Der Aufsichtsrat ist ein Kontrollorgan. Er überwacht die Geschäftsführung. Unterlaufen ihm Fehler, haften die Mitglieder des Aufsichtsrats persönlich.
Aufsichtsräte gibt es in deutschen Unternehmen seit über 150 Jahren. Das Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 11. Juni 1870 bestimmte:
Der Aufsichtsrath überwacht die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Verwaltung; er kann sich von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichten, die Bücher und Schriften derselben jederzeit einsehen und den Bestand der Gesellschaftskasse untersuchen.
Das Gleiche, fast wortwörtlich, steht heute in § 111 Aktiengesetz.
Aufsichtsrat haftet bei Fehlern mit seinem Privatvermögen
Verändert hat sich die Haftung der Aufsichtsräte. 1870 hafteten sie nur mit ihrem Privatvermögen, wenn das Grundkapital durch verbotene Zahlungen an die Aktionäre aufgezehrt wurde. Heutzutage haften sie auch, wenn nach Eintritt der Insolvenzreife aus dem Gesellschaftsvermögen Zahlungen an Gläubiger geleistet werden (§ 116 Aktiengesetz, § 15b Abs. 4 Insolvenzordnung). Die Insolvenzreife tritt ein, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet wird (§ 15b Abs. 1 Satz 1 InsO). Überschuldet ist sie, wenn sie mehr Verbindlichkeiten als Vermögen hat und die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nicht überwiegend wahrscheinlich ist (§ 19 Abs. 2 InsO). Zahlungsunfähig ist sie, wenn sie mit ihren liquiden und in den nächsten drei Wochen liquide werdenden Mitteln nicht ihre fälligen Verbindlichkeiten erfüllen kann (§ 17 Abs. 2 InsO).
Aufsichtsrat muss Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft überwachen und sich notfalls sachkundig beraten lassen
Um einer Haftung zu entgehen, muss der Aufsichtsrat die Aktiva und Passiva der Gesellschaft ständig im Blick haben. Nur so kann er Anzeichen einer Liquiditätskrise erkennen. Dabei muss der Aufsichtsrat erwägen, sich von anderen externen Beratern unterstützen zu lassen als der Vorstand. Denn wenn Vorstand und Aufsichtsrat die Dienste desselben Sanierungsberaters in Anspruch nehmen, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Immerhin muss der Aufsichtsrat prüfen, ob der Rat, den der Vorstand einholt, und die Entscheidungen, die er auf Grundlage dieses Rats trifft, richtig sind.
Das kann der Aufsichtsrat nur, wenn er sich eigener Berater bedient. Denn andernfalls kann er nicht unvoreingenommen prüfen, ob der Vorstand die richtigen Maßnahmen ergreift. Erst recht gilt das, wenn der Vorstand Verbotenes im Schilde führt, wie im Fall „Wirecard″. Dunklen Machenschaften wird der Aufsichtsrat nur auf die Spur kommen, wenn er von eigenen Fachleuten das Zahlenwerk der Gesellschaft überprüfen lässt.
Das Verschulden des Aufsichtsrats wird vermutet, so dass sich der Aufsichtsrat entlasten muss
Eine gesunde Portion Misstrauen sollte der Aufsichtsrat schon deshalb haben, weil er in einem gegen ihn geführten Schadensersatzprozess beweisen muss, dass ihn keine Schuld trifft. Wird darüber gestritten, ob der Aufsichtsrat die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwandte, trifft ihn die Beweislast dafür, dass er sorgfältig handelte (§§ 116, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG). In der Praxis muss ein Insolvenzverwalter, der einen Aufsichtsrat verklagt, nur beweisen, dass die Schuldnerin insolvenzreif war und nach Eintritt der Insolvenzreife noch Zahlungen an Gläubiger vornahm. Dass der Aufsichtsrat für die so eingetretene Schmälerung der Insolvenzmasse mitverantwortlich ist, weil er die Geldflüsse nicht verhinderte, wird dann vermutet. Denn wegen der Beweislastverteilung gilt zunächst einmal die Annahme, dass der Aufsichtsrat sorgfaltswidrig handelte.
Der Aufsichtsrat kann nicht mit der Begründung, es seien nur Schulden getilgt worden, den Eintritt eines Schadens bestreiten. Dieser Einwand ist untauglich, weil es um die Gläubigergleichbehandlung geht und vor Insolvenzeröffnung erfolgte Zahlungen an einige wenige Gläubiger die Befriedigungsquote für alle anderen Gläubiger vermindern. Seiner persönlichen Haftung entgeht der Aufsichtsrat nur, wenn er beweist, dass er seine Sorgfaltspflichten einhielt, also kontinuierlich die Finanz- und Ertragslage im Blick hielt und bei Bedarf externe Berater hinzuzog. Nötig ist, dass er als Berater Personen, die für die zu klärende Frage fachlich qualifiziert sind, auswählt und ihnen alle für die Beratung nötigen Unterlagen und Informationen überlässt (BGH, Urteil v. 20. September 2011 − II ZR 234/09).
Der Aufsichtsrat muss erhaltenen Rechtsrat einer Plausibilitätskontrolle unterziehen
Ganz aus dem Schneider ist der Aufsichtsrat, der externe hinzuzieht, aber noch nicht. Der Bundesgerichtshof verlangt von ihm, dass er jeden erhaltenen Rat einer Plausibilitätskontrolle unterzieht. Das heißt nicht, dass der Aufsichtsrat (der oft kein Jurist ist) eine eigenständige rechtliche Überprüfung der erhaltenen Rechtsauskunft vornehmen müsste. Es bedeutet aber, dass der Aufsichtsrat prüfen muss, ob dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle nötigen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder ob sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen (BGH, Urteil v. 28. April 2015 – II ZR 63/14).
Risikolos ist die Aufgabe als Kontrollorgan also nicht. Warum das so ist, wusste man schon im 19. Jahrhundert (siehe Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl., Leipzig und Wien 1885 ff., Bd. 2, S. 67):
Auf ihm [dem Aufsichtsrat] soll hauptsächlich die Sicherheit beruhen, welche das Gesetz den Aktionären und Gesellschaftsgläubigern gegen Benachteiligungen durch die Geschäftsführer gewähren will.