20. März 2025
Insolvenzanfechtung
Restrukturierung und Insolvenz

Die Grundlagen der Insolvenzanfechtung – eine Einführung

Mit der Insolvenzanfechtung kann der Insolvenzverwalter unter Umständen abgeflossenes Vermögen zurückfordern. Wir geben einen Überblick über die Thematik.

In den Wochen und Monaten vor einer Insolvenz versuchen Betroffene häufig, noch zu retten, was zu retten ist. Dies geschieht entweder durch den Schuldner selbst oder ihm nahestehende Personen, häufig aber auch durch Gläubiger.

Vermögensabflüsse vor der Insolvenz können unter gewissen Voraussetzungen vom Insolvenzverwalter zurückgeholt werden, sofern die Gläubiger dadurch benachteiligt worden sind.

Einleitung: Zweck und Funktionsweise der Insolvenzanfechtung

Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen § 1 S. 1 InsO. Dazu wird das in der Einzelzwangsvollstreckung geltende Prioritätsprinzip, wonach Gläubiger ohne Rücksicht auf andere Gläubiger in das Vermögen des Schuldners vollstrecken können, aufgehoben zugunsten der gemeinschaftlichen Verwertung des schuldnerischen Vermögens. Dieses Vermögen reicht üblicherweise nicht mehr aus, um alle Gläubiger zu befriedigen.

Ziel der Insolvenz ist es deshalb, das verbliebene Vermögen gerecht an die Gläubiger zu verteilen. Es gilt das Prinzip der gemeinschaftlichen Befriedigung. Die Gläubiger bilden eine „Schicksalsgemeinschaft″: Die Verluste sollen – zumindest unter den Gläubigern ohne Sicherungsrechte – gemeinschaftlich getragen werden. Jeder (mit Ausnahme von Gläubigern, die über Sicherungsrechte verfügen) soll den gleichen prozentualen Anteil am Restvermögen erhalten.  Dieses Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung (und Verteilung der Verluste) wird aber gestört, wenn einzelne Gläubiger kurz vor der Insolvenz noch eine volle Befriedigung für ihre Forderung erhalten, obwohl sie bereits wussten, dass der Schuldner insolvent ist oder weil sie noch Leistungen erhalten haben, die sie (noch) nicht oder nicht in der Art und Weise hätten erhalten sollen. Deshalb hat der Insolvenzverwalter im Rahmen der Insolvenzanfechtung und unter den in den §§ 129-147 InsO genannten Voraussetzungen die Möglichkeit, solche Rechtsgeschäfte anzufechten, die zu einer Benachteiligung der übrigen Gläubiger geführt haben.

Grundregel: Keine Anfechtung ohne Gläubigerbenachteiligung

Vor Prüfung eines Anfechtungsgrunds muss nach § 129 Abs. 1 InsO die Grundvoraussetzung jeder Insolvenzanfechtung vorliegen: Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung, die die Gläubiger benachteiligt.  Der Begriff der Rechtshandlung ist weit zu verstehen als jede bewusste Willensbetätigung mit rechtlicher Wirkung. § 129 Abs. 2 InsO stellt klar, dass neben aktivem Tun auch ein Unterlassen genügt. Anfechtbar sind danach neben jeglichen Rechtsgeschäften (etwa Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte, Kündigungen oder Verzichte) auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (z.B. Mahnungen) und Prozesshandlungen (bspw. Anerkenntnis nach § 307 ZPO sowie Realakte (wie Verbindung, Vermischung, Verarbeitung nach §§ 946 ff. BGB.

Jede Insolvenzanfechtung setzt außerdem voraus, dass eine Gläubigerbenachteiligung eingetreten ist. Fehlt eine solche, gibt es keinen Grund für den Insolvenzverwalter, eine Rechtshandlung rückabzuwickeln.  Eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger liegt vor, wenn die angefochtene Rechtshandlung die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger verkürzt, vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert. Es kommt entscheidend darauf an, ob das Aktivvermögen gemindert oder die Verbindlichkeiten vermehrt worden sind. Nach wirtschaftlichen Maßstäben ist zu ermitteln, ob bei objektiver Betrachtung die Befriedigungschancen der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung günstiger gewesen wären. 

Eine Gläubigerbenachteiligung liegt z. B. vor, wenn Zahlungen geleistet werden, weil sich dann die Bankguthaben oder Barmittel des späteren Schuldners vermindern. Auch Dienst- oderWerkleistungen können eine Benachteiligung begründen, wenn durch sie ein Gläubiger vor anderen bevorzugt wird. Die übrigen Gläubiger können aber auch durch die Übernahme fremder Verbindlichkeiten oder durch den Abschluss eines äußerst ungünstigen Vertrags benachteiligt werden. Andererseits fehlt es an einer Benachteiligung, wenn wertloses oder wertübersteigend belastetes Vermögen vom Schuldnerübertragen wird, denn in diesem Fall hätten die übrigen Gläubiger auch ohne die Weggabe keine Befriedigungsaussicht gehabt.  Die Anfechtungsgründe im Einzelnen  Neben den allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen, die soeben erläutert wurden, müssen die besonderenVoraussetzungen der einzelnen Anfechtungstatbestände der §§ 130 bis 137 InsO erfüllt sein.

Im Einzelnen:

Kongruenzanfechtung, § 130 InsO

Erhält ein Gläubiger in den letzten drei Monaten vor der Insolvenz eine Leistung vom Schuldner, dieser in der Art und Weise und zu dieser Zeit tatsächlich beanspruchen konnte (eine solche Leistung wird auch als kongruent, weil vertragsgemäß, bezeichnet), kommt nur eine Anfechtung nach § 130Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht.  Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO ist bei einer Leistung innerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag, dass der Schuldner bereits zahlungsunfähig war und der Gläubiger dies wusste. Erfolgt eine Leistung erst nach demInsolvenzantrag, reicht für die Anfechtung die Kenntnis des Leistungsempfängers von demInsolvenzantrag oder der Zahlungsunfähigkeit aus.  Ausreichend für die (positive) Kenntnis des Gläubigers ist die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Die Kenntnis wird zudem vermutet bei nahestehenden Personen (z. B. Ehegatten, Kinder, Eltern, Organe juristischer Personen etc.).

Inkongruenzanfechtung, § 131 InsO

Anfechtungsrechtlich verdächtig sind Leistungen, die ein Gläubiger nicht, nicht zu der Zeit oder nicht in dergeschuldeten Art und Weise beanspruchen durfte. In solchen Fällen spricht man von einer inkongruenten Leistung, weil sich die konkrete Leistung und die vertraglich geschuldete Leistung nicht decken, sie also nicht kongruent sind. Erhält ein Gläubiger somit etwas anderes, als er zu beanspruchen hatte, sollte er bereits aufgrund dieser Inkongruenz Verdacht schöpfen. Deshalb ist die Inkongruenz ein deutliches Zeichen für die Krise des Schuldners, denn üblicherweise gewährt ein Schuldner nur das, was er vertraglich auch schuldet.

Folglich sind die Anfechtungsvoraussetzungen bei inkongruenten Deckungen geringer: Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind inkongruente Leistungen ohne Weiteres anfechtbar, wenn der Gläubiger sie im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag erhalten hat. Nach § 131 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO sind inkongruente Leistungen, die der Gläubiger im zweiten oder dritten Monat vor dem Insolvenzantrag erhalten hat, anfechtbar, wenn der Schuldner in diesem Zeitraum bereits objektiv zahlungsunfähig war oder wenn dem Gläubiger der Eintritt einer Benachteiligung der übrigen Gläubiger bekannt war. Ob der Gläubiger von der Krise des Schuldners Kenntnis hatte, als er die Deckung erhielt, ist bei einer inkongruenten Deckung im Regelfall also irrelevant.  Unmittelbarkeitsanfechtung, § 132 InsO  § 132 InsO regelt einen Auffangtatbestand. Er ermöglicht die Anfechtung aller in der Krise des Schuldners vorgenommenen Handlungen, für welche kein ausreichender Gegenwert fließt (sog. Verschleuderungsgeschäfte). Das Rechtsgeschäft muss – im Gegensatz zu §§ 130, 131 InsO – die Gläubiger unmittelbar benachteiligen (die Benachteiligung muss sich also unmittelbar aus der Vornahme des Geschäfts ergeben), ansonsten sind die Voraussetzungen dieselben wie bei der Kongruenzanfechtung. Gemäß § 132 Abs. 2InsO sind auch Rechtshandlungen anfechtbar, durch welche der Schuldner ein Recht verliert, nicht mehr geltend machen kann oder durch die ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen ihn erhalten oder durchgesetzt wird.

Vorsatzanfechtung, § 133 InsO

Ein in der Praxis sehr wichtiger Tatbestand ist in § 133 InsO geregelt. Wichtig ist er deshalb, weil Rechtshandlungen bis zu vier, in Ausnahmefällen sogar bis zu zehn Jahre rückwirkend angefochten werden können. Dies führt z. B. bei laufenden Geschäftsbeziehungen teilweise zu einem erheblichen Anfechtungsvolumen und damit – manchmal erst Jahre später – zu einem erheblichen Ausfall auf Seiten des betroffenen Gläubigers. Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO, die sog. „Vorsatzanfechtung″, ist eine Rechtshandlung des Schuldners (eine Handlung des Gläubigers wie z. B. eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme, bei der der Schuldner nicht aktiv mitwirkt, reicht also nicht aus), die dieser mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat. Außerdem muss der Leistungsempfänger diesen Vorsatz gekannt haben. Auch hier wird die Anfechtung dadurch erleichtert, dass die Kenntnis gewisser Umstände (Beweisanzeichen) für den Nachweis des Schuldnervorsatzes und die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon ausreichen kann. Als Beweisanzeichen in Betracht kommen zum einen solche, die die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung betreffen. Diese Indizien sind vielfältig. Dazu zählen wiederholte Mahnungen, Vollstreckungsandrohungen oder Vollstreckungsmaßnahmen, geplatzte Lastschriften, längerfristige Zahlungsrückstände, eine „Bugwelle“ an Verbindlichkeiten oder eigene Erklärungen des Schuldners, nicht zahlen zu können. Aber auch Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung können für einen Benachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO sprechen. Zu diesen Umständen zählen etwa Vermögensverschiebungen, zu denen es bereits im Vorfeld einer wirtschaftlichen Krise kommen kann, die Gewährung einer inkongruenten Deckung, die Bewirkung einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung oder die Übertragung von Vermögensgegenständen an nahestehende Dritte. 

Der Erfolg der Vorsatzanfechtung hängt im Grunde immer davon ab, welche Begleitumstände dem Anfechtungsgegner bekannt waren. Knackpunkt ist, ob der Insolvenzverwalter genügend Indizien vortragen kann, aufgrund derer ein Gericht annimmt, dem Gläubiger war die drohende oder bereits eingetretene Insolvenz bereits bekannt. Günstig für den Gläubiger sind wiederum gegenläufige Indizien, wie z. B. der zwischenzeitliche vollständige Ausgleich aller Forderungen, Aussagen des Schuldners über eine günstige Auftragslage oder Pressemitteilungen über den Einstieg neuer Investoren. Hilfreich ist es außerdem, möglichst wenig Hinweise auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners zu kennen. 

Im Streitfall muss ein Gericht alle für und gegen die Anfechtung sprechenden Indizien in einer Gesamtwürdigung bewerten. Zuletzt hat der BGH die Anforderungen wieder etwas erhöht: Erhält ein Gläubiger eine kongruente, also genau die vertraglich geschuldete Leistung, ist diese nur anfechtbar, wenn der Schuldner bei der Leistung zahlungsunfähig war und erkannte oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können.

Schenkungsanfechtung, § 134 InsO

Ein nicht so häufiger Tatbestand ist die Schenkungsanfechtung gemäß § 134 InsO. Davon erfasst sind alle unentgeltlichen, d.h. ohne objektiv ausgleichenden Gegenwert erbrachten Leistungen des Schuldners, die dieser innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgenommen hat. Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der etwas unentgeltlich, also als Geschenk oder ohne Gegenleistung empfängt, weniger schutzwürdig ist. Deshalbknüpft die Schenkungsanfechtung allein an die Unentgeltlichkeit der Leistung an und verlangt insbesondere keine Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer drohenden oder bereits eingetretenen Insolvenz.

Sonstige Anfechtungsgründe

Die übrigen Anfechtungsgründe stehen v.a. im Zusammenhang mit der Kapitalerhaltung bei juristischen Personen. § 135 Abs. 1 InsO richtet sich (allein) gegen die unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter, die mindestens zehn Prozent der Gesellschaftsanteile halten. Anfechtbar sind insbesondere alle Darlehensrückzahlungen oder vergleichbare Leistungen, die ein Gesellschafter im letzten Jahr vor einem Insolvenzantrag noch erhalten hat. Sicherheiten, die ein Gesellschafter von „seiner″ Gesellschaft erhalten hat, können sogar rückwirkend bis zu zehn Jahre vor dem Antrag angefochten werden. Die Anfechtung einer Rückgewähr von Einlagen und der Erlass einer Verlustbeteiligung bei einer stillen Gesellschaft sind in § 136 InsO normiert. § 137 InsO betrifft Wechsel- und Scheckzahlungen. Beide Vorschriften haben nur eine geringe praktische Bedeutung.   

Anfechtungsausschluss bei Vorliegen eines sog. Bargeschäfts nach § 142 InsO

Von der Anfechtung ausgenommen sind nach § 142 Abs. 1 InsO sog. „Bargeschäfte″. Ein Bargeschäft liegt vor, wenn der Schuldner und der Gläubiger die vertraglich konkret geschuldeten Leistungen, die zudem gleichwertig sein müssen, in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (Faustregel: binnen 30 Tagen) austauschen. Wirtschaftlich wird hier das Vermögen nicht gemindert, sondern ein Vermögenswert wird ausgetauscht gegen einen gleichwertigen anderen. Für die Gläubiger ist dieser Tausch grundsätzlich neutral. Deshalb soll ein Bargeschäft nur in engeren Grenzen anfechtbar sein, wenn nämlich der Schuldner trotz der Gleichwertigkeit unlauter handelt und der Empfänger diese Unlauterkeit auch erkennt. Da ein Bargeschäft zwingend voraussetzt, dass die vertraglich geschuldeten Leistungen ausgetauscht werden, scheidet es von vornherein bei inkongruenten Leistungen aus.

Rechtsfolge, §§ 143  bis 146 InsO

Ficht der Insolvenzverwalter eine Leistung erfolgreich an, muss der Gläubiger dasjenige, was er durch die angefochtene Rechtshandlung erlangt hat, zurückgewähren (§ 143 Abs. 1 InsO). Grundsätzlich sind die empfangenen Vermögenswerte in natura zurückzuführen. Ist die Rückgewähr des konkreten Gegenstandes nicht (mehr) möglich, ist Geldersatz zu leisten. Nur in sehr engen Grenzen kann sich der Anfechtungsgegner auf eine Entreicherung berufen. Im Gegenzug lebt die Forderung des Gläubigers, die in anfechtbarer Weise erfüllt wurde, wieder auf, § 144 Abs. 1 InsO.

Der Gläubiger kann diese Forderung sodann zur Insolvenztabelle anmelden und erhält hierauf die Quote, die auch alle anderen Gläubiger erhalten. Auch etwaige Sicherungsrechte für die wiederauflebende Forderungen kommen in der Regel wieder zur Geltung. In der Rückgewährpflicht des Anfechtungsgegners bei gleichzeitigem Wiederaufleben seiner Forderung zeigt sich der eingangs erläuterte Zweck der Anfechtung: Der Anfechtungsgegner gewährt den Sondervorteil zurück und erhält im Gegenzug die gleiche Quote wie die übrigen Gläubiger, die zudem durch die Rückgewähr für alle Gläubiger etwas höher ausfällt.    

Tags: Grundlagen Insolvenzanfechtung