Die Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit hat ihre Tücken und kann für den Antragsteller auch zu einer Haftungsfalle werden.
Der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird auch als freiwilliger Insolvenzgrund bezeichnet. Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 18 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Ist eine Gesellschaft drohend zahlungsunfähig, hat die Geschäftsführung dieser Gesellschaft ein Recht zur Insolvenzantragstellung.
Eine Pflicht zur Antragstellung besteht jedoch nicht. Dieses Recht steht auch nur dem potentiellen Insolvenzschuldner zu – nicht auch dessen Gläubiger.
Normzweck der drohenden Zahlungsunfähigkeit
Mit der Einführung des Insolvenzgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für Unternehmen setzen, möglichst frühzeitig ein Insolvenzverfahren einzuleiten, um die Chancen einer Sanierung während des Insolvenzverfahrens zu erhöhen. In der Praxis des Insolvenzrechts spielt die drohende Zahlungsunfähigkeit allerdings bei der Einleitung von Insolvenzverfahren nur eine untergeordnete Rolle.
Dies rührt einerseits daher, dass die Geschäftsführung eines Unternehmens sich regelmäßig scheut, das Unternehmen im Wege eines Insolvenzverfahrens zu sanieren und „das Zepter an einen Insolvenzverwalter abzugeben″. Andererseits ist es häufig schwierig für einen Geschäftsführer einzuschätzen, in welchem Maße Gesellschafter in den Entscheidungsprozess über die Stellung eines Insolvenzantrags bei drohender Zahlungsunfähigkeit einzubeziehen sind. Ebenso schwer einzuschätzen ist, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen eine Antragstellung ohne die Zustimmung der Gesellschafter möglicherweise nach sich zieht.
Antragsberechtigung bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingeschränkt
Grundsätzlich regelt § 15 InsO das Insolvenzantragsrecht für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Danach ist zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens jedes Mitglied des Vertretungsorgans berechtigt. Bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien hat jeder persönlich haftende Gesellschafter, sowie jeder Abwickler das Recht zur Antragstellung (§ 15 Abs. 1 Satz 1).
Diese generelle Regelung wird für den Fall der Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 3 InsO eingeschränkt. Voraussetzung für die Befugnis zur Antragstellung ist danach, dass das Mitglied des Vertretungsorgans vertretungsberechtigt ist, sofern nicht alle Mitglieder des Vertretungsorgans den Antrag gemeinsam stellen. Voreilige, nicht abgestimmte Anträge sollen bei nicht bestehender Antragspflicht auf diese Weise vermieden werden.
Somit ist entscheidend für die Antragsberechtigung, ob das Organ einzel- oder gesamtvertretungsberechtigt ist. Bei Einzelvertretungsmacht liegt ohne Weiteres die Befugnis zur Insolvenzantragsstellung vor (§ 18 Abs. 3 InsO). Bei Gesamtvertretung ist der Antrag von den vertretungsberechtigten Personen gemeinsam zu stellen.
Pflicht zur Einbeziehung der Gesellschafter
Auch aus Sicht des Gesellschaftsrechts sind Besonderheiten bei der Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu beachten. Aus Sicht der Gesellschafter besteht nämlich das Risiko, dass das Unternehmen zu früh „in die Insolvenz geschickt wird“. Für die Geschäftsführung stellt sich daher die Frage, anhand welcher Kriterien die Geschäftsführung eine Entscheidung für oder gegen eine Antragstellung bei Vorliegen von drohender Zahlungsunfähigkeit zu treffen hat.
Diese Entscheidung muss sich an § 43 GmbHG / § 93 AktG messen lassen. Daraus folgt die Stellung eines Insolvenzantrags bei drohender Zahlungsunfähigkeit als ein pflichtgemäßes Verhalten der Geschäftsführung. Ist die Antragstellung nicht pflichtgemäß, haftet die Geschäftsführung dem Gesellschafterkreis für mögliche durch die Antragstellung entstandene Schäden persönlich.
Nimmt man an, dass es sich bei der Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit um eine unternehmerische Entscheidung handelt, ist die Entscheidung nach Maßgabe der Business Judgement Rule zu treffen. Danach muss die Entscheidung, einen Insolvenzantrag zu stellen, zum Wohle der Gesellschaft sein und darf nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Somit steht bei der Entscheidungsfindung gerade nicht der Wille der Gesellschafter im Mittelpunkt. Dennoch verlangt die herrschende Meinung die Einbindung der Gesellschafter vor der Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit. Den Gesellschaftern soll die Möglichkeit eingeräumt werden, die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Es wird vertreten, dass vor Antragstellung eine Gesellschafterversammlung einzuberufen ist. Auf dieser Versammlung soll die Geschäftsführung die Gesellschafter über die bevorstehende Insolvenzreife der Gesellschaft hinweisen und mögliche Sanierungsoptionen darstellen. Auf diese Weise soll den Gesellschaftern auch die Möglichkeit eingeräumt werden, die drohende Insolvenzreife zu beseitigen. Darüber hinaus verlangt die herrschende Meinung einen Gesellschafterbeschluss für die Frage, ob ein Insolvenzantrag im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit gestellt werden darf.
Umstritten ist, ob die Geschäftsführung sich einem ablehnenden Beschluss widersetzen darf, wenn der Gesellschafterwille nicht dem Gesellschaftsinteresse entspricht. Dafür spricht, dass die Geschäftsführung primär dem Wohle der Gesellschaft verpflichtet ist und nicht dem der Gesellschafter. Auf der sicheren Seite ist der Geschäftsführer allerdings in jedem Fall, wenn sie nicht gegen den Willen der Gesellschafter handelt. Liegt nämlich ein ablehnender Beschluss vor, obliegt es der Geschäftsführung im Streitfall gute Gründe vorzubringen, die belegen, dass der Gesellschafterwille dem Gesellschaftsinteresse entgegen stand und eine Antragstellung sinnvoll war. Auf die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags wirkt sich die Nichteinholung eines entsprechenden Beschlusses allerdings nicht aus.
Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit
Die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist eine Prognose. Diese Prognose wird durch die Aufstellung eines Finanzplans ermittelt, in welchem die prognostizierten Einzahlungen den absehbaren Auszahlungen für einen gewissen Zeitraum gegenübergestellt werden.
Umstritten ist, für welchen Zeitraum die Finanzplanung aufgestellt werden muss. Es wird diesbezüglich eine Zeitspanne von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren vertreten. Die überwiegende Ansicht vertritt aber einen Prognosezeitraum bis zum Ablauf des übernächsten Geschäftsjahrs. Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Prognose anhand des Finanzplans ergibt, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher (über 50 Prozent) ist als deren Vermeidung.
Überschneidung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Oftmals liegt neben dem Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch der Insolvenzgrund der Überschuldung vor. Damit wird das Recht der Geschäftsführung, einen Antrag zu stellen, zu einer Verpflichtung.
Überschuldung liegt gemäß § 19 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Eine insolvenzrechtliche Überschuldung ist ausgeschlossen, wenn eine positive Fortführungsprognose vorliegt. Sowohl die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung als auch das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit werden mit dem gleichen Instrumentarium, dem Finanzplan, festgestellt.
Aus diesem Grund liegt es nahe, dass bei dem Vorliegen von drohender Zahlungsunfähigkeit auch die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung negativ ausfällt. Ist die Gesellschaft rechnerisch überschuldet, dann liegt auch der Insolvenzgrund der Überschuldung vor.
Eine rechnerische Überschuldung liegt vor, wenn bei der Aufstellung des Überschuldungsstatus die Summe der Passiva die der Aktiva (jeweils zu Liquidationswerten) übersteigt. Somit hat der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur in der folgenden Konstellation einen eigenen Anwendungsbereich: Die Zahlungsfähigkeitsprognose und damit auch die Fortbestehensprognose fällt negativ aus, aber das zu Liquidationswerten bewertete Vermögen übersteigt die bestehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft. In dieser Konstellation ist die Gesellschaft nicht nach § 19 InsO überschuldet und damit besteht keine Insolvenzantragspflicht. Es liegt nur der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit vor. Dann hat die Geschäftsführung das Recht über die Insolvenzantragstellung zu entscheiden.
Aufwertung des freiwilligen Insolvenzgrundes durch das ESUG
Aufgrund des großen Überschneidungsbereichs zum Insolvenzgrund der Überschuldung spielt die drohende Zahlungsunfähigkeit bei der Insolvenzantragstellung keine große Rolle. Mit der Einführung des ESUG 2012 wurde der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit jedoch etwas „aufgewertet″. Die Möglichkeit der Durchführung eines sogenannten Schutzschirmverfahrens wird nämlich nur eröffnet, wenn noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. In den meisten Fällen wird aber neben der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die Überschuldung vorliegen, so dass im Ergebnis der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch diesbezüglich eine nur untergeordnete Rolle spielt.
Unsere Beitragsreihe informiert rund um die Restrukturierung eines Unternehmens innerhalb und außerhalb einer Insolvenz. Den Auftakt machte eine Einführung in die Unternehmensinsolvenz und -restrukturierung. In den folgenden Beiträgen beleuchteten wir die Haftung von Geschäftsführern bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sowie das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis. Des Weiteren widmeten wir uns der Reform zum neuen Insolvenzanfechtungsrecht, der Insolvenzantragspflicht und den Insolvenzgründen für Unternehmen. Anschließend berichteten wir über die Entscheidung des EuGH zum Beihilfecharakter der Sanierungsklausel sowie die Vorverlagerung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit. Daraufhin setzten wir uns mit dem Ablauf des Insolvenzantrags und des Insolvenzeröffnungsverfahrens und dem Insolvenzantrag durch Gläubiger auseinander. Danach wurde die Insolvenzforderung vs. Masseforderung, Verkürzung des Schutzes durch D&O – Versicherungen und Forderungen und Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz betrachtet. Weiter erschienen Beiträge zum Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit – Entmachtung des Gesellschafters oder Haftungsfalle für die Geschäftsführung, zu Gläubigerrechten in der Krise oder Insolvenz des Schuldners, zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung sowie zu Pensionsansprüchen des beherrschenden GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH-Insolvenz. Es folgten Beiträge zum Schutz vor der Insolvenzanfechtung durch Bargeschäfte und der Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne. Anschließend erschien ein Beitrag zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters sowie Beiträge zum fehlenden Fiskusprivileg in der vorläufigen Eigenverwaltung, der ESUG Evaluation und zur Mindestbesteuerung in der Insolvenz. Auch erschienen Beiträge zur Aufrechnung in der Insolvenz, zu Aus- und Absonderungsrechten und zum Insolvenzplanverfahren sowie zum Lieferantenpool. Weiter haben wir zu Folgen und Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, über das Konzerninsolvenzrecht und die Treuepflichten in der Krise sowie Cash Pooling als Finanzierungsinstrument im Konzern berichtet. Zuletzt klärten wir über die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Zahlungen in der Krise, über das französische Insolvenzverfahren, die Procédure de Sauvegarde und Sauvegarde financière accélérée, sowie die Forderungsanmeldung und Haftung von Geschäftsleitern für Verletzungen von Steuerpflichten auf. Ebenfalls zeigen wir die Grundlagen von Sanierungskonzepten und Sanierungsgutachten auf und gehen auf das Verhältnis von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld ein. Zuletzt haben wir uns mit dem Datenschutz im Asset-Deal beschäftigt.