13. Januar 2023
Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg
Steuerrecht

Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften

Neues BFH-Urteil zum gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich in einem aktuellen Urteil mit der Frage, ob zu den inländischen Kapitalgesellschaften i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG auch Kapitalgesellschaften, die ihren statutarischen Sitz im Ausland, aber ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben, auseinandergesetzt und diese Frage bejaht (BFH, Urteil v. 28. Juni 2022 – I R 43/18).

Problemaufriss: Gewerbesteuerbefreiung auch bei Doppelansässigkeit?

Gewinnausschüttungen sind dann von der Gewerbesteuer ausgenommen, wenn der Steuerpflichtige mit mindestens 15% am Grund- oder Stammkapital zu Beginn des Erhebungszeitraums (gewöhnlich das Kalenderjahr) an einer inländischen Kapitalgesellschaft (§ 9 Nr. 2a GewStG) bzw. an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz außerhalb Deutschlands beteiligt war (§ 9 Nr. 7 GewStG).

Kapitalgesellschaften, die nicht sowohl ihren (statutarischen) Sitz als auch ihren Ort der Geschäftsleitung (Verwaltungssitz) im Ausland haben (doppelter Auslandsbezug), lassen sich nicht unter den Wortlaut von § 9 Nr. 7 GewStG subsumieren. Lange Zeit fraglich war, ob für die Anwendung des § 9 Nr. 2a GewStG ein doppelter Inlandsbezug erforderlich ist. Sollte dies der Fall sein, wäre das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg für Beteiligungen an doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften zu versagen, da bei enger Auslegung weder § 9 Nr. 2a noch Nr. 7 GewStG einschlägig sind.

Für die Praxis ist diese Frage aufgrund der zunehmenden Internationalisierung und Mobilität des Arbeitens von zunehmender Relevanz. Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften sind vermehrt anzutreffen und auch nicht selten wird erst nachträglich festgestellt, dass der Ort der Geschäftsleitung unter Umständen in einem anderen Staat als der statutarische Sitz liegt. 

BFH: Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg bei Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland 

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Diese war im Streitjahr 100%ige Gesellschafterin einer belgischen Gesellschaft (B-BVBA), die nach einem Rechtstypenvergleich steuerlich als Kapitalgesellschaft einzuordnen ist, mit Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. 

Im Streitjahr tätigte die B-BVBA eine Gewinnausschüttung an die Klägerin. Das zuständige Finanzamt (Beklagter und Revisionskläger) nahm im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags – antragsgemäß und entsprechend der ursprünglichen Gewerbesteuererklärung der Klägerin – eine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG vor. Dem späteren Begehren der Klägerin, das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg gemäß § 9 Nr. 7 GewStG anzuwenden, kam das Finanzamt nicht nach. Der Einspruch der Klägerin gegen die Ablehnung des Änderungsantrags blieb erfolglos. Die Klägerin verfolgte ihr Änderungsbegehren mittels Klage weiter, der seitens des Hessischen Finanzgerichts mit der Begründung stattgegeben wurde, eine inländische Kapitalgesellschaft i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG sei auch dann gegeben, wenn sich (nur) der Ort der Geschäftsleitung im Inland befinde (FG Hessen, Urteil v. 19. Oktober 2018 – 8 K 1279/16). 

Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts wurde als unbegründet zurückgewiesen. Zu den inländischen Kapitalgesellschaften i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG gehören auch Kapitalgesellschaften, die ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.

Eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG findet nicht statt, soweit die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder § 9 Nr. 7 GewStG vorliegen. Zwar sind die Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG vorliegend nicht gegeben, allerdings die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a GewStG:

  • Kapitalgesellschaft: Im Rahmen eines Rechtstypenvergleichs wurde festgestellt, dass die B-BVBA steuerlich als Kapitalgesellschaft einzuordnen ist.
  • Mindestbeteiligungsquote: Des Weiteren war die Klägerin zu 100% an der B-BVBA beteiligt, d.h., die Mindestbeteiligungsquote von 15% war überschritten.
  • „Inländisch“: Der BFH kam zu dem Ergebnis, dass die B-BVBA als doppelt ansässige Kapitalgesellschaft, mit Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland, die Voraussetzung einer „inländischen“ Kapitalgesellschaft i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG erfüllt.

Die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften in das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg war lange Zeit umstritten

Einer Auffassung in der Literatur nach war die Voraussetzung einer inländischen Kapitalgesellschaft zumindest bei denjenigen Gesellschaften zu bejahen, die ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.

Einer anderen Auffassung nach musste für die Anwendung des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs ein doppelter Inlandsbezug gegeben sein, d.h., Sitz und Ort der Geschäftsleitung mussten sich im Inland befinden.

Ob auch doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz im Inland und Ort der Geschäftsleitung im Ausland als inländische Kapitalgesellschaft i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG anzusehen sind oder sogar eine inländische Betriebsstätte ausreicht, wurde im Streitfall mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt gelassen.

Der BFH hat sich, wie bereits das FG Hessen, der ersten Auffassung angeschlossen:

  • Wortlaut: Da die Norm des § 9 Nr. 2a GewStG keine Legaldefinition für „inländische“ Kapitalgesellschaften enthält und dem Begriff kein zwingender doppelter Inlandsbezug entnommen werden kann, sieht der BFH einen Spielraum, mit „inländisch“ auch Kapitalgesellschaften zu erfassen, die zwar keinen statutarischen Sitz, aber ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.
  • Systematik: Der BFH sieht für die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften mit inländischem Ort der Geschäftsleitung systematische Gründe, insbesondere hinsichtlich der gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien, gegeben. Während § 9 Nr. 2 GewStG ausdrücklich Gewinnanteile in- und ausländischer Personengesellschaften erfasst, sind die Gewinnanteile von Kapitalgesellschaften in § 9 Nr. 2a GewStG und § 9 Nr. 7 GewStG geregelt. Aus der Regelung in § 9 Nr. 7 GewStG, die ausdrücklich einen doppelten Auslandsbezug (Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland) voraussetzt, schließt der BFH in einem Umkehrschluss, dass für § 9 Nr. 2a GewStG ein einfacher Inlandsbezug – zumindest für den Fall, dass der Ort der Geschäftsleitung im Inland liegt, mit der Folge einer inländischen Gewerbesteuerpflicht – ausreichen muss, da die Voraussetzung eines doppelten Inlandsbezugs ausdrücklich hätte gesetzlich geregelt werden müssen. 
  • Zweck: Zweck des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs gem. § 9 Nr. 2a GewStG ist, eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung sowohl auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft als auch auf Ebene ihres Anteilseigners zu vermeiden. Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Ort der Geschäftsleitung im Inland unterliegen in gleicher Weise wie Kapitalgesellschaften mit doppeltem Inlandsbezug der inländischen Gewerbesteuerpflicht. Daher sieht der BFH keinen Grund, warum es in vorliegendem Fall zu einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung kommen soll.
  • Verweis auf § 2 Abs. 2 GewStG: Weiterhin sieht der BFH die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland durch den Verweis des § 9 Nr. 2a GewStG auf inländische Kapitalgesellschaften „im Sinne des § 2 Abs. 2“ GewStG bestätigt. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG erfasst nicht nur inländische, sondern auch ausländische Rechtsformen. Da § 9 Nr. 2a GewStG auf den gesamten Inhalt des § 2 Abs. 2 GewStG Bezug nimmt und gewerbesteuerliche Doppelbelastungen vermeiden soll, argumentiert der BFH, dass die Beschränkung auf inländische Kapitalgesellschaften nicht im Sinne eines strengen doppelten Inlandsbezugs verstanden werden kann. Der BFH lehnt ebenfalls für den Begriff „inländisch“ eine Begrenzung bzw. Beschränkung auf Kategorien des inländischen Gesellschaftsrechts ab.
  • Unionsrechtskonforme Auslegung und Stand-still-Klausel: Der BFH lässt in seinem Urteil die Frage, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung für die vorliegende Anwendung des § 9 Nr. 2a GewStG herangezogen werden kann und ob die sog. Stand-still-Klausel (Art. 64 Abs. 1 AEUV) Wirkung entfaltet (EuGH, Urteil v. 20. September 2018 – C-685/16), offen.

Umgekehrter Fall der Doppelansässigkeit mit Sitz im Inland und Geschäftsleitung im Ausland weiterhin offen

Im BFH-Urteil bleibt die Behandlung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz (sowie einer Betriebsstätte) im Inland und Ort der Geschäftsleitung im Ausland offen. Sind auch diese als inländische Kapitalgesellschaften i.S.d. § 9 Nr. 2a GewStG anzusehen? Aus Gleichheitsaspekten und teleologischen Erwägungen wäre es sachgerecht, dass diese doppelt ansässigen Gesellschaften ebenfalls in den Genuss des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs kommen. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht aus.

Auch bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber und die Verwaltung reagieren werden. Der Gesetzgeber könnte – wovon wir nicht ausgehen – bei § 9 Nr. 2a GewStG das Erfordernis einen doppelten Inlandsbezugs regeln, spiegelbildlich zu § 9 Nr. 7 GewStG. Auch könnte das Bundesministerium der Finanzen (BFH) mit einem entsprechenden Nichtanwendungserlass auf das BFH-Urteil reagieren. 

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