26. Januar 2021
Aussetzung Insolvenzantragspflicht Zombieunternehmen
Restrukturierung und Insolvenz

Fight, Freeze, Flight? – Eine erste Einschätzung zu den Auswirkungen der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht

Grundsätzlich besteht wieder die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags, trotzdem bleibt die befürchtete Insolvenzwelle vorerst aus. Mehr noch, die Zahlen liegen weit hinter denen des Vorjahres.

Die vom Gesetzgeber kurzfristig im Dezember bekannt gegebene weitere teilweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht schützt nunmehr lediglich Unternehmen mit grundsätzlich erfolgreichen Geschäftsmodellen. Unternehmen, die – unabhängig von den Folgen der COVID-19-Pandemie oder nicht – zahlungsunfähig sind, müssen grundsätzlich seit dem 1. Oktober 2020 wieder einen Insolvenzantrag stellen. Lediglich für Unternehmen, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind, war die Antragspflicht bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt. 

In der breiten Bevölkerung schien und scheint ein anderes Bild vorzuherrschen, wie ein Blick auf die aktuellen Insolvenzstatistiken zeigt. 

Die Insolvenz als Instrument der Marktbereinigung 

Ziel einer Insolvenz ist nach § 1 InsO die gemeinschaftliche Befriedigung von Gläubigern, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Gleichzeitig wird dem Schuldner, sofern dieser eine natürliche Person ist, die Möglichkeit gegeben, sich von seinen Altverbindlichkeiten zu befreien – quasi ein „Reset“ im Wirtschaftsleben.

Volkswirtschaftlich betrachtet sind Insolvenzen aber auch eine Art der Marktbereinigung: Unternehmen, deren Konzepte langfristig unrentabel sind – sei es aufgrund zu geringer Nachfrage oder schlicht mangels betriebswirtschaftlicher Kenntnisse – sollen der Gesamtwirtschaft nicht auf unbestimmte Zeit zur Last fallen. Insbesondere kleine und Kleinstunternehmen sind auf solvente Geschäftspartner angewiesen. Ein Zahlungsausfall kann hier oftmals bereits weitreichende negative Folgen haben. Der geordnete Austritt von insolventen und nicht sanierungswürdigen Unternehmen dient daher dem Schutz des Wirtschaftsverkehrs.

Verstärkt wird eine solche Marktbereinigung typischerweise durch Rezessionen. Die stark exportorientierte Wirtschaft in Deutschland verzeichnete beispielsweise aufgrund der Folgen des internationalen Konjunktureinbruchs 2001/2002 in den darauffolgenden Jahren eine konstant hohe Anzahl an Insolvenzanträgen. Zwischen 2003 und 2006 lag die Zahl der beantragten Unternehmensinsolvenzverfahren zwischen 34.000 und 39.000. Nach einem kurzen Rückgang stieg die Zahl der Anträge erneut nach der Banken -und Finanzkrise 2008 im Folgejahr 2009. Seither konnte man jedoch einen stetigen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen verzeichnen. Im Jahr 2019 wurden lediglich 18.749 Anträge gestellt.

Für das Jahr 2020 liegen bisher Auswertungen von Januar bis Oktober 2020 vor, wonach bereits jetzt schon ein deutlicher Rückgang der Insolvenzen im Vergleich zum (noch „coronafreien″) Vorjahr zu verzeichnen ist: 

Während es im Jahr 2019 lediglich 2,8 % weniger Insolvenzen gab als noch 2018, ist für Januar bis Oktober 2020 ein weiterer Rückgang gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 15 % zu verzeichnen. 

Trotz Krise weniger eröffnete Regelinsolvenzverfahren

Der Rückgang der Zahlen scheint zunächst nicht zu überraschen, bedenkt man doch die vom 1. März bis zum 30. September 2020 (bzw. im Falle bloßer Überschuldung 31. Dezember 2020) ausgesetzte Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, deren Insolvenzreife auf den Folgen der Corona-Pandemie beruhte. Die durch die Krise zunächst zu erwartende verstärkte Marktbereinigung wurde künstlich gehemmt, um schuldlos bzw. zuvor wirtschaftlich gesunde Unternehmen zu schützen. 

Wenn nun die klassische Marktbereinigung künstlich gehemmt wird, darf daraus geschlussfolgert werden, dass in diesem Zeitraum gar keine Insolvenzanträge mehr gestellt werden (müssen)? Wohl kaum. Denn auch in Zeiten florierender Wirtschaft wird es immer kriselnde Unternehmen geben. Somit hätte man trotz Aussetzung der Antragspflicht vermuten können, dass zumindest das Vorjahresniveau gehalten würde. Der gegenteilige Fall ist jedoch eingetreten. Die Gründe, ebenso wie die Folgen, sind vielfältig.

Mit vorhandenen Mitteln das Überleben sichern

Auch wenn die Auszahlungen der Hilfen der Bundesregierung derzeit noch stockend verlaufen: Die Corona-Hilfen und Fördermaßnahmen von Bund und Ländern werden insbesondere im 1. Lockdown in vielen Fällen ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass auch nach Wiedereinsetzen der Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen zum 1. Oktober 2020 kein Insolvenzantrag gestellt werden musste.

In Verbindung mit weiteren Maßnahmen wie der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes oder auch privatrechtlichen Stundungsvereinbarungen oder Rücklagen, kam es bisher nicht zu der in der Presse vielfach prognostizierten Pleitewelle. Gleichzeitig hat die Krise bei vielen Unternehmen den Einfallsreichtum geweckt: Es wurden neue Absatzwege entdeckt oder ausgebaut oder die bisherige Geschäftstätigkeit anderweitig erweitert. Insbesondere der Online-Handel als Vertriebsweg half vielen Unternehmen trotz geschlossener Geschäfte durch das Jahr.

Schockstarre unter dem Schutzschirm des COVInsAG?

Eine andere Überlegung, weshalb die Zahlen zu den Unternehmensinsolvenzen derzeit nicht die wirtschaftliche Not vieler Unternehmen widerspiegeln, könnte darin liegen, dass viele Unternehmer schlichtweg in dem Irrglauben sind bzw. waren, die Antragspflicht sei grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt. Fakt ist jedoch, dass ab dem 1. Oktober 2020 alle zahlungsunfähigen Unternehmen, die der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO unterliegen (d.h. juristische Personen), einen Insolvenzantrag hätten stellen müssen. 

Da die Zahlungsunfähigkeit in gut 95 % aller Insolvenzverfahren der entscheidende Insolvenzeröffnungsgrund ist, hatte man einen deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen ab Oktober 2020 erwartet. Stattdessen meldeten die deutschen Amtsgerichte 31,9 % weniger Unternehmensinsolvenzen als im Oktober 2019. Die Vermutung liegt daher nahe, dass in der Bevölkerung der Glaube vorherrschte, die Antragspflicht sei noch nicht wiedereingesetzt. Bereits vor der Corona-Krise wirtschaftlich kriselnde Unternehmen sind so womöglich in eine Art Schockstarre gefallen. Die bestehenden Schwierigkeiten konnten mit Beginn der allgemeinen Krise nicht behoben werden. Die Aussetzung der Antragspflicht führte jedoch vorerst dazu, dass eine Insolvenz abgewehrt werden konnte und gegebenenfalls liquide Mittel in Form von Staatshilfen geflossen sind. 

Die aktuelle Beantragung öffentlicher Hilfen ist an vergleichsweise strengere Kriterien geknüpft als noch im Frühjahr bei Beantragung der Hilfspakete im ersten Lockdown im März 2020. Zudem ist das Antragsverfahren kompliziert. Daher wird sich vermutlich bereits im Verlauf des 1. Quartals 2021 zeigen, wie viele Unternehmen letztlich doch den Insolvenzantrag stellen müssen. Der Insolvenzverwalter hat dann zu prüfen, ob sich die Geschäftsführung zuvor zurecht auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht infolge der Corona-Krise berufen konnte. Bei dieser Prüfung kommen der Geschäftsführung Vermutungswirkungen zugute. So wird gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (kurz CovInsAG) vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht, sofern ein Unternehmen am 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig war. Widerlegt werden kann diese gesetzliche Vermutung durch den Insolvenzverwalter dadurch, dass er entweder nachweist, dass bereits am 31. Dezember 2019 Zahlungsunfähigkeit vorlag, oder aber, dass die Pandemie keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners hatte. Die Hürden für den Insolvenzverwalter sind insoweit hoch, sofern nur die Geschäftsführung für den Stichtag 31. Dezember 2019 seine Zahlungsfähigkeit nachweisen kann. 

Weitreichende Folgen im Falle verspäteter Antragstellung

Kommt der Insolvenzverwalter zu dem Ergebnis, dass die Insolvenzreife auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht, muss er gleichwohl prüfen ob ein Insolvenzantrag nicht bereits hätte früher gestellt werden müssen. Einerseits, weil der Antrag gegebenenfalls bereits zum 1. Oktober 2020 hätte gestellt werden müssen. Andererseits, weil möglicherweise auch im Zeitraum 1. März 2020 bis 30. September 2020 ein Antrag hätte gestellt werden müssen. Die Aussetzung der Antragspflicht war nämlich dann nicht einschlägig, wenn keine Aussicht auf Beseitigung der Insolvenzreife bestand. 

Je nachdem zu welchem Ergebnis der Insolvenzverwalter kommt und wie weit der Eintritt der Insolvenzreife demnach zurückreicht, besteht die Gefahr einer weitreichenden Geschäftsführerhaftung. Die aktuelle Rechtslage, die mangels einschlägiger Entscheidungen der Gerichte noch mit vielen Unsicherheiten behaftet ist, bietet daher an mehreren Stellen Gefahren für Geschäftsführer. Diese sind daher gut beraten vorzusorgen und – auch rückwirkend – eine ausreichende Finanzausstattung ihres Unternehmens zu dokumentieren. Insolvenzverwalter sind verpflichtet zu prüfen, ob ein Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wurde. Es ist daher zu erwarten, dass der bisherige Verlauf der Corona Krise seine Schatten werfen und Nachwirkungen in zukünftigen Insolvenzverfahren haben wird. 

„Flucht“ in die Insolvenz folglich immer vorzuziehen, selbst bei bisherigem Zustand einer Schockstarre

Die Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfordert eine funktionierende Liquiditätsplanung und Überwachung, ein Instrument, das vielen KMU schlichtweg fehlt oder nur unzureichend ausgeprägt ist. Eine Antragstellung erfolgt in der Praxis häufig zu spät und erst dann, wenn bereits nahezu alle liquiden Mittel aufgebraucht sind. 

Für viele von der Krise geplagte Unternehmen steht die Uhr bereits auf fünf Minuten nach Zwölf. Geschäftsführer sollten spätestens jetzt handeln, ihre Zahlungsfähigkeit prüfen und bei Bedarf sicherstellen, dass keine Insolvenzreife vorliegt. Kommen sie zu dem Entschluss, dass ein Insolvenzantrag zu stellen ist und möglicherweise bereits deutlich früher hätte gestellt werden müssen, sollte der Antrag unverzüglich gestellt werden. 

Die Hoffnung man könne weiterhin unter dem Schutzmantel des COVInsAG eine Insolvenz abwenden, kann im schlimmsten Fall mit strafrechtlichen Folgen enden. Die Insolvenzantragspflicht in Zeiten der COVID-19-Pandemie sollte folglich nicht weniger gewichtet werden als zuvor.

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