Am 28. März 2019 hat das EU-Parlament die Richtlinie zum künftigen "Präventiven Restrukturierungsrahmen" beschlossen.
Damit ist die Grundlage für einen einheitlichen Rechtsrahmen für präventive Restrukturierung innerhalb Europas geschaffen. Bislang gibt es einen „Flickenteppich″ an Regelungen in der EU: teilweise existieren gar keine Regelungen, teilweise sind ausgetüftelte Verfahren vorgesehen. Den Gefahren und Risiken derartiger Regelungsunterschiede wirkt die neue Richtlinie nunmehr entgegen.
DieRichtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen der Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren(„Restrukturierungsrichtlinie″) ging aus den Triloggesprächen zwischen EU-Parlament, Europäischem Rat und der EU-Kommission zum Richtlinienentwurf COM(2016) 723 final vom 22. November 2016 hervor. Der Entwurf wiederum basierte auf einer Empfehlung der EU-Kommission vom 12. März 2014 („new approach to business failure and insolvency″).
Ein weiterer Eckpfeiler auf dem Weg zu einem Präventiven Restrukturierungsrahmen in Deutschland und Europa ist damit gesetzt. Die Mitgliedstaaten haben nunmehr nach Veröffentlichung der Richtlinie zwei Jahre für die Umsetzung der Vorgaben in nationales Recht Zeit. Diese Frist kann in Ausnahmefällen auf Antrag um ein Jahr verlängert werden.
In Deutschland ist davon auszugehen, dass man die Umsetzungsfrist nicht voll ausschöpfen wird und schon bald Vorschläge zur Umsetzung in deutsches Recht vorgelegt werden. Diese sollen zugleich mit den Ergebnissen der ESUG Evaluation vom Oktober 2018 in Einklang gebracht werden.
Präventiver Restrukturierungsrahmen in Deutschland spätestens ab 2022
Spätestens bis 2022 wird es in Deutschland somit einen Präventiven Restrukturierungsrahmen (auch „vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren″ genannt) geben. Es kann sich dabei um ein oder mehrere Verfahren oder isolierte Maßnahmen handeln.
Die neue Rechtslage wird den Umgang mit Unternehmenskrisen und Restrukturierungen grundlegend verändern. Zum ersten Mal eröffnet ein Rechtsrahmen außerhalb des Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, Sanierungsmaßnahmen unter schützenden Bedingungen in einheitlicher Weise mit den Beteiligten abzustimmen und umzusetzen, ohne dass es der Herstellung eines Konsenses bedarf oder einzelne Beteiligte das Vorhaben blockieren könnten.
Kern der Instrumente der neuen Richtlinie sind Restrukturierungspläne. In diesen können vielfältige Regelungen getroffen werden, die der Restrukturierung des Schuldners dienen. Die von diesen Regelungen betroffenen Gläubiger stimmen über die Restrukturierungspläne nach dem Mehrheitsprinzip ab. Die Abstimmung erfolgt dabei – ähnlich wie bei Insolvenzplänen – in Gruppen bzw. Klassen, wobei bei der Einteilung dieser Gruppen/Klassen den wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten Rechnung getragen wird. Werden einzelne Gläubiger überstimmt, muss der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt werden. Das Gericht prüft dann insbesondere die Einhaltung der Verfahrensvorschriften und die Frage der unangemessenen Benachteiligung der Betroffenen. Nur dann und auch nur soweit die Betroffenen entsprechend einbezogen worden sind, entfaltet der Restrukturierungsplan bindende Wirkung.
Der laufende Geschäftsbetrieb muss während der Erstellung und Aushandlung eines Restrukturierungsplans vor Störungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger oder durch den Wegfall betriebsnotwendiger Vertragsverhältnisse geschützt werden. Um diesen Schutz zu ermöglichen, kann das zuständige Gericht eine Art „Schutzzeitraum″, der dem vorläufigen Insolvenzverfahren ähnelt, das sogenannte Moratorium, anordnen. Dabei dürfen die Interessen der Gläubiger nicht unangemessen beeinträchtigt werden. An die Anordnung und Aufhebung von Moratorien sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist die Laufzeit auf zunächst vier, höchstens jedoch zwölf Monate begrenzt.
Ferner ist in der neuen Richtlinie geregelt, dass neue Finanzierungen, die innerhalb einer Präventiven Restrukturierung gewährt werden, im Fall einer späteren Insolvenz vor Anfechtungen durch den Insolvenzverwalter geschützt werden.
Bessere Sanierungskultur als Ziel, jedoch Spielräume bei der Umsetzung
Die neue Richtlinie gilt für alle EU Mitgliedstaaten. Deshalb erhofft sich die EU, dass die Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen in Europa insgesamt erleichtert wird und dadurch Insolvenzen vermieden werden können. Auch der Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen sollen gefördert werden, da die bislang stark unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten angeglichen werden. Dies ermöglicht es den Marktteilnehmern, unternehmerische Risiken besser einschätzen zu können. Zudem sollen Restrukturierungsmaßnahmen grundsätzlich früher unternommen werden, um deren Aussicht auf Erfolg zu erhöhen. Auch sollen die Kosten von Restrukturierungsprozessen gesenkt werden, damit gerade kleine und mittlere Unternehmen leichteren Zugang hierzu erhalten.
Ein Kritikpunkt der neuen Richtlinie ist, dass diese den Mitgliedstaaten in vielen Detailfragen erheblichen Spielraum bei der Umsetzung in nationales Recht lässt. Es ist daher gut möglich, dass einige Mitgliedstaaten eher leichtgängige Regelungen mit geringerem Schutzniveau für die Interessen der Beteiligten einführen. Andererseits könnte die Umsetzung auch eher strikt und mit hohen Verfahrenshürden ausfallen und so ein hohes Maß an Schutz der Einzelinteressen garantieren. In der Folge könnte dabei kurzfristig ein Wettbewerb der Rechtsordnungen drohen, da ein gut funktionierender Rechtsrahmen auch wirtschaftliche Vorteile bietet. Es wird sich letztlich über die Zeit zeigen, welche Konstruktionen sich in der Praxis bewähren werden.
Zu den Einzelheiten der Richtlinie und des künftigen Präventiven Restrukturierungsrahmens sowie den möglichen Auswirkungen werden wir in den kommenden Wochen mit weiteren Blogbeiträgen informieren.