5. Oktober 2017
Insolvenzanfechtung FlexStrom
Restrukturierung und Insolvenz

Erste Urteile zu FlexStrom – Anfechtungen

Es liegen die ersten Urteile zu FlexStrom – Anfechtungen vor. Es handelt sich um Einzelfallentscheidungen mit widersprüchlichen Ergebnissen.

Von den Insolvenzen der Flexstrom AG, der FlexGas GmbH, der Löwenzahn Energie GmbH und der OptimalGrün GmbH sind rd. 835.000 Gläubiger betroffen, davon die meisten ehemalige Kunden, aber auch hunderte Netzbetreiber. Der Insolvenzverwalter hat Anfechtungsforderungen in Höhe von ca. 300 Mio. EUR ggü. ca. 360 Netzbetreibern (Verteilnetzbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber) geltend gemacht. Diese Anfechtungen beschäftigen vier Jahre nach den Insolvenzanträgen im April 2013 nunmehr die Gerichte.

Vergleichsweise Lösungen überwiegen

Um die anfänglich befürchtete Klagewelle wird es sich, anders als bei TelDaFax, nicht handeln. Denn ein erheblicher Teil der ausgesprochenen Anfechtungen dürfte vorgerichtlich vergleichsweise erledigt worden sein. Auch der weit überwiegende Teil der von uns vertretenen Netzbetreiber konnte sich mit dem Insolvenzverwalter vergleichen.

Im Laufe des Jahres 2016 hat der Insolvenzverwalter in den Fällen Klagen erhoben, in denen sich Netzbetreiber nicht mit ihm einigen konnten oder auf seine Anfechtungsschreiben nicht reagierten. Die Hoffnung von Netzbetreibern, der Insolvenzverwalter würde ausgesprochene Anfechtungen teils auf sich beruhen lassen und nicht gerichtlich verfolgen, hat sich nicht erfüllt.

Zwischenzeitlich wurden die ersten Urteile (in erster Instanz) verkündet. Das LG Detmold wies eine Anfechtungsklage ab. Das LG Dortmund gab einer Anfechtungsklage hingegen statt. „Leitlinien“ für FlexStrom-Anfechtungen lassen sich hieraus weder in die eine noch die andere Richtung ableiten.

Urteil des LG Detmold vom 26.04.2017

Das LG Detmold hat mit Urteil vom 26.04.2017 (Az.: 12 O 251/16, ZInsO 2017, 1684 bis 1688) eine Anfechtungsklage gegen einen Verteilnetzbetreiber abgewiesen.

Kenntnis des Verteilnetzbetreibers verneint

Das Gericht hat die Kenntnis des Verteilnetzbetreibers von einem etwaigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der FlexStrom AG verneint. Der Insolvenzverwalter hatte die behauptete Kenntnis des Verteilnetzbetreibers mit einer ersten und nach Ausbleiben der Zahlung einer weiteren zweiten Mahnung im November und Dezember 2012 begründet. Letztere war verbunden mit der Forderung nach Sicherheit und Androhung der Kündigung des Lieferantenrahmenvertrages.

Es soll sich um die ersten Mahnungen in der seit 2008 andauernden und bis November 2012 beanstandungsfrei verlaufenden Geschäftsbeziehung gehandelt haben. Die FlexStrom AG beglich nach der zweiten Mahnung mit einer Zahlung sämtliche Rückstände, die im Übrigen auch geringfügig (4-5 stellig) waren. Allein die Sicherheit wurde wegen Einwendungen der FlexStrom AG nicht geleistet, vom Verteilnetzbetreiber dann auch nicht weiterverfolgt. Hieraus konnte nach Ansicht des Gerichtes nicht (zwingend) auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit der FlexStrom AG geschlossen werden.

Auch die Presseberichterstattung sei bereits nach den von den Parteien vorgelegten Unterlagen so unterschiedlich, dass sich der Verteilnetzbetreiber daraus kein eindeutiges Bild habe machen können.

Frage der Zahlungsunfähigkeit dahingestellt

Mit der Frage, ob und wann FlexStrom (drohend) zahlungsunfähig geworden ist, hat sich das LG Detmold nicht befasst. Auf diese Frage kam es auch nicht mehr an, da das Gericht bereits keine Kenntnis des Verteilnetzbetreibers angenommen hat.

Bewertung

Die Indizien, mit denen sich das LG Detmold befassen musste, erscheinen eher dünn und die Abweisung der Klage folgerichtig. Verallgemeinerungsfähig ist das Urteil aufgrund der tragenden Bezugnahme auf individuelle Umstände (erste Mahnungen in einer langjährigen Geschäftsbeziehung pp.) freilich nicht.

Urteil des LG Dortmund vom 14.06.2017

Das LG Dortmund (Az.: 21 O 380/16) gab der Klage im Hinblick auf den Anfechtungsanspruch vollumfänglich statt. Lediglich einen Anspruch des Insolvenzverwalters auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten für das umfangreiche Forderungsschreiben verneinte es. Angefochten waren Zahlungen vom 04.12.2012, 20.02. und 22.03.2013. Rd. 67 % des angefochtenen Gesamtbetrages entfielen auf die erste Zahlung.

Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bejaht

Die FlexStrom AG habe die Zahlungen an den Verteilnetzbetreiber mit dem Vorsatz vorgenommen, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Das LG Dortmund legte den Schwerpunkt der Begründung hierfür auf Bitten der FlexStrom AG an das Hauptzollamt Berlin um Stundung der Stromsteuer vom 19.03.2013 und um Vollstreckungsaufschub vom 27.03.2013. Die Bitten gab FlexStrom nach den wesentlichen bzw. nach der letzten angefochtenen Zahlung ab.

Es könne – so das LG Dortmund – rückgeschlossen werden, dass der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bereits zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen vorgelegen habe. Denn die Stromsteuerforderungen beträfen einen zurückliegenden Zeitraum und FlexStrom habe auch die Vorauszahlungen auf die Stromsteuer für die Monate November und Dezember 2012 nicht geleistet. Im Weiteren stellte das LG Dortmund auf offene Forderungen von Sozialversicherungsträgern ab.

Vermutung der Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes (§ 133 Abs. 1 S. 2 InsO)

Das LG Dortmund vermutete die Kenntnis des Verteilnetzbetreibers. Er habe Umstände gekannt, aus denen zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit habe geschlossen werden müssen. Das Gericht stützte sich zunächst auf individuelle Umstände, wie die Formulierung der Mahnungen und die konkreten Forderungsrückstände.

Ein weiteres Indiz sei die Presseberichterstattung über die FlexStrom AG. Die Behauptung des Verteilnetzbetreibers, die Presseberichterstattung nicht gekannt zu haben, sei nicht plausibel. Er sei „Brancheninsider“. Die Presseberichterstattung hätten den Verteilnetzbetreiber veranlassen müssen, „Erkundungen“ über die Zahlungsfähigkeit von FlexStrom einzuholen.

Begründung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes pauschal und undifferenziert

Die Begründung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes erscheint auch vor dem Hintergrund des § 140 InsO pauschal und undifferenziert. Die Begründung für die Heranziehung von Umständen, die erst nach den angefochtenen Zahlungen eingetreten sind, überzeugt nicht.

Die Vorauszahlungen auf die Stromsteuer für die Monate November und Dezember 2012 sind erst am 27.12.2012 und am 25.01.2013 fällig geworden (§ 8 Abs. 3 StromStG, § 108 Abs. 3 AO i. V. m. AEAO zu § 108). Damit lag zum Zeitpunkt der ersten angefochtenen Zahlung vom 04.12.2012 (= rd. 67 % des angefochtenen Gesamtbetrages) keiner der Umstände vor, aus denen sich nach Ansicht des LG Dortmund die (drohende) Zahlungsunfähigkeit der FlexStrom AG ergeben sollte.

Im Markt ist das Gutachten einer von FlexStrom beauftragten Rechtsanwaltskanzlei bekannt, wonach zum Stichtag 14.12.2012 die Gesellschaften des FlexStrom-Konzerns weder zahlungsunfähig noch überschuldet gewesen seien. Das Ergebnis bestätigte die Kanzlei sodann in einem 14-tägigen Rhythmus. Die Insolvenzverwaltung wendet gegen das Gutachten ein, es sei methodisch fehlerhaft und die Gutachter seien nur unvollständig informiert worden.

Sofern das Gutachten in den Rechtsstreit eingebracht worden sein sollte, hätte Beweis erhoben werden müssen, ob es auf Grundlage von zuverlässigen und vollständigen Unterlagen erstellt wurde und die FlexStrom-Gesellschaften aus diesem Grund von der eigenen Zahlungsfähigkeit ausgehen durften.

Begleichung nur geringer Beträge soll auf Kenntnis schließen lassen

Hinsichtlich der Kenntnis des Verteilnetzbetreibers stellt das Gericht auch auf eine Mahnung mit einer Aufstellung von 188 „Einzelposten“ (gemeint sind wohl zählpunktbezogene Forderungen) ab. Letztere hätten eine Größenordnung von „teilweise nur einstelligen Eurobeträgen“ und seien insgesamt „relativ geringe Forderungen in vierstelliger Größenordnung“. Die nicht fristgerechte Begleichung „derart geringer Beträge“ sei ein weiteres Indiz, aus dem die Beklagte auf die Zahlungsunfähigkeit hätte schließen können.

Das ist vor dem Hintergrund der elektronischen Abrechnung der Netznutzungsentgelte nicht nachvollziehbar. Regelmäßig beruhen Mahnungen auf den beim Verteilnetzbetreiber gebuchten Forderungen, die er mittels INVOIC an den Lieferanten übersandt hat und von diesem geprüft werden müssen.

Ob FlexStrom die fraglichen „Einzelposten“ in REMADV bestätigt hat, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Auch leistet ein Lieferant regelmäßig keine Zahlungen auf einzelne zählpunktbezogene Forderungen, sondern auf den sich aus einer (bestätigenden bzw. positiven) REMADV ergebenden Gesamtbetrag. Auf die Nichtzahlung einzelner zählpunktbezogener Forderungen abzustellen, überzeugt daher nicht.

Fehlende Diskussion der Rechtsprechung des BGH

Das LG Dortmund hat sich auch nicht mit der Rechtsprechung des BGH auseinandergesetzt. Danach lässt die Nichtbegleichung einer verhältnismäßig geringen Forderung mehrere Deutungen zu. Es könne danach nicht (zwingend) auf die Unfähigkeit zur Entrichtung größerer Beträge bzw. auf eine Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden (Urteil vom 30.04.2015, Az.: IX ZR 149/14, Urteil vom 06.07.2017, Az.: IX ZR 178/16).

Unterschiedliche Bewertung der Presseberichterstattung

Die Presseberichterstattung bewertete das LG Dortmund anders als das LG Detmold. Es bleibt aber offen, was das LG Dortmund unter „Brancheninsider“ versteht und warum der Verteilnetzbetreiber ein solcher sein sollte. Die entsprechende Behauptung des Klägers ist im Tatbestand jedenfalls nur im streitigen Klägervortrag aufgeführt. Ferner bleibt offen, bei wem der Verteilnetzbetreiber welche „Erkundungen“ über die Zahlungsfähigkeit der FlexStrom AG – mit welchem belastbaren Ergebnis – hätte einholen können.

Im Urteil werden auch nur Überschriften der Pressberichte zitiert. Auf den Inhalt der entsprechenden Artikel wird nicht eingegangen. Auch bleibt offen, ob und ggf. weshalb die Artikel im Sinne des vom LG Dortmund genannten Urteil des BGH vom 19.07.2001 (Az.: IX ZR 36/99) auch durch weitere Artikel anderer Presseorgane gestützt werden, substantiiert sein und aus zuverlässigen und verlässlichen Quelle stammen sollen.

Die Belastbarkeit der vom LG Dortmund vorgenommenen Gesamtwürdigung wird das OLG Hamm in der zwischenzeitlich anhängigen Berufung hinterfragen müssen.

Einzelfallentscheidungen ohne klare Linie

Bereits die ersten Urteile lassen erkennen, dass es auch in Sachen FlexStrom in der Rechtsprechung keine „einheitliche Linie“ geben wird. Denn gerade gerichtliche Entscheidungen über Insolvenzanfechtungen werden in besonders hohem Maße von den Umständen des konkreten Einzelfalles geprägt sein.

Sofern es dennoch Umstände gibt, die in allen Vorgängen gleich oder ähnlich gelagert sind, muss damit gerechnet werden, dass auch diese von den Gerichten unterschiedlich und widersprüchlich gewürdigt werden. Das wird insbesondere das von allen Verteilnetzbetreibern praktizierte Abrechnungsverfahren nach GPKE und die Presseberichterstattung über FlexStrom betreffen.

Eine belastbare Prognose über den Ausgang eines Rechtsstreites ist damit letztlich keiner der Parteien möglich. Von einer Rechtssicherheit kann sicherlich keine Rede sein. Auch die am 05.04.2017 in Kraft getretene Reform des Anfechtungsrechts, die für streitige Vorgänge im FlexStrom-Komplex daher keine unmittelbare Relevanz hat, wird hieran nichts ändern.

Tags: FlexStrom Insolvenzanfechtung Prozess