Anfechtungsrisiken für Gesellschafter aus § 135 InsO drohen auch bei Verkehrs- und Austauschgeschäften!
Gesellschafter* einer Kapitalgesellschaft, die mit mindestens 10 % beteiligt sind, unterliegen in der Insolvenz besonderen Anfechtungsrisiken. Diese ergeben sich insbesondere aus § 135 InsO, der zentralen Vorschrift für die Anfechtung gegenüber Gesellschaftern. In erster Linie ist auf Abs. 1 zu verweisen: Rückzahlungen der Gesellschaft auf ein Gesellschafterdarlehen sind anfechtbar, wenn sie innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind. Sicherheiten, die der Gesellschafter von der Gesellschaft zur Absicherung des Rückzahlungsanspruches aus einem Gesellschafterdarlehen erhalten hat, sind sogar noch anfechtbar, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre vor einem Insolvenzantrag gewährt wurden.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 135 Abs. 1 InsO sind gering. Die Anfechtung ist daher aus Sicht des Insolvenzverwalters verhältnismäßig einfach. Subjektive Tatbestandsmerkmale, die bei anderen Anfechtungsvorschriften eine wichtige Rolle spielen, haben hier keine Bedeutung.
§ 135 Abs. 2 InsO wiederum unterwirft Zahlungen aus dem Vermögen der Gesellschaft zur Rückführung eines Darlehens, für das ein Gesellschafter eine persönliche Sicherheit übernommen hatte, der Anfechtung. § 135 Abs. 3 InsO regelt die Anfechtung im Fall einer Gebrauchsüberlassung von Gegenständen durch einen Gesellschafter.
Sinn und Zweck der besonderen Anfechtungsrisiken für Gesellschafter
Der Grund für die besondere anfechtungsrechtliche Haftung des Gesellschafters liegt darin, dass dieser nach der Rechtsprechung des BGH im Bereich der Finanzierung der Gesellschafter einer besonderen Verantwortung unterliegt. Er ist zwar grundsätzlich frei darin, wie er die Geschäftstätigkeit seiner Gesellschaft finanziert. Stellt er jedoch benötigte finanzielle Mittel im Wege eines Darlehens zur Verfügung, unterliegt er in der Krise und Insolvenz der Gesellschaft besonderen Regelungen, insbesondere dem verstärkten Anfechtungsrisiko des § 135 InsO.
Dahinter steckt die Überlegung, dass ein Gesellschafter über seine Beteiligung, also über das eingelegte Risikokapital, und in Höhe dieser Beteiligung die Gewinne der Gesellschaft erhält. Bei einer GmbH mit dem Mindestkapital von EUR 25.000,00 reicht somit bereits der Einsatz eines Risikokapitals in dieser Höhe aus, um im Erfolgsfall alle Gewinne beanspruchen zu können. Ein Darlehensgeber ohne Beteiligung erhält in aller Regel nur einen festen Zinssatz als Vergütung und keine Gewinnbeteiligung. Dafür kann er im Krisenfall sein Darlehen zurückverlangen und sich hierfür auch Sicherheiten einräumen lassen.
Würde der Gesellschafter einen über das Mindestkapital hinausgehenden Kapitalbedarf seiner Gesellschaft allein über Darlehen zur Verfügung stellen und würden diese Darlehen wie Drittdarlehen behandelt, würde der Gesellschafter einerseits über seine Beteiligung weiterhin die Gewinne in voller Höhe erhalten und er könnte andererseits im Falle des Scheiterns der Gesellschaft seine Gesellschafterdarlehen wie ein Drittdarlehensgeber auch zurückfordern und hierfür – im Insolvenzfall – die Insolvenzquote wie jeder andere beteiligte Gläubiger auch erhalten. Im Extremfall könnte sich der Gesellschafter sogar seine Darlehensforderungen vollumfänglich von der Gesellschaft besichern lassen, wenn es den § 135 InsO nicht gäbe.
Es leuchtet ein, dass dieses Ergebnis – voller Anspruch auf den Gewinn bei gleichzeitiger Risikominimierung für alle bereitgestellten Gelder über die Einlage hinaus – ungerecht wäre. Ein solches Ergebnis würde das wirtschaftliche Risiko einer Unternehmung einseitig zugunsten des Gesellschafters und zulasten aller übrigen Gläubiger auf letztere verschieben. Das zu vermeiden, ist ein Kernziel der Vorschrift des § 135 InsO.
Anwendung des § 135 InsO auch auf Austausch- und Verkehrsgeschäfte
§ 135 InsO ist unmittelbar anwendbar, wenn der Gesellschafter ein Darlehen gewährt hat. Schwieriger ist die Bewertung allerdings, wenn statt eines Darlehens allgemeine Verkehrs- und Austauschgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter abgeschlossen werden. Denkbar sind insoweit zahlreiche Konstellationen, z.B. Warenlieferungen, Dienstleistungen oder die Bereitstellung immaterieller Vermögensrechte.
Auch bei solchen allgemeinen Verkehrsgeschäften droht dem Gesellschafter in der Insolvenz die Gefahr einer Anfechtung nach § 135 InsO. Dieses Risiko wird jedoch häufig übersehen. Verlangt dann in der Insolvenz einer Gesellschaft der Insolvenzverwalter die Gegenleistung für die Lieferungen und Leistungen des Gesellschafters zurück, führt das zu einem bösen Erwachen.
Der Schaden lässt sich zudem auch nicht mehr verhindern. Echte Verteidigungsmöglichkeiten gibt es aufgrund der sehr wenigen Tatbestandsvoraussetzungen im Grunde nicht.
BGH konkretisiert Voraussetzungen für eine Anfechtung von Leistungen bei Austauschgeschäften
In einem Urteil des BGH vom 24. Februar 2022 (IX ZR 250/20) hat dieser die Voraussetzungen für eine Anfechtung von Leistungen, die der Gesellschafter aus einem verkehrsüblichen Austauschvertrag vor der Insolvenz noch erhalten hat, konkretisiert.
Entscheidend ist insoweit, ob die Forderung eines Gesellschafters aus einem Austauschgeschäft einem Gesellschafterdarlehen gleichzusetzen ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Forderung durch das Stehenlassen ihrer wirtschaftlichen Funktion nach der Leistung von Eigenkapital vergleichbar und daher auch wie Eigenkapital zu behandeln ist.
Wann diese Vergleichbarkeit vorliegt, bedarf einer genauen Prüfung des Einzelfalles, bei der die zugrunde liegenden Vereinbarungen und die konkreten Umstände des Stehenlassens der Forderung zu bewerten sind.
Keine Anfechtung nach § 135 InsO beim bargeschäftlichen Leistungsaustausch
Stundet der Gesellschafter einen fälligen Anspruch aus einem Austauschgeschäft rechtlich (z.B. durch eine mündliche oder schriftliche Vereinbarung) oder rein faktisch, hat die Forderung regelmäßig den Charakter eines Darlehens, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung der Gewährung eines Darlehens gleichsteht.
Anders sieht es hingegen aus, wenn Leistungen Zug um Zug oder innerhalb der Grenzen eines Bargeschäftes abgewickelt werden. In diesen Fällen fehlt es an einem Kredit an die Gesellschaft. Die Leistungen werden schließlich so ausgetauscht, wie bei einem Verkehrsgeschäft üblich, und so, wie auch ein Dritter Geschäfte durchführen würde. Als Bargeschäft wird dabei ein Leistungsaustausch bewertet, wenn die Leistungen in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gewechselt werden.
Der Zeitraum, der bei einem Leistungsaustausch noch innerhalb der Grenzen eines Bargeschäftes liegt, hängt vom Einzelfall und insbesondere von der Art der ausgetauschten Leistungen ab. Eine pauschale Antwort verbietet sich. Als Faustregel gilt insoweit nach der Rechtsprechung des BGH, dass ein Leistungsaustausch, bei dem zwischen Leistung und Gegenleistung mehr als 30 Tage liegen, regelmäßig kein Bargeschäft mehr darstellen wird.
Gesteigertes Anfechtungsrisiko bei Überschreiten der Grenzen eines Bargeschäfts
Eine Überschreitung des Zeitraums für ein Bargeschäft erhöht nach dem jüngsten Urteil des BGH das Anfechtungsrisiko, führt jedoch nicht zwingend zur Anwendbarkeit des § 135 InsO. Es ist vielmehr im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine Forderung bereits die Funktion eines Darlehens erfüllt oder ob noch ein marktübliches Austauschgeschäft vorliegt.
Bei der Bewertung kommt es maßgeblich auf die Vertragsgestaltung und die tatsächlichen Umstände an. Zu würdigen ist, ob bei objektiver Betrachtung von einer Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters zugunsten seiner Gesellschaft auszugehen ist oder noch von einem marktüblichen Leistungsaustausch. Geringfügige Überschreitungen marktüblicher Zahlungsfristen führen grundsätzlich noch nicht dazu, dass bereits von einer darlehensähnlichen Leistung auszugehen ist. Nur wenn der marktübliche Zeitrahmen für den Leistungsaustausch eindeutig überschritten wird, wandelt sich die stehengelassene Forderung zu einer darlehensähnlichen Leistung.
Nach der Auffassung des BGH ist eine solch eindeutige Überschreitung gegeben, sofern eine Forderung aus einem Austauschgeschäft über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten stehen gelassen wird. Demzufolge lässt sich der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen Streitfälle zukünftig entschieden werden müssen, recht klar eingrenzen. Werden die Leistungen innerhalb der Grenzen eines Bargeschäfts, also innerhalb von regelmäßig maximal 30 Tagen ausgetauscht, besteht kein Anfechtungsrecht. Wird der Zeitraum von drei Monaten überschritten, kann der Insolvenzverwalter eine Zahlung auf eine stehengelassene Forderung anfechten, sofern die Zahlung innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzantrag erfolgt ist. Alle Austauschgeschäfte zwischen dieser Bandbreite müssen im Einzelfall unter Würdigung aller Begleitumstände bewertet werden und können möglicherweise anfechtbar sein.
Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken
Der BGH stellt bei der Einzelfallbewertung auch darauf ab, ob ein Gesellschafter Maßnahmen zur Durchsetzung seiner Forderung ergriffen hat. Dazu zählen insbesondere Zahlungsaufforderungen und Mahnungen oder die Einleitung von Mahnverfahren.
Unterlässt es der Gesellschafter dagegen, irgendwelche Maßnahmen zur Geltendmachung seiner Forderung zu ergreifen, und lässt den Dingen buchstäblich seinen Lauf, stellt dies ein Indiz dar, dass bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. In einem solchen Fall besteht das Risiko, dass ein Gericht eine Kenntnis des Gesellschafters von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Gesellschaft unterstellt und die Untätigkeit des Gesellschafters als bewusste Finanzierungsentscheidung bewertet, um der Gesellschaft wertvolle Zeit einzuräumen. Dies wiederum ist ein Indiz dafür, dass eine faktische Stundung und damit eine Darlehensgewährung beabsichtigt war, wobei eine solche Bewertung naheliegt: Welcher Gesellschafter möchte schließlich derjenige sein, der durch Maßnahmen zur Durchsetzung einer Forderung den Geschäftsführer zu einem Insolvenzantrag zwingt?
Von daher kann Gesellschaftern nur dringend empfohlen werden, Forderungen aus allgemeinen Austauschgeschäften stets regelmäßig und innerhalb der vereinbarten Zahlungszeiträume ernsthaft einzufordern und auf eine rechtzeitige Zahlung durch die Gesellschaft zu drängen. Auf ganz sicherem Boden bewegt sich der Gesellschafter, der zunächst die Gegenleistung von der Gesellschaft erhält und erst im Anschluss seine Leistung bewirkt.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.