Zu Treuepflichten von Gesellschaftern (Stichwort "Sanieren oder Ausscheiden") gibt es umfangreiche Rechtsprechung und Literatur – ein Überblick und Ausblick.
In Unternehmenskrisen kommt es häufig zu Streit zwischen den Gesellschaftern über Erforderlichkeit, Art und Höhe von Sanierungsbeiträgen. Sind konkrete Maßnahmen erstmal identifiziert worden, wird zur Umsetzung in der Regel ein Gesellschafterbeschluss erforderlich. Erreicht dieser nicht die nötige Mehrheit, weil einzelne oder wenige Gesellschafter nicht bereit sind mitzumachen, kann das ganze Vorhaben blockiert oder vereitelt werden. Die Folge ist oft, dass eigentlich sanierungsfähige Unternehmen in ein Insolvenzverfahren geraten.
Sind drei von vier Gesellschaftern beispielsweise zu einer Kapitalerhöhung bereit, werden sie das in der Regel nur dann sein, wenn der vierte Gesellschafter nicht von ihren Beiträgen profitiert und seine Anteile dadurch aufgewertet werden, dass die anderen drei Gesellschafter Beiträge zur Sanierung und zum Erhalt des Unternehmens leisten. Besonders dann, wenn im Gesellschaftsvertrag hierzu keine Regelungen getroffen worden sind, ist Streit vorprogrammiert. Häufig stellt sich dann die Frage, ob der vierte Gesellschafter auch zur Erbringung von Sanierungsbeiträgen gezwungen werden kann oder Maßnahmen zumindest nicht blockieren können darf. Zudem werden die drei sanierungswilligen Gesellschafter den vierten Gesellschafter nicht mehr in der Gesellschaft haben wollen.
Treuepflichten als Lösungsansatz der Rechtsprechung
Gesetzliche Regelungen gibt es hierzu nicht. Den Gesellschaftern ist bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags grundsätzlich ein weiter Spielraum überlassen. Dies gilt auch für die Anwendung des Mehrheitsprinzips und dem damit verbundenen Minderheitenschutz. Als Korrektiv hat die Rechtsprechung die sogenannten Treuepflichten entwickelt, die zwar in Ausgestaltung und Umfang in vielen Details umstritten sind, im Grundsatz jedoch allgemein anerkannt werden.
Diese sollen aus der Mitgliedschaft und der damit verbundenen Möglichkeit der Einflussnahme auf die Interessen der übrigen Gesellschafter und der Gesellschaft selbst folgen. Auch Minderheitsgesellschafter können, gerade in Sanierungssituationen, durch faktische Vetopositionen großen Einfluss ausüben. Durch Treuepflichten wird die Ausübung des Stimmrechts aus der Mitgliedschaft begrenzt. Damit sind Treuepflichten Ausfluss des schuldrechtlichen Prinzips von Treu und Glauben. Da auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss, bestimmt sich der Umfang und Inhalt von Treuepflichten stets nach den Umständen des Einzelfalls. Das macht sie wiederum nur schwer greifbar. Langjährige Gerichtsverfahren sind oft die Folge.
Das Verbot der Blockade als Grundfall
Der einfachste Anwendungsfall für Treuepflichten in Unternehmenskrisen ist das Blockadeverbot. Beschließen etwa die drei Gesellschafter aus dem Beispiel oben eine Kapitalerhöhung und ist diese zwingend notwendig, um die Gesellschaft vor der Insolvenz zu bewahren, soll der vierte Gesellschafter diesen Beschluss nicht ohne vernünftigen Grund blockieren dürfen. Dies gilt entsprechend für Beschlüsse, mit denen die nötigen Anpassungen im Gesellschaftsvertrag vorgenommen werden sollen.
Als Vergleichsmaßstab wird dabei das Alternativszenario Liquidation/Insolvenz herangezogen. Stünde der obstruierende Gesellschafter in dem Fall gleich oder schlechter, stehen keine berechtigten Interessen entgegen.
Beitragspflicht – Unterscheidung nach Rechtsformen
Soll der vierte Gesellschafter hingegen verpflichtet werden, selbst einen Beitrag zu leisten, muss nach Rechtsform unterschieden werden. Bei Personengesellschaften (GbR, OHG und Komplementäre bei der KG) gilt der Grundsatz der persönlichen Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Im Fall der Liquidation oder Insolvenz müssten alle Gesellschafter für einen eventuellen Fehlbetrag haften. In dem Fall können Treuepflichten auch zu einer Beitragspflicht führen.
Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (z.B. GmbH und AG) haften Gesellschafter jedoch grundsätzlich nur mit ihrer Einlage für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sofern diese vollständig erbracht ist. Darüber hinaus kann von ihnen kein Beitrag verlangt werden, da sie auch bei Liquidation und Insolvenz nicht haften würden. Das OLG Karlsruhe hatte zuletzt mit Urteil vom 22. April 2016 (Az. 4 U 226/15) auch die Beitragspflicht eines Kommanditisten einer KG bejaht. In diesem Fall war jedoch im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass dieser über die Kommanditeinlage hinaus für einen Fehlbetrag haftet. Diesen Betrag hätte ein Insolvenzverwalter geltend machen können – so das Gericht.
Liegen die Voraussetzungen vor, kann der blockierende Gesellschafter durch die Treuepflicht zur Zustimmung bei der Beschlussfassung gezwungen werden, wenn diese erforderlich ist.
Ausscheiden als Folge der Verweigerung
Neben der Zustimmung zu Beschlüssen über die Erbringung von Sanierungsbeiträgen und unter Umständen der Leistung von Sanierungsbeiträgen selbst, kann die Treuepflicht dazu führen, dass ein blockierender Gesellschafter gezwungenermaßen aus der Gesellschaft ausscheidet.
Bei Kapitalgesellschaften können die übrigen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft zunächst eine vereinfachte Kapitalherabsetzung beschließen. Damit wird das nominelle Eigenkapital der Gesellschaft der tatsächlichen Situation angepasst. Anschließend kann eine Kapitalerhöhung beschlossen werden, bei der der blockierende Gesellschafter kein Bezugsrecht erhält. Auf diese Weise ändert sich dessen Anteil an der Gesellschaft auf null und er scheidet aus.
Bei Personengesellschaften hingegen kann eine Mitgliedschaft auch mit einem Kapitalanteil von null weiter bestehen. In dem Fall müssten die verbleibenden Gesellschafter noch beschließen, dass der blockierende Gesellschafter ausscheidet, etwa indem seine Anteile eingezogen oder übertragen werden. Ermöglicht der Gesellschaftsvertrag dies nicht, kann eine Gestaltungsklage auf Ausschluss des Gesellschafters erhoben werden.
Entscheidend ist, ob den übrigen Gesellschaftern die Fortsetzung der Gesellschaft mit dem blockierenden Gesellschafter unzumutbar geworden ist. Der BGH hält es für treuwidrig, wenn sich ein Gesellschafter einerseits nicht an der Sanierung beteiligen, aber andererseits nach der erfolgreichen Sanierung in der Gesellschaft verbleiben wolle. Den sanierungswilligen Gesellschaftern sei dies deshalb nicht zuzumuten, da der andere Gesellschafter dann einen wirtschaftlichen Vorteil in der Weise erlange, dass er nicht nur an potenziellen künftigen Gewinnen beteiligt sei, sondern auch von einer Verbindlichkeit befreit würde, die im Zerschlagungsfall von ihm zu leisten wäre. Im Ergebnis soll dadurch jedes Trittbrettfahrer-Verhalten ausgeschlossen werden.
Der dahinterstehende Gedanke leuchtet ein und ist dem Gesellschaftsrecht immanent – nur wer unternehmerisches Risiko übernimmt, soll auch von den Chancen profitieren können. Ein Profitieren auf Kosten der anderen Gesellschafter widerspricht Sinn und Zweck des Gesellschaftsvertrags.
Lösung im Insolvenzverfahren über Insolvenzplan
Im Insolvenzrecht können seit der ESUG-Reform im Jahr 2012 auch die Rechte der Gesellschafter in Insolvenzpläne einbezogen werden. Es sind dort alle Regelungen möglich, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind. Einzig die Mehrheitsverhältnisse sind andere. Werden Gesellschafter in Insolvenzpläne einbezogen, stimmen Sie in einer eigenen Gruppe ab. Ihr Stimmrecht innerhalb der Gruppe richtet sich nach der Höhe ihrer Beteiligung. Da die Mehrheit der Gruppen dem Plan zustimmen muss, können die Gesellschafter überstimmt werden. Das Verhältnis zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht ist inzwischen weitgehend in der Rechtsprechung geklärt worden. Hierzu hat auch der Fall Suhrkamp beigetragen.
In der Insolvenz braucht es also den Umweg der Treuepflichten nicht zwingend, da das Gesetz mit dem Insolvenzplan ein Instrument bereitstellt, um Blockadesituationen obstruierender Gesellschafter (oder Gläubiger) zu überwinden.
Lösung im künftigen präventiven Restrukturierungsrahmen
Mit dem Reformvorhaben zum künftigen präventiven Restrukturierungsrahmen besteht die Chance, die Thematik auch außerhalb der Insolvenz durch gesetzliche Regelung zu lösen. Eine umfangreiche Rechtsprechung, wie derzeit im Gesellschaftsrecht, wäre dann nicht mehr nötig. Dies würde allen Beteiligten Zeit und Kosten ersparen und erheblich zur Rechtssicherheit und zu den Erfolgsaussichten von Sanierungen beitragen. Zudem kann eine Lösung rechtsformneutral erfolgen.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass Rechte der Gesellschafter in Restrukturierungspläne einbezogen werden können und diese, wie bei Insolvenzplänen auch, als Gruppe abstimmen und dabei überstimmt und gebunden werden können. Dies natürlich nur, wenn die formellen Regeln eingehalten worden sind und die Rechte der Gesellschafter nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Anders als in der Insolvenz sind die Anteile der Gesellschafter jedoch nicht faktisch entwertet. Hierfür müsste eine Lösung gefunden werden.
Die Einbeziehungslösung ist zweischneidig. Für einen funktionalen präventiven Restrukturierungsrahmen ist die Möglichkeit der Einbeziehung der Rechte der Anteilsinhaber wesentlich. Andernfalls wäre eine Vielzahl von Sanierungsoptionen von vorneherein abgeschnitten. Insofern gelten die im Rahmen der ESUG Reform angestellten Erwägungen zu Insolvenzplänen entsprechend. Allerdings sind damit Eingriffe in das Eigentum der Gesellschafter, also in grundrechtlich geschützte Positionen, verbunden. Diese bedürfen der Rechtfertigung.
Bedenkt man aber, dass bereits die drohende Zahlungsunfähigkeit den Eintritt in ein Insolvenzverfahren mit deutlich höherer Eingriffsintensität ermöglicht und die Rechtsprechung zu „Sanieren oder Ausscheiden″ bereits im Vorfeld der Insolvenz den Verlust der Mitgliedschaft zur Folge haben kann, erscheint eine interessengerechte Lösung bei der Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens durchaus möglich.
Fazit: Neuregelung als Chance
Die Rechtsprechung zu „Sanieren oder Ausscheiden″ ist in Unternehmenskrisen Blaupause und Auslaufmodell zugleich. Sie war nötig, da der Gesetzgeber ein wesentliches Praxisproblem der Unternehmenssanierung bislang ungeregelt gelassen hat. Die Chance auf eine interessengerechte Neuregelung sollte genutzt werden.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt.