sich nach (Wohn)Sitz des Beklagten 

Mit dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist am 2. Dezember 2020 eine Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands bei Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien in Kraft getreten. 

Nach § 14 Abs. 2 UWG n.F. ist in diesen Fällen nur noch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen (Wohn)Sitz hat. Ziel der Regelung ist nach der Gesetzesbegründung die Wiederherstellung der prozessualen Waffengleichheit. Denn bei Handlungen im Internet liege der Begehungsort „überall“. Die Möglichkeit des Klägers, nicht nur Zeitpunkt, Art und Umfang der Klage, sondern auch den Ort des Gerichts frei auszusuchen, begründe eine Missbrauchsgefahr zulasten des Beklagten (vgl. BT-Drs. 19/12084 S. 35).

Die Neuregelung hat bereits vor ihrer Verabschiedung vielfach für Diskussionen gesorgt. Nun gibt es kurze Zeit nach Inkrafttreten der Neuregelung Uneinigkeit darüber, ob die Einschränkung lediglich einen Sinkflug oder den vollständigen Sturzflug des fliegenden Gerichtsstands bedeutet.

Sturzflug des fliegenden Gerichtsstandes – oder doch nur Sinkflug?

Das Landgericht Düsseldorf hatte in einem Beschluss vom 15. Januar 2021 – 38 O 3/21 Aufsehen erregt, da es für kräftigen Aufwind des gerade noch abstürzenden fliegenden Gerichtsstands sorgte. So erachtete es sich neben TV- und Printwerbung auch für Internetwerbung als zuständig, obwohl der Beklagte seinen Sitz in Rheinland-Pfalz hatte. 

Das Gericht begründete dies damit, dass die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands nur gelte, wenn ein Gesetzesverstoß ausschließlich im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangen werden kann. Die Möglichkeit der Wahl des Gerichts bestehe dagegen weiterhin, wenn der Gesetzesverstoß auch bei Nutzung eines anderen Kommunikationskanals vorläge. 

Die Einschränkung würde danach nur für sehr begrenzte Fälle, nämlich internetspezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten (bspw. Impressumsverstöße) gelten, aber insbesondere nicht für unlautere Werbung.

Der Aufwind hielt nur kurzzeitig: Das OLG Düsseldorf hat sich mit Beschluss vom 16. Februar 2021 – 20 W 11/21 gegen das LG Düsseldorf gestellt und für eine umfassende Geltung der Einschränkung ausgesprochen. Die Einschränkung beziehe sich auf sämtliche im Internet begangenen Verstöße. Nach dem OLG Düsseldorf soll dies jedenfalls dann gelten, wenn die in Printmedien und im Internet angegriffenen Aussagen unterschiedlich und Gegenstand gesonderter Anträge seien. Explizit offen gelassen haben die Richter jedoch die Beurteilung der Fälle ein und derselben Rechtsverletzung im Internet und in Printmedien.

Update: LG Düsseldorf wendet sich gegen OLG Düsseldorf

Es bleibt spannend. Nur kurze Zeit später hat das LG Düsseldorf mit Beschluss vom 26. Februar 2021 – 38 O 19/21 der Ansicht des OLG Düsseldorf eine Absage erteilt. Die Bedenken des OLG griffen nicht durch und veranlassten die Kammer nicht, ihre Sichtweise zu ändern (Rn. 5). Unter dem

Vorbehalt sich eventuell aus dem Fortgang der Diskussion […] ergebender besserer Erkenntnisse

hält das LG Düsseldorf an seiner eingeschlagenen Linie fest – der Ausschluss des fliegenden Gerichtsstands greife nur dann ein, wenn die betreffende Zuwiderhandlung tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpft (Rn. 5-9).

Update: LG Düsseldorf bestätigt Rechtansicht erneut, LG Frankfurt a.M. schließt sich LG Düsseldorf an

Das LG Düsseldorf bleibt standhaft. Mit Urteil vom 21. Mai 2021 – 38 O 3/21 bestätigte es seinen Beschluss vom 15. Januar 2021, gegen den die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt hatte. Zwischenzeitlich hatte sich das LG Frankfurt a.M. mit Urteil vom 11. Mai 2021 – 3-06 O 14/21 der Rechtsansicht des LG Düsseldorf angeschlossen. 

Update: Auch LG Hamburg für fortgesetzten Flug des Gerichtsstands

Mit Beschluss vom 13. September 2021 – 327 O 184/21 stellt das LG Hamburg fest, dass die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands durch die Neuregelung nur bei Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten gelte (Rn. 4). Damit hat sich ein weiteres Gericht, das bislang gerne in Wettbewerbssachen angeflogen wurde, dem LG Düsseldorf und dem LG Frankfurt a.M. angeschlossen.

Update: Hamburg kann weiterhin angeflogen werden, sofern keine Missbrauchsgefahr besteht

Das OLG Hamburg hat sich kürzlich sehr ausführlich mit der Beschränkung des fliegenden Gerichtsstands bei Handlungen im Internet auseinandergesetzt. Nach Ansicht des OLG Hamburg greife die Beschränkung des fliegenden Gerichtsstand nicht in Fällen,

in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist.

Es gesteht zwar zunächst zu, dass der Wortlaut 

Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien

als auch die Systematik eine solche Beschränkung der Ausnahme vom fliegenden Gerichtsstand nicht erkennen ließen. Allerdings leitet der Senat sodann sehr ausführlich her, dass sich aus der Historie der Gesetzesentstehung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergebe, dass jedenfalls solche Fälle vom Anwendungsbereich der Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands ausgenommen sein sollen, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist. Ob solch eine Gefahr nur bei Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten vorliege, lässt der Senat offen, viel spreche aber dafür. Damit dürfte Hamburg weiterhin bei einer Vielzahl von Wettbewerbsverstößen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien im Wege des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung angeflogen werden können.

Achtsamkeit bei der Zuständigkeit bei Wettbewerbsverstößen im Internet als auch in Printmedien

Die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands gilt für alle Klagen, die ab dem 2. Dezember 2020 einem Beklagten zugestellt sind. Für alle zukünftigen Klagen im Wettbewerbsrecht wird daher besondere Achtsamkeit auf die Zuständigkeit des gewählten Gerichts zu legen sein. 

Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen geltend gemachte Rechtsverstöße nicht nur im Internet verwirklicht werden, sondern auch über andere Kommunikationskanäle. Sofern die Aussagen unterschiedlich und Gegenstand gesonderter Anträge sind, dürfte der fliegende Gerichtsstand jedenfalls nach der derzeitigen Auffassung des OLG Düsseldorf nicht mehr greifen. Hier wird man als Mitbewerber künftig entscheiden müssen, ob man alle Streitgegenstände beim Sitz des Beklagten anhängig macht oder aber die Sache splittet und zwei Klagen anhängig macht, nämlich am Sitz des Beklagten bzgl. der Internetwerbung und beim bevorzugten Gericht bzgl. der Printwerbung. Bei dieser bleibt der fliegende Gerichtsstand bestehen, sofern die Werbung bundesweit verteilt wurde. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kontroverse der Gerichte weiterentwickeln und welche Rechtsauffassung sich am Ende durchsetzen wird. Sollte das OLG Düsseldorf an seiner Ansicht festhalten, wird es auch die Frage nach dem Vorgehen zu beantworten haben, wenn ein und dieselbe Rechtsverletzung im Internet und in Printmedien vorliegt.

Unabhängig von der genauen Entwicklung dürften in Düsseldorf, einem der bundesweit führenden Gerichtstände in Wettbewerbssachen, aber wohl weniger Flüge mit Rechtsanwälten als bislang landen.

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