Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei der Vorsatzanfechtung im Rahmen von Grundstücksverkäufen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2024 – IX ZR 226/20).
Kommt es vor, dass sich eine lukrative Geschäftsmöglichkeit ergibt, ein Grundstück für einen „Schnäppchenpreis“ zu erwerben, sollte man sich sicherlich zunächst freuen. Hierbei dürfen allerdings die insolvenzanfechtungsrechtlichen Implikationen nicht unbeachtet gelassen werden. Denn auf der anderen Seite des Tisches befindet sich möglicherweise eine Gesellschaft, die aufgrund ihrer prekären finanziellen Situation auf einen schnellen Verkauf angewiesen ist und daher keine andere Option hat, als ihre Assets zu einem erheblich günstigeren Preis zu veräußern. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom Februar 2024 (IX ZR 226/20) zur Vorsatzanfechtung u.a. mit einem solchen Unterwertverkauf beschäftigt. Wieder ging es bei § 133 InsO um die zentrale Frage, ob der Schuldner* mit dem Vorsatz handelte, seine Gläubiger zu benachteiligen.
Der BGH hatte die Anfechtbarkeit wegen Grundstücksverkäufen unter Wert zu beurteilen
Die Schuldnerin erwarb im Jahr 2010 Grundstücke von einer insolventen Gesellschaft für einen Kaufpreis von EUR 2.500.000. Im April 2013 veräußerte sie die Grundstücke deutlich unter Wert – zur Hälfte des zuvor von der Schuldnerin hierfür bezahlten Preises – für EUR 1.250.000 an eine in Mauritius ansässige Gesellschaft.
Zu diesem Zeitpunkt war die Kaufpreisforderung gegenüber der ursprünglichen Veräußerin noch nicht vollständig beglichen. Vielmehr zahlte die Schuldnerin die seit Januar 2013 fällige Kaufpreisrate nicht mehr, sodass es im August 2013 zu einer Ratenzahlungsvereinbarung mit der ursprünglichen Veräußerin kam.
Zwischen den Parteien war unstreitig, dass die Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt zu der Restzahlung aus dem Verkauf im Jahr 2010 nicht in der Lage war. Der Kaufpreis sollte durch die Beklagte auf ein Treuhandkonto des beurkundenden Notars gezahlt werden, der auch den Kaufvertrag mit der ursprünglichen Veräußerin beurkundete. Die Beklagte zahlte einen Teil des Betrages, den sie zuvor als Darlehen von der Schuldnerin erhalten hatte, hierauf ein. Den Rest des Kaufpreises zahlten die Schuldnerin und eine Darlehensgeberin der Schuldnerin. Gleichzeitig verpflichtete sich der Beklagte zur Vermietung der Grundstücke an die Gesellschaft für eine monatliche Miete in Höhe von EUR 40.000. Der BGH bejahte eine Anfechtbarkeit der Grundstücksübertragung nach § 133 InsO.
Die erkannte Zahlungsunfähigkeit ist ein in der Gesamtschau zu berücksichtigendes Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
Bei den Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes differenziert der BGH ausdrücklich zwischen Beweisanzeichen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners betreffen und solchen, die die Begleitumstände der vorgenommenen Rechtshandlung betreffen. Insofern stützte er seine Entscheidung bezüglich des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zunächst auf die erkannte Zahlungsunfähigkeit auf Seiten der Schuldnerin. Für die Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO, die zur Vermutung der Zahlungsunfähigkeit führt, können nach der Rechtsprechung des BGH Zahlungsverzögerungen unter bestimmten Bedingungen ausreichen. Dabei muss mit hinreichender Gewissheit feststehen, dass diese auf fehlender Liquidität beruhen. Hier zog der BGH das Kriterium heran, dass Umstände hinzutreten müssen, die letztlich das Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, nicht mehr zahlen zu können. Dabei nahm der BGH für den konkreten Fall an, dass die monatelange Zahlungsverzögerung in Höhe von EUR 625.000 eine für sich genommen hinreichend große Zahlungsverzögerung darstellt.
In der Entscheidung aus April 2024 (BGH, Urteil v. 18. April 2024 – IX ZR 239/22) hat der BGH hingegen die Anforderungen an eine beachtliche Deckungslücke und das Erfordernis einer Liquiditätsbilanz herangezogen. Dass der BGH dies in der Entscheidung zum Unterwertverkauf nicht macht, ist damit zu erklären, dass es an dieser Stelle allein um die Frage der Zahlungseinstellung und somit der erkannten Zahlungsunfähigkeit geht. Diese bemisst sich nach den Kriterien zur Feststellung der Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO. Hierfür reicht eine erhebliche Zahlungsverzögerung über einen längeren Zeitraum aus. An diesem Punkt ist jedoch nur die Zahlungsunfähigkeit festgestellt. Um den zudem erforderlichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz festzustellen, bedarf es dann aber weiterer Umstände, da nach der Rechtsprechung seit Mai 2021 der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht zulässig ist. In der Entscheidung aus April 2024 (BGH, Urteil v. 18. April 2024 – IX ZR 239/22) gab es keinen anderen Anknüpfungspunkt als die erheblichen Verbindlichkeiten für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. In diesem Fall bedarf es dann der Erstellung der Liquiditätsbilanz, anhand der abgeschätzt werden muss, ob noch eine realistische Chance bestand alle Gläubiger zu befriedigen. Nur so hätte unter dem Sachverhalt der Entscheidung aus April 2024 ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bejaht werden können. Anders ist dies im Fall des Unterwertverkaufs, der neben der Zahlungsunfähigkeit auch noch weitere Beweisanzeichen bereithielt.
Unterwertverkauf und verdächtige Umstände des Verkaufs runden die Gesamtwürdigung zulasten des Gläubigers bei der Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes ab
Bei der Gesamtwürdigung stützte sich der BGH letztlich auf den Umstand des Unterwertverkaufs. Beim Unterwertverkauf handelt es sich um eine unmittelbare Benachteiligung, weil sie ohne das Hinzukommen weiterer Umstände schon mit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung eingetreten ist. Die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung stellt nach dem BGH zwar ein Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz dar, reicht aber nach der Rechtsprechung des BGH nicht ohne weitere Umstände für sich genommen aus, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes anzunehmen. Er wurde jedoch zusätzlich zur Begründung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes angeführt. Die Indizwirkung wird im Allgemeinen sicherlich davon abhängig sein, wie stark die Abweichung des Kaufpreises vom tatsächlichen Wert ist. Zwar wird die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung im Leitsatz der Entscheidung als eigenständiges Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung bezeichnet. Das darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass dies alleine ausreichen würde. Der Fall des Unterwertverkaufs kann nämlich unter anderem auch im Anwendungsbereich der Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO liegen. Dessen kürzere Frist von 4 Jahren würde bei alleiniger Berücksichtigung des Unterwertverkaufs de facto auf 10 Jahre verlängert werden. Festzuhalten ist also, dass neben den Unterwertverkauf noch weitere Umstände hinzutreten müssen, um auf die Vorsatzanfechtung und deren längeren Anfechtungszeitraum zu gelangen. Damit ist zwar keine Entwarnung verbunden, allerdings entschärft dies gewissermaßen das Risiko einer Vorsatzanfechtung.
Ferner stützte der BGH sich auf verdächtige Begleitumstände: Es war vereinbart, dass der Kaufpreis direkt auf das Treuhandkonto desjenigen Notars gezahlt werden sollte, der die ursprüngliche Veräußerung an die Schuldnerin beurkundet hatte. Die Beklagte selbst zahlte auf dieses Treuhandkonto lediglich EUR 48.000. Die Schuldnerin hatte ihr jedoch zuvor EUR 50.000 überwiesen. Ferner hat die Schuldnerin selbst auf das Treuhandkonto eingezahlt, obwohl sie auch ihre eigene Kaufpreisverpflichtung hätte begleichen können. Die übrigen Zahlungen hat die Darlehensgeberin der Schuldnerin auf dieses Treuhandkonto eingezahlt. Im Grunde genommen hat die Beklagte damit Eigentum an den Grundstücken erworben, ohne selbst dafür zu zahlen. Über das Innenverhältnis zwischen der Beklagten und der Darlehensgeberin war zudem nichts bekannt.
Die Kenntnis des Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz wurde über die Vermutung nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO hergeleitet
Die Kenntnis der Beklagten nimmt der BGH über die Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO an. Dabei ging er davon aus, dass die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit kannte, weil sie von den Umständen der Zahlungseinstellung Kenntnis hatte. Auch die zweite Voraussetzung des Vermutungstatbestandes war erfüllt, da eine Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung anzunehmen ist, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt. Dies wird – wie im hiesigen Fall – bei einem unternehmerisch tätigen Schuldner vermutet.
Die Bandbreite an für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz einzubeziehenden Beweisanzeichen nach § 286 ZPO ist weit
Die Entscheidung zeigt, dass für die erforderliche gerichtliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO hinsichtlich des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes sämtliche Anzeichen in einer Gesamtwürdigung berücksichtigt werden können.
Dabei ist der Katalog der vom BGH aufgestellten Beweisanzeichen nicht abschließend. Die Anzahl der möglichen Beweisanzeichen ist nach oben hin offen. Der BGH hat die Beweisanzeichen allerdings gewissermaßen kategorisiert, indem er sie in solche aufteilt, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und die Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung betreffen. Den Unterwertverkauf ordnet der BGH als unmittelbare Gläubigerbenachteiligung den Umständen zu, unter denen die Rechtshandlung erfolgt. Festzuhalten ist jedoch, dass allein der Unterwertverkauf die Vorsatzanfechtung nicht rechtfertigt, sondern nur in der Zusammenschau mit der erkannten Zahlungsunfähigkeit sowie der verdächtigen Begleitumstände rund um die Überweisung des Kaufpreises auf das Treuhandkonto.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.