2. Juli 2018
Insolvenzgründe
Restrukturierung und Insolvenz

Insolvenzgründe für Unternehmen – Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung verpflichten die Geschäftsleitung, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Die Überwachung der Insolvenzantragspflicht gehört zu den zentralen Pflichten der Vertretungsorgane von juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Diese müssen sich daher mit den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vertraut machen sowie ein System für ein zuverlässiges Monitoring einrichten.

Die Beratungspraxis zeigt, dass Unsicherheiten bezüglich der Voraussetzungen für das Vorliegen eines Insolvenzgrundes bestehen und viele Vertretungsorgane sogar Fehlvorstellungen unterliegen.

Insolvenzgründe – Rechtfertigung für Eingriffe in Rechtspositionen durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren greift sowohl in die Rechte des jeweiligen Insolvenzschuldners als auch in die Rechte der Gläubiger ein. Die Gläubiger werden mit der Insolvenzeröffnung zu einer Verlustgemeinschaft und tragen den Ausfall des Schuldners jeweils anteilsmäßig.

Bestrebungen, sich dieser Verlustgemeinschaft zu entziehen, werden von der Insolvenzordnung weitgehend unterbunden. Gläubigern wird zum Beispiel untersagt, Einzelzwangsvollstreckungen in das Schuldnerunternehmen zu betreiben oder Prozesse gegen den Insolvenzschuldner fortzusetzen. Diese Eingriffe in die Rechtspositionen der Gläubiger bedürfen im Hinblick auf die Eigentumsgrundrechte (Art. 14 GG) einer gesetzlich festgeschriebenen Rechtfertigung, weshalb § 16 InsO festlegt, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen Eröffnungsgrund voraussetzt.

Allgemeine und besondere Insolvenzgründe der Insolvenzordnung im Überblick

Die Insolvenzordnung unterscheidet zwischen dem „allgemeinen″ Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO) und anderen „besonderen″ Eröffnungsgründen. „Allgemein″ ist der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit, weil die Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund für jeden Schuldner und jede Verfahrensart gilt.

Für juristische Personen und gleichgestellte Rechtsträger (Personengesellschaften ohne voll haftenden Gesellschafter) gibt es zusätzlich die Überschuldung (§ 19 InsO) als besonderen Eröffnungsgrund. Hintergrund hierfür ist, dass eine natürliche Person im Gegensatz zu einer juristischen Person für die begründeten Verbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt haftet.

Bei juristischen Personen ist die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens erst bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit würde die Befriedigungsaussichten der Gläubiger von juristischen Personen erheblich einschränken. Mit dem Insolvenzgrund der Überschuldung sollte die Antragspflicht auf den Zeitpunkt vorverlagert werden, zu welchem ein unverändertes „Weiterwirtschaften″ von der Rechtsordnung nicht akzeptiert wird.

Daneben gibt es noch den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit als sogenannten „freiwilligen″ Insolvenzgrund. Die drohende Zahlungsunfähigkeit gewährt dem jeweiligen Schuldner ein Recht zur Antragstellung; jedoch keine Pflicht. Den Gläubigern ist eine Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit verwehrt.Der Gesetzgeber wollte damit eine Vorverlagerung der Einleitung eines Insolvenzverfahrens erreichen, um Unternehmenssanierungen innerhalb eines Insolvenzverfahrens zu fördern.

Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) als Insolvenzgrund – Gesetzliche Definition

Nach dem Gesetzeswortlaut liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn ein Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit wird daher durch eine Gegenüberstellung von Zahlungsmitteln und Zahlungsverpflichtungen ermittelt.

Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung folgende Auslegung des Wortlauts: Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Schuldner nicht innerhalb von drei Wochen in der Lage ist, 90 Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten zu begleichen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/1). Daraus folgt, dass die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in drei Schritten zu prüfen ist.

Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in drei Schritten

Als erster Schritt ist der Deckungsgrad der fälligen Verbindlichkeiten mittels einer Liquiditätsbilanz zu ermitteln. Eine solche Liquiditätsbilanz stellt die liquiden Mittel zu einem bestimmten Stichtag den fälligen Verbindlichkeiten gegenüber.

Liquide Mittel meint nicht nur das in der Kasse vorhandene Bargeld und das Guthaben auf den Konten bei Kreditinstituten. In die Gegenüberstellung dürfen auch die Kreditlinien und sicher zu erwartenden Forderungen als liquide Mittel mit einbezogen werden. Welche Forderungen noch mit einkalkuliert werden dürfen und ab wann eine Forderung nicht mehr sicher zu erwarten ist, ist allerdings wiederum pauschal schwer festzulegen und vom jeweiligen Einzelfall abhängig.

Die zu einem bestimmten Stichtag vorhandenen liquiden Mitteln sind den jeweils fälligen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Für die Bestimmung der Fälligkeit der Verbindlichkeit ist zunächst die Parteivereinbarung ausschlaggebend. Haben die Parteien keine Fälligkeitsabrede getroffen, ist eine Verbindlichkeit im Zweifel sofort fällig (§ 271 BGB). Dies bedeutet aber auch, dass gestundete Verbindlichkeiten erst an dem Datum fällig sind, das die Stundungsvereinbarung bestimmt. Eine Stundungsvereinbarung kann zwar mündlich zwischen den Parteien getroffen werden. Im Zweifel obliegt es aber dem antragspflichtigen Organ nachzuweisen, dass diese Forderung gestundet war und nicht auf der Passivseite der Liquiditätsbilanz berücksichtigt werden musste. In der Praxis ist die Bestimmung der Fälligkeit – insbesondere bei streitigen Forderungen – oftmals schwierig, so dass es sich empfiehlt diesbezüglich Rechtsrat einzuholen.

Neben dem Erfordernis der Fälligkeit fordert der BGH zusätzlich, dass Forderungen auf der Passivseite nur berücksichtigt werden müssen, wenn diese auch ernsthaft eingefordert wurden. An das Ernsthafte Einfordern stellt der BGH jedoch geringe Anforderungen und versteht diese Voraussetzung als eine Art Kontrollüberlegung, ob tatsächlich mit einer (sofortigen) Inanspruchnahme des Schuldners zu rechnen ist. Jedoch genügt hierzu jede Art von Gläubigerhandlung, aus der sich der Wille, Erfüllung zu verlangen, ergeben kann. Im Zweifel sollte besser davon ausgegangen werden, dass die Forderung auch ernsthaft wird. Nur wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Gläubiger mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden ist, kann eine Forderung gegebenenfalls nicht ernsthaft eingefordert sein. In keinem Fall wollte der BGH damit einen Freifahrtschein erteilen, dass die Anmahnung der Bezahlung abgewartet werden kann. Für ein ernsthaftes Einfordern ist das Übersenden der Rechnung bereits ausreichend.

Stellt man fest, dass die die liquiden Mittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht decken, ist in einem zweiten Schritt mittels eines dynamischen Finanzplans festzustellen, ob es sich bei der festgestellten Unterdeckung um eine nur vorübergehende Zahlungsstockung handelt. Lässt sich die Liquiditätslücke nämlich innerhalb von drei Wochen wieder komplett schließen, liegt noch keine Zahlungsunfähigkeit vor. In den dynamischen Finanzplan dürfen einerseits alle künftigen verfügbaren Mittel einbezogen werden, andererseits müssen nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH (BGH, 19.12.2017 – II ZR 88/16) auch alle fällig werdenden Verbindlichkeiten berücksichtigt werden.

Ergibt die Aufstellung, dass die Liquiditätslücke auch nach drei Wochen noch vorhanden ist, stellt sich in einem dritten Schritt die Frage, wie groß die Liquiditätslücke ist. Ist die Liquiditätslücke kleiner als 10 Prozent der gesamten fälligen Verbindlichkeiten und kann in absehbarer Zeit wieder beseitigt werden, liegt noch keine Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO vor.

Vermutung der Zahlungsunfähigkeit bei Zahlungseinstellung

Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit über komplizierte Rechnungen ist nicht erforderlich, wenn sich aus dem Gesamtverhalten des Schuldners für Außenstehende erkennbar ergibt, dass dieser seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO), da die Zahlungsunfähigkeit dann widerlegbar vermutet wird. Anzeichen dafür sind beispielsweise wiederholt nicht eingehaltene Zahlungszusagen, zurückgegebene Lastschriften, Pfändungen oder Vollstreckungen.

Überschuldung (§ 19 InsO) als Insolvenzgrund – Gesetzliche Definition

Den Insolvenzgrund der Überschuldung ist für die meisten juristischen Personen in § 19 InsO normiert. Sonderregelungen existieren beispielsweise für die Genossenschaft (§ 98 GenG) sowie für Kreditinstitute (§ 46b Abs. 1 KWG). Nicht verwechselt werden sollte die Überschuldung im handelsrechtlichen Sinne mit dem Überschuldungsbegriff nach § 19 InsO, der die insolvenzrechtlichen Anforderungen an den Eröffnungsgrund der Überschuldung definiert.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung setzte sich somit aus zwei Elementen zusammen: zum einen ist in einem Überschuldungsstatus zu ermitteln, ob eine rechnerische Überschuldung der juristischen Person vorliegt, zum anderen ist eine Prognose über deren Fortbestehen zu erstellen. Dabei gibt es nach überwiegender Meinung keine vorgegebene Prüfungsreihenfolge. Eine Überschuldung kann entweder anhand des Überschuldungsstatus oder anhand einer positiven Fortbestehensprognose ausgeschlossen werden.

Feststellung der Überschuldung: Aufstellung eines Überschuldungsstatus

Ob das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, stellt man mittels einer Aufstellung eines Überschuldungsstatus fest. Darunter ist eine stichtagsbezogener Status zu verstehen, in dem die Aktiva den Passiva des Schuldners zu Liquidationswerten gegenüber gestellt werden. Dies bedeutet, dass auf der Aktivseite stille Reserven zu berücksichtigen sind. Auf der Passivseite müssen aber auch die Liquidationsverbindlichkeiten und entsprechende Rückstellungen berücksichtigt werden. Bestehen Verbindlichkeiten, für welche ein sogenannter qualifizierter Rangrücktritt erklärt wurde, dürfen diese Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus für die Betrachtung der rechnerischen Überschuldung außer Acht gelassen werden.

Feststellung der Überschuldung: Erstellen einer Fortbestehensprognose

Ergibt sich anhand des Überschuldungsstatus eine rechnerische Überschuldung liegt der Insolvenzgrund der Überschuldung nur vor, wenn die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Ob dies der Fall ist, wird mittels einer sogenannten Fortbestehensprognose ermittelt. Dahinter verbirgt sich eine zukunftsorientierte Kostendeckungsrechnung, aus der sich ergibt, ob die Gesellschaft im Prognosezeitraum dauernd imstande ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose ist der Wille zur Fortführung des Unternehmens, ein realisierbares Unternehmenskonzept sowie eine sich aus dem Unternehmenskonzept abzuleitende Liquiditätsprognose, aus der erkennbar ist, dass das Unternehmen im laufenden und folgenden Geschäftsjahr jederzeit zahlungsfähig ist.

Dokumentationspflicht der geschäftsführenden Organe bei handelsbilanzieller Überschuldung

Nach der Rechtsprechung ist eine handelsbilanzielle Überschuldung ein Indiz für das Vorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Sobald eine solche vorliegt, ist zu prüfen, ob möglicherweise auch eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt. Damit sich als geschäftsführendes Organ im Streitfall entlasten kann, empfiehlt es sich entweder einen Überschuldungsstatus oder eine Fortführungsprognose zu erstellen und von einem Wirtschaftsprüfer plausibilisieren zu lassen.

Folgen des Eintritts der Insolvenzreife

Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, ist unverzüglich spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmens zu stellen. Wer diese Frist als geschäftsführendes Organ verletzt, setzt sich sowohl strafrechtlicher als auch zivilrechtlicher Haftung aus.

Praxishinweis: Monitoring von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

Nahezu zwingend ist ein funktionierendes Monitoring-System zur laufenden Überwachung der Insolvenzgründe im Unternehmen einzuführen. Ein solches sollte auf einer regemäßig aktualisierten dem Unternehmenskonzept angepassten Liquiditätsprognose basieren. Im Fall der handelsrechtlichen Überschuldung sollte das Bestehen einer Fortbestehensprognose hinreichend dokumentiert werden. Die Ausführungen zeigen allerdings auch, dass die Voraussetzungen für den Eintritt eines Insolvenzgrundes nicht immer klar auf der Hand liegen. In solchen Fällen sollte rechtzeitig Rechtsrat eingeholt werden.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt. 

Tags: Insolvenzgründe Überschuldung Zahlungsunfähigkeit