26. Mai 2023
Kleinbeteiligtenprivileg
Restrukturierung und Insolvenz

BGH urteilt zur Beschränkung des Kleinbeteiligtenprivilegs

BGH: Darlehensgebende Minderheitsgesellschafter müssen ab jetzt bedenken, dass das Kleinbeteiligtenprivileg nicht zwangsläufig zu ihren Gunsten greift.

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 26. Januar 2023 (IX ZR 85/21) vertieft mit der Frage auseinandergesetzt, in welchen Fallkonstellationen sich der Minderheitsgesellschafter* einer insolventen Gesellschaft auf das sog. „Kleinbeteiligtenprivileg“ gem. § 39 Abs. 5 InsO berufen kann.

Diese Frage ist insbesondere dann relevant, wenn es um die etwaige Nachrangigkeit eines Darlehensrückzahlungsanspruches gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder aber um die Anfechtbarkeit bereits erhaltener Darlehensrückzahlungen (oder erfolgter Darlehensbesicherungen) gem. § 135 InsO zulasten des Gesellschafters geht. Sofern das Kleinbeteiligtenprivileg greift, ist der Gesellschafter vor einer Nachrangigkeit seiner Forderung oder gar einer Anfechtung durch den Insolvenzverwalter geschützt. In seinem Urteil hat der BGH die Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs nunmehr eingeschränkt. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Praxis. 

Grundsatz: Benachteiligung des Darlehensgebers im Unternehmen

Wie bereits im Beitrag zu Austauschgeschäften mit Gesellschaftern und Anfechtungsrisiken aus § 135 InsO vertieft ausgeführt, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass darlehensgebende Gesellschafter weniger schützenswert als außerhalb des Unternehmens stehende Darlehensgeber sind. Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen soll derjenige, der unmittelbar vom Unternehmenserfolg profitiert, auch das höhere (Ausfall-)Risiko tragen. Ein Darlehensgeber, der über seine Gesellschaftsanteile auch direkt am Erfolg der Gesellschaft partizipiert, kann eine höhere Rendite erwirtschaften als ein Fremdkapitalgeber, der ausschließlich über einen festen Zinssatz am Unternehmenserfolg teilhat. Zum anderen wird angenommen, dass der darlehensgebende Gesellschafter einen besseren Einblick in das Unternehmen als der externe Finanzierer hat. Er kann damit die Risiken, die er mit einer Finanzierung eingeht, deutlich besser einschätzen und verfügt daher über einen Wissensvorsprung, der über die erhöhten Anfechtungsrisiken ausgeglichen wird. Darüber hinaus ist es nur dem darlehensgebenden Gesellschafter möglich, durch seine Gesellschafterrechte Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens auszuüben. Der Fremdkapitalgeber hat weniger Einflussmöglichkeiten; eine Absicherung über Covenants kommt nicht an eine Gesellschafterstellung heran.

Diesen strukturellen Unterschieden bei der Finanzierung trägt der Gesetzgeber in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und in § 135 InsO Rechnung. Während es sich bei Rückzahlungsforderungen von Fremdkapitalgebern üblicherweise um Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO handelt, die (im unbesicherten Fall) bei einer Quotenausschüttung gleichmäßig befriedigt werden, sehen sich darlehensgebende Gesellschafter mit § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO konfrontiert. Diese Norm bestimmt, dass Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, im Verhältnis zu allen anderen Forderungen (außer weiteren Forderungen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) nachrangig befriedigt werden. Dies bedeutet, dass eine Befriedigung erst in Betracht kommt, wenn alle vorrangigen Gläubiger vollständig befriedigt worden sind. In der Praxis ist dies aber die absolute Ausnahme, sodass ein Nachrang praktisch regelmäßig den vollständigen Verlust der Forderung bedeutet. Sofern die Gesellschafter im letzten Jahr vor einem Insolvenzantrag noch Rückzahlungen auf ihr gegebenes Darlehen oder innerhalb von zehn Jahren vor dem Antrag Sicherheiten für das Darlehen erhalten haben, kann dies im Rahmen der Insolvenzanfechtung nach § 135 InsO rückgängig gemacht werden. So soll eine Umgehung der Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Vorfeld der Insolvenz durch den besser informierten Gesellschafter verhindert werden. 

Schützende Ausnahme des Kleinbeteiligtenprivilegs

Allerdings hat der Gesetzgeber erkannt, dass nicht alle Gesellschafter gleich zu behandeln sind. Denn je höher die Beteiligung des Gesellschafters am schuldnerischen Unternehmen ist, desto höher sind seine mögliche Rendite am Unternehmenserfolg sowie sein Einfluss auf das Unternehmen. Im Gegenzug soll er aber auch weniger schützenswert im Falle des Scheiterns des Unternehmens sein. Durch die Einführung des § 39 Abs. 5 InsO wollte der Gesetzgeber diesem Unterschied gerecht werden. Hiernach wird ein darlehensgebender Gesellschafter wie ein Fremdkapitalgeber (und damit ohne die negativen Folgen des Nachrangs) behandelt, wenn er keine geschäftsführenden Funktionen im Unternehmen hat und zu max. 10 % an der schuldnerischen Gesellschaft beteiligt ist. Ein beteiligungsbedingt nur geringer Einfluss soll nicht dazu führen, einem Mehrheitsgesellschafter mit entsprechenden Rechten gleich behandelt zu werden. Diese Ausnahme wird „Kleinbeteiligtenprivileg“ genannt. Über § 135 Abs. 4 InsO gilt diese Ausnahme konsequenterweise auch für die Anfechtung bereits erhaltener Rückzahlungen oder Besicherungen.

Neue Einschränkung des Kleinbeteiligtenprivilegs durch den BGH 

Der BGH schränkt die Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nunmehr mit dem Urteil vom 26. Januar 2023 (IX ZR 85/21) ein. In dem zu beurteilenden Fall waren mehrere Gesellschafter (mittelbar) an dem schuldnerischen Unternehmen beteiligt, einer von ihnen zu genau 10 %. Die Gesellschafter finanzierten mittelbar über ein Konsortium die Gesellschaft und erhielten als Sicherheit eine abgetretene Eigentümergrundschuld. Der Verwalter der in der Folge in Insolvenz geratenen Gesellschaft erklärte die Anfechtung gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO und forderte die Rückübertragung der Eigentümergrundschuld. Der Gesellschafter, der mit genau 10 % an der insolventen Gesellschaft beteiligt war, berief sich auf das Kleinbeteiligtenprivileg. Der BGH ließ dies mit der Begründung nicht gelten, dass zwischen den Gesellschaftern eine Finanzierungskoordination stattgefunden habe. Diese Koordination stelle eine die Anteile „überschießende unternehmerische Verantwortung“ dar. Die Folge sei, dass die Anteile der Gesellschafter addiert und dem Gesellschafter somit mehr als 10 % der Anteile i.S.d. § 39 Abs. 5 InsO zuzurechnen seien. Der Gesellschafter könne sich somit nicht auf das Kleinbeteiligtenprivileg § 39 Abs. 5 InsO berufen und war dementsprechend auch der Insolvenzanfechtung ausgeliefert. 

Konsequenzen für die Praxis

Aus diesem Urteil ergibt sich die Frage, wann eine sog. „überschießende unternehmerische Verantwortung“ angenommen werden kann und sich Minderheitsgesellschafter nicht mehr des Kleinbeteiligtenprivilegs sicher sein können. Die Beantwortung dieser Frage ist elementar für die Praxis, hat sie doch erheblichen Einfluss auf die Art und Weise einer Gesellschafterfinanzierung. Jedenfalls kann nicht bei jeder koordinierten Finanzierung eine überschießende unternehmerische Verantwortung angenommen werden. Vieles spricht lt. BGH jedoch dafür, diese anzunehmen, wenn eine wechselseitige Verpflichtung zur Leistung der Finanzierungsbeiträge und eine Innenausgleichsvereinbarung im Rahmen eines Konsortialvertrages zwischen den Gesellschaftern geschlossen worden sind. Ob bereits im Angesicht der Krise oder bereits weit davor (sogar länger als zehn Jahre) finanziert worden ist, sei hingegen nicht relevant. Diese Kriterien seien jedoch nicht abschließend.

Nach dem BGH bedeutet dies für die Praxis, dass die Frage des Vorliegens einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung nicht pauschal und stets nur für den Einzelfall beantwortet werden kann. Vermeintlich sichere Minderheitsgesellschafterfinanzierungen müssen durch fachlichen Rat individuell bewertet werden, um das Risiko eines wirtschaftlichen Schadens im Falle einer Insolvenz der finanzierten Gesellschaft zu minimieren. 

Vgl. zu dieser Entscheidung auch schon den Blogbeitrag zur Anfechtung trotz Kleinbeteiligtenprivileg aus der Sicht eines Bankrechtlers.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet. 

Tags: Kleinbeteiligtenprivileg Restrukturierung und Insolvenz
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Philipp Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen

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