21. Juni 2021
Sanierungsverfahren Schweiz Deutschland
Restrukturierung und Insolvenz

Sanierungsverfahren in der Schweiz und Deutschland – ein Vergleich

Sanierungserleichternde Instrumente – Das gerichtliche Insolvenzverfahren als echte Chance für die Unternehmenssanierung in der Schweiz und Deutschland.

Trotz sanierungsfreundlicher Gesetzesänderung in der Schweiz und in Deutschland ist die Bedeutung gerichtlicher Sanierungsverfahren nach wie vor gering. Der Schweizer Gesetzgeber hat das Nachlassverfahren 2014 sanierungsfreundlicher gestaltet. In Deutschland sollten durch Einführung des ESUG 2013 die Rahmenbedingungen für die Sanierung von Not leidenden Unternehmen verbessert werden.

Auch mehrere Jahre nach den Gesetzesänderungen betrafen in der Schweiz nur 1.3 % der zwischen Januar 2019 und September 2020 eröffneten Insolvenzverfahren gerichtliche Sanierungsverfahren. In Deutschland wurde 2019 ebenfalls nur in ca. 1.4 % der Unternehmensinsolvenzen die Eigenverwaltung angeordnet. Der folgende Beitrag zeigt auf, dass sowohl die provisorische Nachlassstundung in der Schweiz als auch das Eigenverwaltungsverfahren in Deutschland sanierungserleichternde Instrumente vorhalten – die teilweise deutliche Parallelen aufweisen –, durch die sich das gerichtliche Insolvenzverfahren als echte Chance für die Unternehmenssanierung in der Schweiz und Deutschland erweisen kann. 

Kurze Einführung in das gerichtliche Sanierungsrecht der Schweiz

Mit dem Nachlassverfahren (die Bezeichnung wurde vom Gesetzgeber im Sinne von „Forderungen nachlassen″ gewählt) bietet das Schweizerische Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) in Art. 293 ff. schon seit langem eine Grundlage für die gerichtliche Sanierung von Unternehmen. Unter anderem im Rahmen der Swissair-Insolvenz traten die Schwächen des bis dahin eher stiefmütterlich zur Anwendung gelangten Nachlassverfahrensrechts zu Tage. Auch als Folge dieser Erfahrungen wurde das Nachlassverfahrensrecht mit Inkrafttreten verschiedener gesetzlicher Anpassungen im Jahr 2014 erheblich sanierungsfreundlicher ausgestaltet. Trotz der eingeführten Erleichterungen finden Nachlassverfahren noch immer wenig Anwendung. So ist einer Studie von Alvarez & Marsal Schweiz zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Januar 2019 und September 2020 nur 1.3 % aller in der Schweiz eröffneten Insolvenzverfahren gerichtliche Sanierungsverfahren betrafen. 

Das Nachlassverfahren kann durch einen Antrag auf Bewilligung der provisorischen Nachlassstundung der schuldnerischen Gesellschaft beim zuständigen Nachlassgericht eingeleitet werden. Mit diesem Antrag sind dem Gericht die derzeitige und künftige Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft darzulegen sowie ein provisorischer Sanierungsplan, der die geplanten Maßnahmen zur Sanierung der Gesellschaft darlegt, einzureichen (Art. 293 lit. a SchKG). 

Das Nachlassgericht bewilligt die provisorische Nachlassstundung, sofern nicht offensichtlich keine Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrags besteht (Art. 293a Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 e contrario SchKG). Mit dem Bewilligungsentscheid erfolgt in den überwiegenden Fällen die Einsetzung eines Sachwalters. Dieser hat unter anderem zu prüfen, ob Aussicht auf eine Sanierung i.e.S. oder die Bestätigung eines Nachlassvertrags besteht. Ergibt sich während der provisorischen Nachlassstundung, dass Sanierungsaussichten im vorgenannten Sinne bestehen, bewilligt das Nachlassgericht die Nachlassstundung definitiv (Art. 294 Abs. 1 SchKG). 

Wird eine Sanierung mittels Abschluss eines Nachlassvertrags angestrebt, wird dieser durch den Sachwalter während der definitiven Nachlassstundung entworfen (Art. 295 Abs. 2 lit. a SchKG) und den Gläubigern zur Genehmigung unterbreitet (Art. 305 SchKG). Um Wirkung zu entfalten, ist nebst der Annahme des Nachlassvertrags durch die Gläubiger überdies dessen Bestätigung durch das Nachlassgericht erforderlich (Art. 306 SchKG). 

Das Schweizer Recht sieht zwei Arten von Nachlassverträgen vor: 

  • Durch einen ordentlichen Nachlassvertrag (Art. 314 ff. SchKG) wird entweder ein Stundungs- oder Dividendenvergleich mit den nichtprivilegierten Gläubigern der schuldnerischen Gesellschaft vereinbart. Nach Abschluss des Nachlassverfahrens „lebt″ die sanierte Gesellschaft weiter. 
  • Durch einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Art. 317 ff. SchKG) kann den Gläubigern das Verfügungsrecht über das schuldnerische Vermögen eingeräumt und die Verwertung desselben überlassen werden. Die schuldnerische Gesellschaft wird dann – ähnlich der Vorgehensweise im Rahmen eines Konkursverfahrens – liquidiert. Darüber hinaus kann das schuldnerische Vermögen an einen Dritten abgetreten werden. Der durch den Dritten dafür geleistete Preis wird unter den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Forderungen verteilt. 

Ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung wird oftmals nach Übertragung (und somit „Rettung″) eines profitablen Betriebsteils der schuldnerischen Gesellschaft an eine Auffanggesellschaft oder einen Dritten abgeschlossen. Die schuldnerische Gesellschaft wird in der Folge liquidiert. 

Stille provisorische Nachlassstundung

Das Bekanntwerden der provisorischen Nachlassstundung kann sich auf die Sanierungschancen einer schuldnerischen Gesellschaft negativ auswirken. Entsprechend sieht Art. 293c Abs. 2 SchKG vor, dass „[i]n begründeten Fällen″ auf Antrag hin auf die öffentliche Bekanntmachung der Bewilligung der provisorischen Nachlassstundung bis zu deren Beendigung verzichtet werden kann. Der Bestimmung wurde vom Gesetzgeber zwar Ausnahmecharakter zugesprochen. Die Praxis verschiedener Nachlassgerichte zeigt aber, dass diese dazu neigen, eine stille provisorische Nachlassstundung zu bewilligen, wenn die Beeinträchtigung der Sanierungschancen durch die öffentliche Bekanntmachung zumindest glaubhaft gemacht wird. 

Die Bewilligung der definitiven Nachlassstundung ist durch das Nachlassgericht zwingend öffentlich bekannt zu machen (Art. 296 SchKG). 

Vereinfachte Kündigung von Dauerschuldverhältnissen

Während der Nachlassstundung kann die schuldnerische Gesellschaft mit Zustimmung des Sachwalters ein Dauerschuldverhältnis unter Entschädigung der Gegenpartei jederzeit auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen, sofern andernfalls der Sanierungszweck vereitelt würde (Art. 297a SchKG). Dies erlaubt es, hohe Fixkosten des Unternehmens zu senken. 

Der Entschädigungsanspruch der Vertragsgegenpartei des Schuldners ist eine lediglich dividendenberechtigte Nachlassforderung und fällt unter den Nachlassvertrag. Er umfasst die volle Entschädigung des Vertragspartners bis zur nächsten möglichen Kündigung oder bis zum Ende der festen Vertragsdauer, wobei sich der Vertragspartner Vorteile anrechnen lassen muss, die er erzielt hat oder hätte erzielen können. 

Die vereinfachte Auflösung von Dauerschuldverhältnissen gemäß Art. 297a SchKG ist auf die Auflösung von Arbeitsverträgen allerdings nicht anwendbar. 

Cherry-Picking bei Arbeitnehmern 

Im Rahmen von Betriebsübertragungen außerhalb eines Nachlass- oder Konkursverfahrens gehen die damit verbundenen Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über, sofern der einzelne Arbeitnehmer den Übergang nicht ablehnt (Art. 333 Abs. 1 OR). Wird ein Betrieb oder Betriebsteil während einer Nachlassstundung oder im Rahmen eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung übertragen, gehen die mit dem Betrieb resp. dem Betriebsteil verbundenen Arbeitsverhältnisse nur auf den Erwerber über, wenn dies mit dem Erwerber so vereinbart wurde und der Arbeitnehmer den Übergang nicht ablehnt (Art. 333b OR). 

Art. 333b OR ermöglicht folglich, dass der Erwerber keine oder nur einen Teil der Arbeitnehmer übernimmt und somit die zu übernehmenden Arbeitnehmer wählen kann (sog. Cherry-Picking).

Ausschluss der Solidarhaftung für Arbeitnehmerforderungen 

Betriebsübertragungen außerhalb von Nachlass- und Konkursverfahren sehen eine Solidarhaftung des bisherigen Arbeitgebers und des Erwerbers für die Forderungen der Arbeitnehmer vor. Die Solidarhaftung umfasst die Arbeitnehmerforderungen, die vor dem Betriebsübergang fällig geworden sind und die danach bis zum Zeitpunkt fällig werden, auf den das Arbeitsverhältnis ordentlicherweise beendet werden könnte oder bei Ablehnung des Übergangs durch den Arbeitnehmer beendigt wird (Art. 333 Abs. 3 OR). Art. 333b OR schließt die Anwendbarkeit von Art. 333 Abs. 3 OR für Betriebsübergänge unter anderem während einer Nachlassstundung oder im Rahmen eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung aus. 

Bei einer Betriebsübertragung im Zuge einer Nachlassstundung oder eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung haftet der Erwerber somit nicht für ausstehende, vor Betriebsübergang fällig gewordenen Forderungen der übernommenen Arbeitnehmer. Diese grundsätzlich privilegierten Arbeitnehmerforderungen sind im Rahmen des Nachlassverfahrens zu befriedigen. 

Darüber hinaus wird durch Art. 333b OR die Solidarhaftung des bisherigen Arbeitgebers für die nach dem Betriebsübergang fällig werdenden Ansprüche der übernommenen Arbeitnehmer ausgeschlossen. 

Anfechtungssicherheit bei genehmigten Rechtshandlungen während der Nachlassstundung 

Schließlich sieht Art. 285 Abs. 3 SchKG vor, dass Rechtshandlungen, die während einer Nachlassstundung stattgefunden haben, nicht anfechtbar sind, sofern sie vom Nachlassgericht oder dem Gläubigerausschuss genehmigt worden sind. 

Diese Regelung ermöglicht eine anfechtungssichere Betriebsübernahme durch eine Auffanggesellschaft oder einen Dritten im Rahmen eines Nachlassverfahrens im Falle der Genehmigung im vorerwähnten Sinne. Durch die Genehmigung wird insbesondere das Risiko einer Anfechtung einer Betriebsübertragung mit dem Vorwurf, dass ein zu tiefer Kaufpreis dafür bezahlt worden sei, ausgeschlossen.

Das Eigenverwaltungsverfahren im deutschen Insolvenzrecht

Grundsätzlich kennt die deutsche Insolvenzordnung drei Möglichkeiten, um eine Unternehmenssanierung zu ermöglichen:

  1. Die übertragende Sanierung, 
  2. das Insolvenzplanverfahren und 
  3. die Eigenverwaltung. 

Letztere ist dabei durch die weiterhin bestehende Verfügungsmacht des Schuldners in weiten Teilen das Pendant zum schweizerischen Nachlassverfahren. Im Folgenden sollen daher die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Vorteile der Verfahren rechtsvergleichend beleuchtet werden. 

Die Einleitung des Eigenverwaltungsverfahrens erfolgt durch Antrag des Schuldners beim zuständigen Insolvenzgericht (§ 270f InsO). Die Anforderungen an den Schuldnerantrag sind dabei durch den neu geschaffenen § 270a InsO erheblich erhöht worden. Als Kernelement muss der Antrag vor allem eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung enthalten. Insoweit sind die Anforderungen mit denen des schweizerischen Nachlassverfahren im Wesentlichen identisch, da auch nach deutschem Recht die derzeitige und künftige Vermögenslage dargestellt werden muss (vgl. § 270a Abs.1 Nr.1 InsO).

Nach Antragstellung entscheidet das Insolvenzgericht gem. § 270b InsO über die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und die Eröffnung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens. Die Anordnung unterbleibt – vergleichbar mit dem schweizerischen Nachlassverfahren –, wenn die Eigenverwaltungsplanung unvollständig oder aus anderen Gründen fehlerhaft ist und dieser Fehler nicht behebbar ist. 

Sind nach Beendigung des Eröffnungsverfahrens keine Gründe vorhanden, die einer Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung entgegenstehen oder zu deren Aufhebung führen wird das Eigenverwaltungsverfahren gem. §§ 270f Abs. 1 i.V.m. 270b InsO eröffnet.

Kein Verlust der Verfügungsgewalt

Der wesentliche Vorteil des Eigenverwaltungsverfahrens ist es, dass – gleichlaufend zum schweizerischen Nachlassverfahren – die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt weiterhin beim Schuldner verbleibt (vgl. § 270 Abs. 1 S. 1 InsO). Besondere Bedeutung kommt insoweit § 270b InsO zu, durch welchen einer der wesentlichen Hinderungsgründe an der Durchführung eines Eigenverwaltungsverfahrens obsolet wurde: Denn anders als dies vor der Schaffung eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens der Fall war, läuft der Schuldner nun nicht Gefahr, dass in der (zum Teil sehr langen) Zeit bis zur Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens der vorläufige Insolvenzverwalter bereits eigene, denen des Schuldners ggf. entgegenlaufende, Konzepte verfolgt. 

Wie im schweizerischen Nachlassverfahren, ist der Schuldner jedoch nicht gänzlich unabhängig. Vielmehr erfolgt durch den (vorläufigen) Sachwalter eine laufende Überwachung des Schuldners, um dem Interesse der Gläubiger an einer ordnungsgemäßen Fortführung gerecht zu werden.

Stilles vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren?

Soweit das schweizerische Recht in Art. 293c Abs. 2 SchKG die Möglichkeit vorsieht auf die Bekanntgabe der Bewilligung der provisorischen Nachlassstundung bis zu deren Beendigung zu verzichten, fehlt eine derartige Regelung in der deutschen Insolvenzordnung. 

Zwar sieht § 273 InsO die öffentliche Bekanntmachung vor, jedoch betrifft dies nur den Fall, dass die Eigenverwaltung angeordnet wird, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Nicht erfasst wird hingegen die Anordnung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens. Insoweit ist weiterhin strittig – auch weil das SanInsFoG hierzu keine Regelung getroffen hat –, ob eine öffentliche Bekanntmachung der vorläufigen Eigenverwaltung erforderlich ist. Im Hinblick darauf, dass eine frühzeitige Information nachteilige Auswirkungen auf die Sanierungsbemühungen haben kann, ist in der Praxis davon auszugehen, dass die Entscheidung im Ermessen des Gerichts steht. Dies ermöglicht im Einzelfall eine sachgerechte Abwägung zwischen den Interessen der Gläubiger an einer zeitnahen Information und den Schuldnerinteressen.

Beachtet werden muss jedoch, dass die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 30 InsO öffentlich bekannt gemacht wird, wenn dies gemeinsam mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnet wird.

Vereinfachte Kündigung von Dauerschuldverhältnissen

Ausfluss der weiterhin bestehenden Verfügungsgewalt des Schuldners ist, dass dieser gem. § 279 InsO i.V.m §§ 103 ff. InsO über die Erfüllung von Rechtsgeschäften entscheiden kann. Der Schuldner kann Dauerschuldverhältnisse ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer kündigen. Im Fall der Nichterfüllung kann der Gläubiger nach § 103 Abs. 2 InsO einen Schadenersatzanspruch wegen der Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Auch insoweit sind die Eigenverwaltung und das schweizerische Nachlassverfahren vergleichbar.

Kein Cherry-Picking bei Arbeitnehmern beim deutschen Eigenverwaltungsverfahrens

Gleichlaufend zur Möglichkeit einer (teilweisen) Betriebsübertragung im Rahmen der schweizerischen Nachlassstundung, kann auch im Eigenverwaltungsverfahren eine sog. übertragende Sanierung erfolgen. Dabei wird ein Teil des Schuldnerunternehmens auf eine sog. Auffanggesellschaft übertragen.

Gem. § 613a BGB hat der Betriebsübergang jedoch zur Folge, dass der Erwerber in alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt. Während das schweizerische Recht in Art. 333b OR eine Möglichkeit vorsieht, dass der Erwerber keine oder nur einen Teil der Arbeitnehmer übernimmt, fehlt eine solche Regelung im deutschen Insolvenzrecht. Es bleibt daher bei der Übernahmepflicht des Erwerbers. Allerdings wird der Anwendungsbereich des § 613a BGB von der Rechtsprechung insoweit reduziert, als dass der Erwerber von der Haftung für arbeitsrechtliche Verbindlichkeiten freigestellt wird, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. 

Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass der § 613a BGB in seiner Anwendung weitgehend der schweizerischen Regelung in Art. 333b OR entspricht. 

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