Die Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter und seine Beschränkungen / Verträge mit dem Insolvenzverwalter.
Im Rahmen einer Insolvenz kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Vertragsverhältnis noch nicht vollständig erfüllt ist. Dem Insolvenzverwalter steht in diesem Fall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht dahingehend zu, ob er den Vertrag anstelle des Schuldners erfüllt oder die Erfüllung ablehnt.
Der Insolvenzverwalter hat Wahlrecht, ob er Verträge erfüllt, § 103 InsO
Das Erfüllungswahlrecht hat den Zweck, dem Insolvenzverwalter im Interesse der Insolvenzmasse und damit der Gläubigergemeinschaft durch die Erfüllung des Vertrages einen Anspruch auf die ihm vorteilhaft erscheinende Gegenleistung zu verschaffen, auf die er ohne die Erfüllungswahl einen durchsetzbaren Anspruch nicht hätte.
Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung, kann er bei gegenseitigen, noch nicht vollständig erfüllten Verträgen vom Vertragspartner Vertragserfüllung verlangen. Dies hat zur Folge, dass die gegenseitigen Ansprüche zu Masseforderungen bzw. Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO „aufgewertet“ werden. Der Insolvenzverwalter ist an den Vertrag so, wie er geschlossen wurde – mit allen rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteilen –, gebunden. Ihm ist es verwehrt, lediglich die Vorteile des Vertrages zu wählen (also kein „Rosinenpicken“).
Entscheidet sich der Insolvenzverwalter dagegen für die Nichterfüllung des Vertrages, so bleibt der Vertrag selbst bestehen und es erlöschen auch nicht die Erfüllungsansprüche. Der Vertragspartner kann das von ihm bereits Geleistete nicht zurückverlangen. Ihm steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags (sog. Nichterfüllungsschaden) zu, den er nach § 103 Abs. 2 S. 1 InsO zur Insolvenztabelle anmelden kann (vgl. §§ 87, 174 Abs. 1 S. 1 InsO). Dieser Nichterfüllungsschaden unterliegt einer eigenen Verjährung, wobei die Verjährungsfrist jener des ursprünglichen Erfüllungsanspruches entspricht.
Das Wahlrecht hat allein der Insolvenzverwalter, nicht der Vertragspartner. Dieser hat aber gemäß § 103 Abs. 2 S. 2 InsO die Möglichkeit, den Insolvenzverwalter aufzufordern eine Erklärung darüber abzugeben, ob er den Vertrag erfüllen wird oder nicht.
Die §§ 103 ff. InsO setzen einen gegenseitigen Vertrag zwischen dem Schuldner und dem anderen Vertragspartner voraus. Auf einseitige Verträge, wie z.B. Schenkungen oder Bürgschaften, sind die Vorschriften nicht anwendbar.
Ausnahme: Beschränkung und Ausschluss des Verwalterwahlrechts
1 . Bei Fixgeschäft erlöschen die Erfüllungspflichten mit Insolvenzeröffnung
Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters wird durch die Sondervorschriften der §§ 104 ff. InsO eingeschränkt bzw. ausgeschlossen. So ist das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 104 Abs. 1 InsO ausgeschlossen, wenn die Vertragsparteien ein Fixgeschäft vereinbart haben. Die Erfüllungspflichten der Parteien erlöschen dann bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anstelle des Erfüllungsanspruchs steht dem Vertragspartner nach § 104 Abs. 3 InsO ein Schadensersatzanspruch wegen der Nichterfüllung zu.
2 . Bei Sicherung durch Vormerkung ist der Verwalter zur Erfüllung verpflichtet
Ist bei einem gegenseitigen Vertrag der Anspruch des Vertragspartners durch eine Vormerkung gesichert, so ist der Insolvenzverwalter nach § 106 InsO zur Erfüllung verpflichtet. Der Verwalter hat insoweit kein Wahlrecht, man spricht von der sog. „Insolvenzfestigkeit der Vormerkung“.
3 . Besondere Regeln zum Wahlrecht bei Eigentumsvorbehalt
Haben die Vertragsparteien einen Vorbehaltskauf vereinbart und wurden die Kaufpreisraten noch nicht vollständig bezahlt, stellt dies den „Paradefall“ des § 103 InsO dar: Der Vorbehaltskäufer hat den Kaufpreis noch nicht vollständig erbracht und der Vorbehaltsverkäufer seine Pflicht zur Eigentumsübertragung noch nicht erfüllt. In der Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers ist das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 107 Abs. 1 InsO ausgeschlossen, während im Falle der Insolvenz des Vorbehaltskäufers gemäß § 107 Abs. 2 InsO lediglich die Wahlrechtsausübung modifiziert wird, indem der Zeitpunkt, bis zu dem es ausgeübt werden kann, nach hinten verschoben wird. § 107 InsO erfasst neben dem einfachen auch den verlängerten und den erweiterten Eigentumsvorbehalt.
4 . Sonderregeln bei Miet- und Pachtverhältnissen
Auch für Miet- oder Pachtverhältnisse über unbewegliche Gegenstände und Räume besteht eine Sonderregelung, die das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO verdrängt. Diese Mietverhältnisse bestehen nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit allen Rechten und Pflichten fort. An die Stelle des Verwalterwahlrechts treten besondere Kündigungs- und Rücktrittsregelungen, die in den Vorschriften der §§ 109 InsO bis § 111 InsO sowie § 113 InsO enthalten sind. Miet- und Pachtverträge über bewegliche Gegenstände unterfallen dagegen dem Anwendungsbereich des § 103 InsO und unterliegen damit dem Erfüllungswahlrecht des Verwalters.
In der Insolvenz des Mieters gewährt § 109 InsO dem Verwalter ein Sonderkündigungsrecht für fortgesetzte Mietverhältnisse über Immobilien nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO . Die dort enthaltene Kündigungsfrist von drei Monaten setzt sich gegen längere Kündigungsfristen oder Kündigungsausschlüsse durch. Sonstige ordentliche und außerordentliche Kündigungsrechte werden durch § 109 Abs. 1 InsO nicht berührt, wenn für sie eine kürzere Kündigungsfrist als die Dreimonatsfrist des § 109 Abs. 1 InsO gilt. Bei der außerordentlichen Kündigung kann der wichtige Grund nicht in der Insolvenz als solcher liegen. Etwaige Schadenersatzansprüche wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses sind gemäß § 109 Abs.1 S. 3 InsO Insolvenzforderungen, die zur Tabelle angemeldet werden können. Im Rahmen einer Insolvenz des Mieters kann es insbesondere von entscheidender Bedeutung sein, das Unternehmen fortzuführen. Deshalb schränkt § 112 InsO die gesetzlichen und vertraglichen Kündigungsrechte des Vermieters oder Verpächters wegen Zahlungsverzugs und verschlechterter Vermögensverhältnisse des Mieters vom Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags an ein. Während § 112 Nr. 1 InsO nur die Kündigung wegen eines vor dem Eröffnungsantrag eingetretenen Zahlungsverzuges des Mieters „sperrt“, ist eine Kündigung wegen Vermögensverschlechterung gemäß § 112 Nr. 2 InsO nach Antragstellung generell ausgeschlossen.
In der Insolvenz des Vermieters sind gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 und 2 InsO Vorausverfügungen – z.B. durch Abtretung oder Verpfändung – des Vermieters über Mietzinsansprüche aus einem nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Mietverhältnis nur wirksam, soweit diese über den Eröffnungsmonat – bzw. bei Verfahrenseröffnung in der zweiten Monatshälfte auch über den Folgemonat – hinaus gehen. Zeitlich ist danach zu differenzieren, ob die Wirkungen der Verfügung vor oder nach Verfahrenseröffnung eintreten. Verfügungswirkungen für die Zeit vor Verfahrenseröffnung sind von § 110 InsO nicht erfasst und damit wirksam. Für den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung kommt es auf den Zeitpunkt der Verfügung an: Ist diese bis zum 15. des Monats erfolgt, so ist sie noch für die bis zum Ende dieses Kalendermonats fällig werdenden Ansprüche wirksam. Erfolgt die Eröffnung nach dem 15. des Eröffnungsmonats, dann gilt dies auch noch für den auf den Eröffnungsmonat folgenden Kalendermonat. Vorausverfügungen für den Zeitraum danach sind unwirksam.
5 . Bei Arbeitsverträgen kein Wahlrecht, nur Kündigungsrecht mit verkürzter Frist
Befindet sich insbesondere ein Unternehmen in der Insolvenz, dann kann es für die Sanierung oder Liquidation des Betriebs förderlich sein, schnell und kostengünstig Personal abzubauen. § 113 InsO begründet ein beiderseitiges Kündigungsrecht. Im eröffneten Insolvenzverfahren beträgt die maximale Kündigungsfrist nach § 113 S. 2 InsO drei Monate zum Monatsende und gilt für beide Parteien des Arbeitsvertrags. Die Begrenzung der Kündigungsfrist auf maximal drei Monate zum Monatsende soll vermeiden, dass die Insolvenzmasse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO durch die Auslauflöhne gekündigter Mitarbeiter unverhältnismäßig belastet wird. Als Ausgleich für die Verkürzung der Kündigungsfrist nach § 1 1 13 S. 2 InsO steht dem gekündigten Arbeitnehmer nach § 13 S. 3 InsO ein Schadenersatzanspruch als Insolvenzgläubiger zu, den er zur Tabelle anmelden kann.
Abweichende Vereinbarungen sind in der Regel unzulässig
§ 103 ff. InsO sind zwingendes Recht. Vereinbarungen, durch die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Anwendung der §§ 103 bis 118 ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind nach § 119 InsO unwirksam. In der Praxis enthalten Verträge häufig Bestimmungen, die für den Fall der Zahlungseinstellung oder der Insolvenzeröffnung dem Vertragspartner die Lösung vom Vertrag ermöglichen. Solche insolvenzabhängigen Lösungsklauseln räumen dem Vertragspartner in der Regel ein Recht zur fristlosen Kündigung oder ein Rücktrittsrecht ein. Der Bundesgerichtshof hat bereits 2012 (Az. IX ZR 169/11 ) derartige insolvenzabhängige Lösungsklauseln für unwirksam erklärt. Wegen Beeinträchtigung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters werden solche Klauseln als unzulässig angesehen. Davon abweichend hat der Bundesgerichtshof 2022 (Az. IX ZR 213/21) entschieden, dass eine insolvenzabhängige Lösungsklausel ausnahmsweise zulässig ist, wenn bei objektiver Betrachtung die beiderseitigen Interessen der Parteien für eine sofortige Auflösung bei Eintritt einer Insolvenz sprechen. Beispielhaft nennt der Bundesgerichtshof den Fall eines Vertrags, der als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande kommt und bei dem die insolvenzabhängige Lösungsklausel die Risiken des Scheiterns der Sanierung abmildern soll. Dagegen sind insolvenzunabhängige Lösungsklauseln, die nicht an insolvenztypische Umstände anknüpfen, sondern z. B. an den Zahlungsverzug, im Grundsatz wirksam.