17. April 2023
Anfechtung Kleinbeteiligtenprivileg unternehmerische Verantwortung
Banking & Finance

Anfechtung trotz Kleinbeteiligtenprivileg

Gesellschafteranteile werden bei darüberhinausgehender unternehmerischer Verantwortung zusammengerechnet, sodass das Kleinbeteiligtenprivileg entfällt.

Am 26. Januar 2023 hat der BGH (Az.: IX ZR 85/21) entschieden, dass das Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO u.U. auch dann entfällt, wenn der geschäftsführende Gesellschafter* einer Kapitalgesellschaft nur mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist. Dies gilt für den Fall der Übernahme einer über den nominellen Geschäftsanteil hinausgehenden unternehmerischen Verantwortung, die zu einer Zusammenrechnung der Gesellschafteranteile führt.

Das Kleinbeteiligtenprivileg im Insolvenzverfahren

Grds. regelt § 39 V InsO, dass der nicht geschäftsführende Gesellschafter, der mit max. 10 % am Haftkapital beteiligt ist, im Insolvenzverfahren als Kleinbeteiligter privilegiert behandelt wird. 

Diese Privilegierung tritt zutage, soweit die Gesellschafterdarlehen oder Forderungen, die einem solchen wirtschaftlich entsprechen, gerade nicht gem. §§ 135 I, 39 I Nr. 5 InsO anfechtbar sind. Folglich müssen sie in der Insolvenz der Gesellschaft nicht zurückgewährt werden. Das Kleinbeteiligtenprivileg legt dafür in § 39 Abs. 5 InsO fest, dass § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für diese Gesellschafter nicht gilt und somit als notwendige Voraussetzung der Anfechtung für § 135 Abs. 1 InsO entfällt.

Sollte es also zur Insolvenz eines Unternehmens kommen, werden Gesellschafter unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob ihre Beteiligung am Haftkapital bei bis zu 10 % oder darüber liegt.

BGH: Anfechtung aufgrund der unternehmerischen Verantwortung auch dann möglich, wenn ein Gesellschafter mit nur 10 % am Haftkapital beteiligt ist

Im Urteil des BGH ging es um die Klage eines Insolvenzverwalters gegen eine GbR, der eine Eigentümerbriefgrundschuld am Betriebsgrundstück der insolventen GmbH abgetreten worden war. Diese Eigentümergrundschuld sollte Gesellschafterdarlehen absichern, musste aber nach erfolgreicher Anfechtung an die GmbH rückabgetreten werden. Dabei war u.a. zu klären, ob eine Anfechtung der Eintragung der Eigentümergrundschuld für alle Gesellschafter greift. Insbesondere war umstritten, ob auch der Gesellschafter mit lediglich 10 % Haftkapitalanteilen an der GmbH und der GbR von der Anfechtung betroffen ist oder ob für ihn das Kleinbeteiligtenprivileg gilt. Dann würden die Voraussetzungen für die Anfechtung entfallen. Im Ergebnis hat der BGH die Anfechtung zugelassen und das Eingreifen des Kleinbeteiligtenprivileges abgelehnt.

Begründet wird diese Entscheidung mit der Koordination der Gesellschafter untereinander. Im konkreten Fall liegt diese in der gemeinsamen Entscheidung zur Fremdfinanzierung und der getroffenen Konsortialvereinbarung. Weitergehend stellt der Senat auf den über die nominelle Beteiligung am Haftkapital hinausgehenden (schuldrechtlichen) Einfluss auf die Finanzierung der GmbH ab. Auch führt er dafür den vereinbarten Innenausgleich und die Tatsache an, dass eine gemeinsame Sicherheit, die Eigentümergrundschuld, bestellt wurde. Insgesamt ergibt sich so eine unternehmerische Verantwortung, die die Haftkapitalanteile der Gesellschafter nicht mehr widerspiegelt. Im Ergebnis wird eine Zusammenrechnung der Gesellschafteranteile für eine angemessene Behandlung erforderlich.

Gesellschafter müssen auf Unabhängigkeit achten, Banken sollten an ihre Konsortialbestimmungen denken

Folglich müssen Gesellschafter darauf achten, dass es infolge der Zusammenrechnung der Gesellschafteranteile unabhängig von der Anteilsmasse zu einer Anfechtung ihrer Gesellschafterdarlehen kommen kann. Es müssen die konkreten Umstände geprüft und evaluiert werden, um sich gegen eine solche Anfechtung abzusichern. Insbesondere müssen Indizien, die für eine solche über die Beteiligung hinausgehende unternehmerische Verantwortung konkret bestehen, überprüft werden. 

Auch für finanzierende Banken kann diese Entscheidung Auswirkungen haben, wenn sie als Quasi-Gesellschafter agieren (dazu auch ausführlich Wiehe, BKR 2020, 636). Liegen die Voraussetzungen der Rechtsprechung für die Qualifikation als Quasi-Gesellschafter grds. vor, wird eine Zusammenrechnung im oben beschriebenen Sinne auch anhand einer kreditrechtlichen Konsortialvereinbarung in Betracht kommen. Für die Zukunft sollte also vorab begutachtet werden, ob eine solche unternehmerische Beteiligung bestehen könnte. Entsprechend sollten vorab Maßnahmen getroffen werden, um sich vor derartigen Haftungsrisiken zu schützen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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