Die Implementierung von ESG-Vorgaben im Krisenfrüherkennungssystem und deren Einhaltung ist ein (gewichtiger) Bestandteil zum krisenresilienten Unternehmen.
Die Berücksichtigung von ESG-Belangen rückt immer stärker in den Fokus der Unternehmen, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass das gesetzliche Pflichtenkorsett in diesem Bereich immer enger wird. Aber auch abseits von gesetzlich normierten Nachhaltigkeitsverpflichtungen, stellt sich Geschäftsleitern die Frage, ob und in welchem Umfang ESG-Belange bei der Unternehmensplanung berücksichtigt werden müssen.
Im besonderen Maße stellt sich diese Frage dann, wenn sich das Unternehmen in der Krise befindet und das Spannungsfeld zwischen Geschäftsleiterermessen und hinreichender Wahrung der Gläubigerinteressen berücksichtigt werden muss. Dies stellt die Geschäftsleitung nicht selten vor große Herausforderungen und die Frage, ob das immer dichter werdende Geflecht aus ESG-Vorgaben eher Fluch oder eher Segen ist.
Berücksichtigung von ESG-Belangen bei unternehmerischen Entscheidungen
Die Frage, ob ESG-Belange bei der langfristigen Unternehmensplanung berücksichtigt werden sollen, stellt sich aus Sicht der Geschäftsleitung nur insoweit, wie deren Berücksichtigung gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben sind. Sofern hingegen nationale Gesetze wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sowie (zukünftige) europäische Gesetzgebungsakte wie die Taxonomieverordnung oder die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung von Unternehmen (CSRD) eine Pflicht zum nachhaltigen Handeln vorsieht, handelt es sich um keine unternehmerische Entscheidung, die im Ermessen der Geschäftsleitung steht.
Die Einhaltung derartiger gesetzlich vorgesehenen Nachhaltigkeitsverpflichtungen obliegt der Geschäftsleitung vielmehr bereits aufgrund ihrer Legalitätspflicht. Verletzt die Geschäftsleitung daher gesetzlich vorgesehene Nachhaltigkeitsverpflichtungen und entsteht dadurch ein kausaler Schaden, droht ihr eine Inanspruchnahme durch die Gesellschaft und nahstehende Dritte. Nicht so einfach zu beantworten ist hingegen die Frage, inwieweit die Geschäftsleitung gesetzlich nicht normierte ESG-Belange berücksichtigen soll oder gar muss.
Mittelbare Bindungswirkung von ESG-Belangen auch im nicht normierten Bereich
Auch für den Fall, dass die Berücksichtigung gewisser ESG-Belange nicht ausdrücklich gesetzlich normiert ist, bedeutet dies für die Geschäftsleitung keinesfalls, dass es sich dabei lediglich um ethische Zielvorgaben handelt, die bei der langfristigen Unternehmensplanung nicht berücksichtigt werden müssen.
Vielmehr hat auch die Einhaltung oder spiegelbildlich die Nichtberücksichtigung von unverbindlichen Empfehlungen einen erheblichen Einfluss auf die Außenwirkung eines Unternehmens und somit auf dessen Marktakzeptanz sowie die Vergabe von zukünftigen Aufträgen. Anders ausgedrückt: Sowohl die Einhaltung der gesetzlich normierten Nachhaltigkeitsbestimmungen als auch der unverbindlichen Empfehlungen führt dazu, dass die Unternehmensreputation gestärkt wird und damit die Wertschätzung der angebotenen Produkte und Dienstleitungen am Markt gesteigert wird.
Der Einhaltung von unverbindlichen Empfehlungen zur Berücksichtigung von ESG-Belangen kommt auch im Bereich der Unternehmensfinanzierung eine wachsende Bedeutung zu. Dies betrifft zum einen kapitalmarktorientierte Unternehmen, deren Akzeptanz bei den Anlegern vermehrt davon abhängt, inwieweit Nachhaltigkeitsaspekte eingehalten werden. Zum anderen ist die Berücksichtigung von ESG-Belangen auch bei der Kreditfinanzierung längst kein Novum mehr. Unter dem Oberbegriff der Sustainable Finance entstehen neuartige Finanzprodukte (sog. „Green Loans“ und „Sustainability Linked Loans“), die ESG-Belange bei der Kreditvergabe maßgeblich berücksichtigen und somit Einfluss auf die Liquiditätslage und damit auf das langfristige und nachhaltige Bestehen des Unternehmens haben können.
Neben den sog. Sustainable Finance Produkten, die häufig bereits die Kreditvergabe an sich, zumindest aber die jeweiligen Zinskonditionen von der Einhaltung von ESG-Belangen abhängig machen, ist ein mittelbarer Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten auch beim klassischen Bankkredit – zumindest im Zeitpunkt einer Unternehmenskrise – nicht mehr von der Hand zu weisen. So hat der Fachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in seinem Entwurf für eine Neufassung des Standards für die Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S6) vom 27. September 2022 ausdrücklich festgehalten, dass „Nachhaltigkeit“ sowohl in zeitlicher Perspektive als auch hinsichtlich der Einhaltung von Umwelt-, sozialen und Corporate Governance-(„ESG“-) Anforderungen Grundlage für einen Sanierungserfolg auch i.S. eines bestmöglichen Gläubigerschutzes“ ist. In praxi sind viele Banken nur dann bereit, einem Unternehmen in der Krise einen Sanierungskredit zu gewähren, wenn dieses ein Sanierungskonzept gem. IDW S6 vorweisen kann, das folglich auch auf die Einhaltung etwaiger Nachhaltigkeitsbelange eingeht.
Es zeigt sich daher, dass sich Geschäftsleiter bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsbelangen nicht allein auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten beschränken dürfen, sondern auch berücksichtigen müssen, inwieweit auch reine Empfehlungen (mittelbare) Auswirkungen auf das Unternehmen haben. Auch wenn die umweltbezogene Komponente das wohl bestimmende Thema im politischen Diskurs ist, dürfen Geschäftsleiter dabei nicht übersehen, dass „Nachhaltigkeit“ aus gesellschaftsrechtlicher Sicht und somit auch aus Sicht der Geschäftsleitung primär ein übergeordnetes Corporate-Thema ist. Das hat zur Folge, dass unter Nachhaltigkeit vor allem die langfristige, nachhaltige Existenz des Unternehmens zu verstehen ist und die Geschäftsleitung angehalten ist, dieses Ziel ggf. unter Einhaltung sonstiger unverbindlicher ESG-Belange zu erreichen. Dies schließt nicht nur das im politischen und medialen Diskurs dominierende Thema „Environment“, sondern anderweitig auch „Social“ und „Governance“ mit ein.
Perspektivverlagerung im Zeitpunkt der Krise und der Insolvenz?
Aus dem primären Ziel, die Existenz des Unternehmens langfristig und somit nachhaltig zu sichern, lässt sich sodann auch schlussfolgern, inwieweit die Geschäftsleitung verpflichtet ist, (unverbindliche) Nachhaltigkeitsbelange zu berücksichtigen. § 1 StaRUG sieht insoweit eine Pflicht der Geschäftsleitung zur Krisenfrüherkennung sowie zum Krisenmanagement vor. Diese Pflicht war bereits vor ihrer ausdrücklichen Normierung allgemein anerkannt und gilt unabhängig davon, ob sich das Unternehmen in einer Krise befindet oder nicht. Es besteht vielmehr die dauerhafte Pflicht der Geschäftsleitung zu prüfen, ob es bestandsgefährdende Entwicklungen gibt, die den langfristigen Unternehmenserhalt gefährden können. Aufgrund der vorstehend dargestellten positiven sowie spiegelbildlich negativen Markt- und Finanzierungseffekte, die mit einer unzureichenden Berücksichtigung von ESG-Belangen einhergehen können, müssen die Geschäftsleiter diese zwingend im Rahmen ihrer Krisenfrüherkennungspflicht nach § 1 StaRUG berücksichtigen. Insoweit wird die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsbelangen zum Zwecke eines langfristigen Unternehmenserhalts im Rahmen der Krisenfrüherkennungspflicht in aller Regel auch dazu führen, dass die Geschäftsleitung das Unternehmen auch im Interesse der Anteilsinhaber langfristig aufstellt und damit einer weiteren, wesentlichen Geschäftsleitungspflicht nachkommt. Denn grundsätzlich hat die Geschäftsleitung das Unternehmen im bestmöglichen Interesse der Anteilsinhaber zu führen (sog. shareholder value-Ansatz), was dazu führt, das reine Empfehlungen zur Einhaltung von Nachhaltigkeitsbelangen nur insoweit berücksichtigt werden dürfen, wie deren Berücksichtigung im Interesse der Anteilsinhaber ist. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsbelangen wird jedoch vor allem dann im Interesse der Anteilsinhaber sein, und damit gleichzeitig die Anforderungen des § 1 StaRUG erfüllen, wenn diese auf den langfristigen Unternehmenserhalt ausgerichtet sind.
Konkret bedeutet dies, dass ESG-Belange auch im nicht normierten Bereich bestmöglich eingehalten werden müssen, sofern dies dazu führt, dass die Absatz-, Markt- und Finanzierungssituation des Unternehmens und damit seine langfristigen Existenzchancen verbessert werden. Umgekehrt sind unverbindliche Empfehlungen zur Einhaltung von ESG-Belangen dann nicht zu befolgen, wenn dies z.B. zu Kosten führt, die nicht im Verhältnis zu einem erwartbaren Reputationsgewinn am Markt stehen. Entscheidet sich die Geschäftsleitung in einem solchen Fall dennoch die ESG-Belange überzuerfüllen, besteht die Gefahr, dass sie wegen eines der Gesellschaft daraus entstehenden Schadens in Anspruch genommen werden.
Die vorstehenden Grundsätze sind auch im Zeitpunkt der vorangeschrittenen Krisensituation oder der Insolvenz des Unternehmens zu berücksichtigen. Insoweit wird zwar das Geschäftsleitungsermessen dahingehend verändert, dass mit fortlaufender Krise zunehmend auch Gläubigerinteressen und nicht ausschließlich Gesellschafterinteressen berücksichtigt werden dürfen, was besonders deutlich in § 1 InsO zum Ausdruck kommt, der als wesentlichen Zweck des Insolvenzverfahrens die bestmögliche Gläubigerbefriedigung, also die Maximierung der Insolvenzmasse, vorsieht. Allerdings führt dies lediglich zu einer Änderung des Bezugsobjekts, während sich für die Berücksichtigung von ESG-Belangen nichts ändert. Denn insoweit die Berücksichtigung von ESG-Belangen dazu führt, dass Risiken für die zukünftige Ertragslage identifiziert werden können und dadurch gleichzeitig die Insolvenzmasse erhöht werden kann, dann ist eine Berücksichtigung auch insoweit geboten.
Nachhaltige Unternehmensausrichtung als Chance wahrnehmen
Das Thema ESG ist bereits heute aus den Köpfen vieler Geschäftsleiter nicht mehr wegzudenken, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Rolle von ESG-Anforderungen auch in Zukunft weiter zunehmen wird.
Das lässt sich z.B. bereits an dem neusten Richtlinienvorschlag der Kommission über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD) erkennen. Während auf den ersten Blick vor allem die immensen Herausforderungen und Kosten in den Fokusgeraten, die mit der Einhaltung etwaiger Nachhaltigkeitsverpflichtungen einhergehen, sollten keinesfalls die Chancen übersehen werden, die aus einer nachhaltigen Unternehmensausrichtung entstehen.
Sofern Geschäftsleiter ein Krisenfrüherkennungssystem implementieren, das die Auswirkungen von relevanten ESG-Belangen frühzeitig erkennt und dadurch entsprechend agieren können, stellt die nachhaltige Unternehmensausrichtung eine gute Chance dar, um das Unternehmen auf langfristige Sicht krisenresilienter aufzustellen.