4. Februar 2019
Insolvenz Aufrechnung
Restrukturierung und Insolvenz

Die Aufrechnung in der Insolvenz

Wird ein Vertragspartner insolvent, ist eine Aufrechnung von Forderungen nur noch eingeschränkt möglich.

Die Aufrechnung von Forderungen, oft auch Verrechnung genannt, ist aus dem Wirtschaftsleben nicht wegzudenken. Wenn zwei Personen einander Geld schulden, ist es viel einfacher, die Forderung des Geschäftspartners durch eine einseitige Aufrechnungserklärung zum Erlöschen zu bringen, als Beträge hin- und her zu überweisen.

Besonderheiten gelten, wenn einer der Geschäftspartner insolvent ist oder zu werden droht.

Eintritt der Aufrechnungslage vor Insolvenzeröffnung

Man stelle sich vor, dass ein Verkäufer von Ware von einem Käufer den Kaufpreis von EUR 100.000 verlangen kann, aber seinerseits dem Käufer aus einem anderen Grund EUR 50.000 schuldet. Ist über das Vermögen des Käufers das Insolvenzverfahren eröffnet worden, beträgt – dies ist eine realistische Annahme – die Insolvenzquote 5 % und wäre eine Aufrechnung kraft Gesetzes untersagt, müsste der Verkäufer an die Insolvenzmasse die vollen EUR 50.000 zahlen, erhielte aber aus der Masse nur EUR 5.000 (nämlich 5 % von EUR 100.000). Wirtschaftlich betrachtet müsste er also EUR 45.000 an die Insolvenzmasse zahlen (EUR 50.000 abzüglich EUR 5.000).

Dieses unbefriedigende Ergebnis hat der Gesetzgeber nicht gewollt. Deshalb hat er in § 94 der Insolvenzordnung (InsO) vorgesehen, dass ein Gläubiger, der im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zur Aufrechnung berechtigt war, dieses Recht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verliert. Für den obigen Beispielsfall bedeutet dies: Der Gläubiger (Verkäufer) darf mit seiner Forderung in Höhe von EUR 100.000 gegen den Anspruch des Schuldners (Käufers) in Höhe von EUR 50.000 aufrechnen. Dies führt dazu, dass der Anspruch des Schuldners erlischt (er ist geringer als die Gegenforderung des Gläubigers), der Gläubiger aber noch einen Anspruch gegen den Schuldner in Höhe von EUR 50.000 hat (nämlich EUR 100.000 abzüglich EUR 50.000). An die Insolvenzmasse muss der Gläubiger somit nichts mehr zahlen, er erhält aus ihr sogar noch EUR 2.500 (nämlich 5 % von 50.000 EUR), sofern die Insolvenzquote 5 % beträgt.

Voraussetzung ist, dass der Gläubiger bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zur Aufrechnung berechtigt war. In der Regel ist diese Voraussetzung aufgrund der §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erfüllt, wenn der Geldzahlungsanspruch des Gläubigers, mit dem er aufrechnen möchte, im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung fällig und durchsetzbar ist und die Geldforderung des Schuldners, gegen die er aufrechnen möchte, in diesem Zeitpunkt erfüllbar ist. Dass die Forderung des Gläubigers fällig und durchsetzbar sein muss, bedeutet, dass ein vereinbarter Fälligkeitszeitpunkt eingetreten ist und der Forderung keine Einrede, insbesondere kein Zurückbehaltungsrecht entgegensteht.

Weitere Voraussetzung ist, dass kein Aufrechnungsverbot vereinbart ist oder kraft Gesetzes besteht, wobei die gesetzlichen Aufrechnungsverbote in der Praxis des Wirtschaftslebens selten, die vertraglich vereinbarten hingegen gelegentlich vorkommen, wobei stets zu prüfen ist, ob sie wirksam sind. Dass die Gegenforderung erfüllbar sein muss, bereitet normalerweise kein Problem, weil es an der Erfüllbarkeit nur selten fehlt.

Eintritt der Aufrechnungslage nach Insolvenzeröffnung

Kompliziert wird es, wenn der Umstand, dass sich Gläubiger und Schuldner gegenseitig etwas schulden, erst nach der Insolvenzeröffnung entsteht. Für diese Aufrechnungslage gelten dann die §§ 95 und 96 InsO. Folgende Fälle sind zu unterscheiden:

  • Entsteht eine der aufzurechnenden Forderungen erst nach der Insolvenzeröffnung, ist eine Aufrechnung unzulässig. Der Gläubiger kann also nicht gegen Forderungen des Schuldners aufrechnen, die erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden sind. Praktische Bedeutung hat dies vor allem bei Dauerschuldverhältnissen, etwa einem Mietvertrag, bei dem der Schuldner Vermieter ist. Hat der Gläubiger Gegenforderungen, kann er mit ihnen nicht gegen die Ansprüche auf die Mieten aufrechnen, die für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung zu zahlen sind.
  • Sind beide aufzurechnenden Forderungen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits entstanden, ist eine von ihnen aber in diesem Zeitpunkt noch aufschiebend bedingt oder noch nicht fällig, kann der Gläubiger aufrechnen, sobald die Bedingung und die Fälligkeit eingetreten sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die Forderung des Gläubigers vor der Gegenforderung des Schuldners unbedingt und fällig wird. Wird der Anspruch des Schuldners als erster unbedingt und fällig, ist eine Aufrechnung ausgeschlossen.

Dieses Regel-Ausnahme-System kann nicht dadurch umgangen werden, dass man sich die Forderung eines anderen Gläubigers abtreten lässt und dann mit dieser gegen einen Anspruch des Schuldners aufrechnet. Denn ein Gläubiger, der seine Forderung erst nach der Insolvenzeröffnung von einem anderen Gläubiger erworben hat, kann grundsätzlich nicht aufrechnen (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Sonderfall: Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung

Eine besondere, aber in der Praxis häufige Konstellation hat der Gesetzgeber in § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelt. Hiernach ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn der Gläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Frage, wann eine Rechtshandlung anfechtbar ist, ist komplex. Hier soll nur auf zwei für die Praxis bedeutsame Fälle eingegangen werden:

  1. Der erste Fall ist der des Werthaltigmachens der Gegenforderungen durch den Schuldner. Man stelle sich vor, dass der Gläubiger eine Forderung gegen den Schuldner hat und der Schuldner gegenüber dem Gläubiger zur Erbringung von Werkleistungen, etwa zur Herstellung eines Gebäudes, verpflichtet ist. Zu einer Zeit, zu der die Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 129 ff. InsO erfüllt sind (vereinfacht gesagt: der Schuldner ist zahlungsunfähig und ist sich dessen bewusst, auch der Gläubiger hat die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners erkannt), baut der Schuldner das Gebäude und der Gläubiger nimmt diese Leistungen entgegen. Hierdurch wird der Werklohnanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger werthaltig und außerdem fällig.
    Man könnte daher meinen, dass der Gläubiger nun mit seiner Forderung gegen diesen Werklohnanspruch aufrechnen könnte. Dies hat der Gesetzgeber aber nicht gewollt, weil der Gläubiger die Werkleistung in anfechtbarer Weise erlangt hat. Denn dadurch, dass der Schuldner seine letzten Vorräte (Zement, Stahlträger etc.) aufgebraucht hat, um das Haus zu errichten, wurde allein dieser eine Gläubiger begünstigt. Die anderen Gläubiger hingegen wurden benachteiligt, weil die Vorräte nun nicht mehr verwertet werden können, um alle Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen. Deshalb hat der Gesetzgeber für den Fall des Werthaltigmachens der Gegenforderung des Schuldners zu einer Zeit, zu der die Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind, die Aufrechnung nicht gewollt. Dies bedeutet im Beispielsfall, dass der Gläubiger an die Insolvenzmasse die Werklohnforderung in voller Höhe zahlen muss und aus ihr für seinen eigenen Anspruch nur die Insolvenzquote erhält.
  1. Der zweite Fall, in dem eine Aufrechnungslage anfechtbar hergestellt wurde und die Aufrechnung infolge dessen unzulässig ist, ist der, dass die Gegenforderung des Schuldners nicht nur werthaltiggemacht, sondern auch erst begründet wird.
    Man stelle sich wiederum vor, dass der Gläubiger gegen den Schuldner einen Anspruch hat. Nunmehr, zu einer Zeit, zu der die Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind (vereinfacht gesagt: der Schuldner zahlungsunfähig ist und der Gläubiger hiervon weiß), bestellt der Gläubiger bei dem Schuldner Ware. Folge hiervon ist, dass eine Gegenforderung des Schuldners entsteht (nämlich der Anspruch auf den Kaufpreis für die Ware).
    Wäre eine Aufrechnung nun möglich, würde jeder Gläubiger, der eine Insolvenz seines Geschäftspartners befürchtet und damit rechnet, auf seine Forderung nur noch die Insolvenzquote zu erhalten, schnell noch dafür sorgen, dass eine Gegenforderung des Schuldners gegen ihn entsteht (im Beispielsfall durch die Bestellung von Waren bei seinem Schuldner). Denn hierdurch könnte er aufrechnen, mit der Folge, dass er wirtschaftlich betrachtet mehr erhält als die Insolvenzquote. Denn er erhält ja die neuen Waren, die einen höheren Wert haben dürften als die Insolvenzquote für seine Geldforderung. Um dies zu verhindern, hat der Gesetzgeber für solch einen Fall die Aufrechnung ausgeschlossen.

Die vorstehenden Fälle sind komplex, weil stets gründlich zu prüfen ist, ob wirklich alle Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind. So ist eine Anfechtung etwa ausgeschlossen und damit eine Aufrechnung zulässig, wenn ein Bargeschäft vorliegt.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. MasseforderungVerkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das  französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt. 

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