Die gesamte Insolvenzordnung ist geprägt vom Grundsatz der Gläubigerautonomie. Doch welche Rechte haben Gläubiger vor und während des Insolvenzverfahrens?
Autonomie bedeutet Selbstbestimmung und Selbstständigkeit. Gläubiger von Schuldnern, die sich in der Krise befinden oder bereits insolvent sind, sind jedoch häufig überfordert und wissen nicht, wie sie sich am besten gegenüber dem Schuldner verhalten sollen. Dennoch haben die Gläubiger weitreichende Möglichkeiten auf die Wahrung ihrer Interessen Einfluss zu nehmen. Neben den von der Insolvenzordnung vorgesehenen Rechten der Gläubiger können diese unter Umständen auch faktisch die Zukunft des Schuldners mitgestalten.
Verhinderung der Schuldnerinsolvenz
Zwar haben Gläubiger in der Krise ihres Schuldners keine speziell vom Gesetz vorgesehenen Rechte. Nicht selten jedoch haben (Groß-) Gläubiger entscheidenden Einfluss auf die Frage, ob der Schuldner Insolvenzantrag stellen muss oder nicht.
Entschließt sich ein Gläubiger etwa, seinem von der Insolvenz bedrohten Schuldner eine Stundung seiner Forderungen zu gewähren, kann dies dazu führen, dass der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit abgewendet wird. Auch durch Gewährung von Darlehen an das Schuldnerunternehmen kann beispielsweise die Bank als Gläubigerin eine Insolvenz des Schuldners abwenden. Nicht zuletzt durch einen debt-to-equity-swap – also das Erlöschen einer Forderung eines Gläubigers gegenüber dem Schuldnerunternehmen zugunsten einer entsprechenden Beteiligung – kann ein Gläubiger seinen Schuldner vor der Insolvenz schützen, wenn auch gegen einen hohen Preis.
Diese Möglichkeiten zur Verhinderung einer Insolvenz sollten allerdings nur dann sinnvollerweise in Erwägung gezogen werden, wenn die nachhaltige Beseitigung des (drohenden) Insolvenzgrundes überwiegend wahrscheinlich ist. Andernfalls besteht nicht nur die Gefahr, dass die eigene Position als Gläubiger dadurch verschlechtert wird, sondern der Gläubiger setzt sich damit sogar potentiellen Haftungsrisiken aus – im schlimmsten Fall kann dies sogar Beihilfe zur Insolvenzverschleppung darstellen. Andererseits kann eine Bank auch durch Kündigung eines Kredites und Einfordern der Rückzahlung die Insolvenz eines Schuldners auslösen.
Herbeiführung eines Insolvenzverfahrens
Die Insolvenzordnung sieht für den Gläubiger eine Handhabe vor, bereits auf den Beginn des Verfahrens Einfluss zu nehmen: Ein Gläubiger kann für seinen Schuldner Insolvenzantrag stellen (§§ 13 Abs. 1 S. 2, 14 InsO). An die Zulässigkeit eines solchen Gläubigerantrages werden allerdings hohe Anforderungen gestellt, wie etwa die Glaubhaftmachung der Forderung gegen den Schuldner und des Insolvenzgrundes.
Insbesondere Letzteres stellt Gläubiger oft vor große Herausforderungen, da sie naturgemäß selten Einblick in das Schuldnerunternehmen haben. Auch kann der Gläubiger das Kostenrisiko für den Fall der Abweisung des Antrages tragen. Ebenso haftet ein Gläubiger dem Schuldner für Schadensersatz, wenn schuldhaft zu Unrecht ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Die Stellung eines Insolvenzantrags ist daher im Vorfeld sorgfältig zu prüfen.
Im Insolvenzverfahren: Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und Gläubigerautonomie
Der Eintritt der Insolvenz entwertet faktisch Zahlungs- und Eigentumstitel eines Gläubigers. Der einzelne Gläubiger ist nicht mehr in der Lage, seine gegen den Schuldner gerichteten Ansprüche in eigener Regie durchzusetzen. Alle Gläubiger bilden ab diesem Zeitpunkt eine Gemeinschaft. Um den Eingriff in die Rechte jedes einzelnen Gläubigers zu kompensieren, erhalten die Gläubiger als Gruppe diverse Rechte zur Einflussnahme auf das Verfahren (Grundsatz der Gläubigerautonomie). Die Gläubiger als Gemeinschaft haben die Zügel in der Hand, während der Staat beziehungsweise das Insolvenzgericht eine überwachende Funktion hat. Gruppen aus mehreren Personen treffen häufig nur sehr langsam Entscheidungen, da sie sich abstimmen müssen. In einem Insolvenzverfahren jedoch muss eine ökonomisch sinnvolle Unternehmensfortführung gewährleistet sein und es sind häufig schnelle Entscheidungen erforderlich. Deshalb leitet ein Insolvenzverwalter das Verfahren im Sinne aller Gläubiger.
Die Insolvenzordnung sieht allerdings eine Reihe von eigenen Rechten für die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens selbst und auch im vorläufigen Verfahren vor, damit diese ihre Interessen wahren können. Bereits das Ziel der Insolvenzordnung ist den Gläubigern gewidmet: Nach § 1 Abs. 1 InsO sind die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich aus dem Haftungsvermögen des Schuldners zu befriedigen, ohne dass einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen bevorzugt werden dürfen. Es gilt der Grundsatz der sogenannten Gläubigergleichbehandlung („par conditio creditorum″).
Stellung und Rechte des einzelnen Gläubigers im Insolvenzverfahren
Die Gläubiger des Schuldners, welche zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine offene Forderung gegen diesen hatten, werden zu sogenannten Insolvenzgläubigern, deren Befriedigung durch den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz geprägt ist. Die Privilegierung bestimmter Gläubiger wird allenfalls durch das Gesetz vorgenommen.
Eine Insolvenzforderung ist von einer Masseforderung zu unterscheiden. Massegläubiger werden im Insolvenzverfahren anders behandelt, da deren Anspruch grundsätzlich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Daneben gibt es auch die sogenannten absonderungsberechtigten Gläubiger, die ein Absonderungsrecht an einem Gegenstand der Insolvenzmasse, z.B. Sicherungseigentum, haben. Der Insolvenzverwalter muss diese Gläubiger vorab aus dem Erlös des als Sicherheit dienenden Gegenstands befriedigen. Erst wenn etwas vom Verwertungserlös übrig bleibt, gehört es zur Insolvenzmasse. Allerdings fällt immer eine Feststellungs- und Verwertungspauschale zugunsten der Insolvenzmasse an. Dann nennt die Insolvenzordnung noch die aussonderungsberechtigten Gläubiger. Diese sind berechtigt aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts (Eigentum), Gegenstände, die im Besitz des Insolvenzschuldners sind, vom Insolvenzverwalter heraus zu verlangen.
Ebenfalls zu den Insolvenzgläubigern gehören die nachrangigen Insolvenzgläubiger. Diese sind nach den „regulären″ Insolvenzgläubigern zu bedienen. Die Insolvenzordnung gibt vor, dass beispielsweise Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung oder die Rückforderung eines Gesellschafterdarlehens nachrangige Insolvenzforderungen sind. Es ist – wie die dargelegten Beispiele zeigen – durchaus berechtigt, dass der Gesetzgeber diese Gläubiger, die weniger schutzwürdig sind, erst nach den regulären Insolvenzgläubigern befriedigt wissen will.
Durchsetzung der Forderung von Insolvenzgläubigern im Insolvenzverfahren
Um dem Ziel der Gläubigergleichbehandlung Rechnung zu tragen, erhält der Insolvenzgläubiger seine Forderung im Insolvenzverfahren ausschließlich nach den Regeln der Insolvenzordnung befriedigt: Die Forderungen müssen zur Insolvenztabelle angemeldet werden, um am Insolvenzverfahren teilzunehmen. Erst wenn die Höhe der tatsächlichen Masse feststeht, erhält der Insolvenzgläubiger am Ende des Insolvenzverfahrens eine (quotale) Befriedigung. Werden die Insolvenzgläubiger vollständig bedient – liegt also eine 100 Prozent Quote vor – werden die nachrangigen Insolvenzgläubiger aufgefordert, ihre Forderungen ebenfalls anzumelden. Diese erhalten dann wiederum eine quotale Befriedigung.
Informationsrechte der Gläubiger
Um der Informationsasymmetrie zwischen dem insolventen Schuldner und den anderen Beteiligten an einem Insolvenzverfahren, insbesondere den Gläubigern, vorzubeugen, sieht das Gesetz in § 4 InsO in Verbindung mit § 299 ZPO ein Akteneinsichtsrecht in die gerichtlichen Insolvenzakten vor. Zudem werden die Gläubiger vom Insolvenzverwalter im Rahmen der einberufenen Gläubigerversammlung über das Insolvenzverfahren informiert.
Mitwirkungsrechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren: Die Gläubigerversammlung
Die Gläubigerversammlung ist das Beschlussorgan der Gläubiger. Sie umfasst als größtes Gremium im Insolvenzverfahren alle Insolvenzgläubiger, auch die absonderungsberechtigten und nachrangigen Insolvenzgläubiger. Neben den Insolvenzgläubigern haben auch der Insolvenzverwalter, die Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Schuldner selbst ein Teilnahmerecht. Die Versammlung wird vom Insolvenzgericht einberufen. Mit der Gläubigerversammlung soll jedem Gläubiger die Möglichkeit gegeben werden, sich über das Insolvenzverfahren zu informieren und darauf Einfluss zu nehmen.
Die erste Sitzung der Gläubigerversammlung, der sogenannte Berichtstermin, dient der Information der Gläubiger. In diesem Termin soll der Insolvenzverwalter Auskunft unter anderem über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, die Möglichkeiten der Unternehmensfortführung bzw. -sanierung und insbesondere die Höhe der zu erwartenden Insolvenzquote geben. Ebenso besteht in diesem Termin die Möglichkeit über die Person des Insolvenzverwalters abzustimmen. Ist die Gläubigerversammlung mit dem vorläufigen vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter nicht einverstanden, kann sie einen neuen Insolvenzverwalter bestimmen.
Die Gläubigerversammlung hat weitreichende Befugnisse im Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter hat die Gläubiger zu informieren und die Zustimmung der Gläubigerversammlung zu bestimmten Maßnahmen einzuholen. So kann die Gläubigerversammlung über die Verwertung der Insolvenzmasse mitbestimmen und entscheidet darüber, ob das Unternehmen fortgeführt oder veräußert werden soll.
Stimmberechtigt sind die Gläubiger, deren Forderungen zur Tabelle angemeldet und unstreitig festgestellt wurden. Allerdings können auch Gläubiger, deren Forderung vom Insolvenzverwalter oder einem anderen Gläubiger bestritten wird, ein Stimmrecht erhalten. Eine Anwesenheitspflicht für den einzelnen Gläubiger besteht nicht, jedoch haben gefasste Beschlüsse der Gläubigerversammlung auch für abwesende Gläubiger Bindungswirkung.
Mitwirkungsrechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren: Der Gläubigerausschuss
Der Gläubigerausschuss dient als kleines Gremium der leichteren Koordination der Interessen der Gläubiger. Er kann nach § 67 InsO vom Insolvenzgericht bis zur ersten Gläubigerversammlung eingesetzt werden (sogenannter vorläufiger Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren), danach nur noch von der Gläubigerversammlung. Setzt das Insolvenzgericht den Ausschuss noch vor der ersten Gläubigerversammlung ein, beschließt diese darüber, ob und in welcher Besetzung der Ausschuss beibehalten werden soll. In der Praxis wird nur bei etwa 20 Prozent der Insolvenzverfahren ein Gläubigerausschuss eingesetzt. Dies ist vor allem in umfangreichen Insolvenzverfahren der Fall.
Der Gläubigerausschuss ist ebenfalls Ausfluss des Grundsatzes der Gläubigerautonomie. Er hat die Aufgabe, den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Ihm werden daher verschiedene Mitbestimmungsrechte eingeräumt. Aufgrund seiner geringeren Mitgliederzahl ist der Gläubigerausschuss flexibler als die Gläubigerversammlung. In einigen – zeitnah zu entscheidenden – Fällen hat der Gesetzgeber deshalb vorgesehen, dass der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat. Dies betrifft etwa die Entscheidung über die Stilllegung des schuldnerischen Betriebs. So wird ermöglicht, dass noch vor Zusammenkommen der Gläubigerversammlung eilige Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können. Die Mitglieder des Ausschusses sollen zudem den Insolvenzverwalter kontrollieren. So haben diese beispielsweise das Recht, die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und über den genauen Gang der Geschäfte informiert zu werden.
Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO ist seit März 2012 die Einsetzung eines (vor-) vorläufigen Gläubigerausschusses vor Verfahrenseröffnung möglich bzw. unter bestimmten Voraussetzungen auch zwingend. Der vorläufige Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren ermöglicht es, frühzeitig Einfluss auf die Wahl des Insolvenzverwalters, auf die Bestellung eines Sachverwalters und auf die Anordnung der Eigenverwaltung zu nehmen.
Gläubigerrechte im Insolvenzverfahren: Der Gläubiger ist seines Glückes Schmied
Die Insolvenz eines Schuldners ist kein Anlass zur Freude. Es gibt aber Möglichkeiten als Gläubiger auf das „ob″ und „wie″ des Verfahrens Einfluss zu nehmen und damit letztlich auch auf die Höhe der Befriedigungsquote. Es kann sich also durchaus lohnen, sich in der Insolvenz eines Schuldners engagiert zu zeigen und seine Rechte wahrzunehmen. Gläubigerautonomie bedeutet im Gegenzug auch, dass die Gläubiger ihre Interessen selbst wahren.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt.