Ziel des Insolvenzverfahrens ist es, die Gläubiger in einem geordneten Verfahren gemeinschaftlich und gleichmäßig (Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung) zu befriedigen (vgl. § 1 InsO), indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird (Liquidation/Veräußerung) oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens (Sanierung) getroffen wird. Ein Zugriff einzelner Gläubiger auf die Vermögensgegenstände und somit ein sog. „Wettlauf der Gläubiger“ ist im Insolvenzverfahren ausgeschlossen.
Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über den Ablauf eines typischen Insolvenzverfahrens einer juristischen Person bzw. einer Personenhandelsgesellschaft als Insolvenzschuldnerin.
Finanzielle Krise – Was nun?
Gerät ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, besteht nach § 15a InsO für die Mitglieder des Vertretungsorgans bei Vorliegen von „Zahlungsunfähigkeit“ (§ 17 InsO) oder „Überschuldung“ (§ 19 InsO) eine Pflicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim zuständigen Insolvenzgericht zu beantragen. Der Antrag muss ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit bzw. sechs Wochen nach Eintritt einer Überschuldung gestellt werden. Ein Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht führt zu einer Strafbarkeit sowie einer zivilrechtlichen Haftung.
Droht die Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) lediglich, sind die Mitglieder des Vertretungsorgans zwar nicht verpflichtet aber berechtigt, einen Eigenantrag für die Gesellschaft zu stellen.
Antragsberechtigt sind auch Gläubiger (sog. Fremdantrag), wenn sie ihre eigene Forderung und einen Insolvenzeröffnungsgrund glaubhaft machen können. Erforderlich ist dabei, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darlegen kann.
Vorläufiges Insolvenzverfahren
Der Zeitraum zwischen der Stellung des Insolvenzantrages und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird als Antragsverfahren oder vorläufiges Insolvenzverfahren (Insolvenzeröffnungsverfahren) bezeichnet und dauert meist zwei bis drei Monate. Das vorläufige Insolvenzverfahren Esdient u.a. der gerichtlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen, namentlich:
- zulässiger Antrag (§§ 13 – 15 InsO);
- Insolvenzgrund (§§ 16 ff. InsO);
- ausreichende Masse, um zumindest die Verfahrenskosen zu decken (§ 26 InsO).
Das Gericht setzt im klassischen Regelinsolvenzverfahren nach Stellung eines Insolvenzantrages einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein, der die Aufgabe hat, die Insolvenzmasse zu sichern und nachteilige Veränderungen zu verhindern. Er kann entweder als sogenannter „starker“ Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis der Schuldnerin übertragen bekommen oder aber als „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Häufig erfolgt die Bestellung als „schwacher“ Insolvenzverwalter, sodass Verfügungen über Vermögensgegenstände der Schuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird vom Gericht außerdem als Gutachter beauftragt, die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu prüfen. Hierzu untersucht er etwaige Fortführungsmöglichkeiten des insolventen Unternehmens, insbesondere, ob es eine Auffanglösung durch Kaufangebote für einen bestimmten Teil des Unternehmens („asset deal“) geben kann oder ob die Erstellung eines Insolvenzplanes zum Erhalt des Unternehmensträgers sinnvoll erscheint.
Daneben ist der vorläufige Insolvenzverwalter verpflichtet, einen noch laufenden Geschäftsbetrieb zusammen mit dem schuldnerischen Management fortzuführen. Hierfür bedient er sich regelmäßig der Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Dabei werden die zukünftigen Ansprüche der Arbeitnehmer auf Insolvenzgeld an eine Bank abgetreten, welche im Gegenzug Darlehen in Höhe der Nettolöhne bereitstellt. Die Lohnansprüche gehen für den Insolvenzgeldzeitraum auf die Agentur für Arbeit über, welche diese Forderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenztabelle anzumelden hat und lediglich mit der Insolvenzquote befriedigt wird. Ein Liquiditätsabfluss aus der Insolvenzmasse findet daher insoweit nicht statt. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld kommt für bis zu drei Monate vom Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zurückgerechnet in Betracht.
Besonderheiten ergeben sich im vornehmlich auf eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens ausgerichteten sogenannten vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren bzw. im Schutzschirmverfahren nach §§ 270a ff. InsO. Anders als im klassischen Regelinsolvenzverfahren bleibt hier die Geschäftsführung bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst im Amt und wird durch einen sogenannten vorläufigen Sachwalter (nur) überwacht. Das Gericht kann der Schuldnerin folglich weder ein Verfügungsverbot noch einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) auferlegen. Die Schuldnerin soll vielmehr selbstständig handlungsfähig bleiben.
Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Eröffnungsbeschluss
Mit dem Eröffnungsbeschluss (§ 27 Abs. 1 InsO) wird das eigentliche Insolvenzverfahren eingeleitet.
Bestellung eines Insolvenzverwalters
Das Insolvenzgericht bestellt im Eröffnungsbeschluss einen Insolvenzverwalter, der in den meisten Fällen personenidentisch mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter ist. Die Schuldnerin verliert mit Insolvenzeröffnung vollständig die Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen (§ 80 InsO) an den Insolvenzverwalter, der die Insolvenzmasse in Besitz zu nehmen und diese zu verwalten hat. Ihm obliegt die Überführung des Schuldnervermögens von der „Ist-Masse“ in die „Soll-Masse“. Hierzu hat der Insolvenzverwalter insbesondere nicht zugehörige Teile aus der Masse auszusondern (§ 47 InsO), gewisse Teile im Wege der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) wieder in das Schuldnervermögen bzw. die Insolvenzmasse zurückzuführen und über laufende Verträge zu entscheiden (hierzu steht ihm insbes. ein Erfüllungswahlrecht bei gegenseitigen Verträgen nach § 103 InsO und eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit bei bestimmten Dauerschuldverhältnissen zu). Dem Insolvenzverwalter obliegt schließlich auch die Insolvenztabelle zu erstellen und den Erlös aus der Verwertung an die Gläubiger zu verteilen (§§ 187 ff. InsO).
Abwicklungsalternativen im Insolvenzverfahren
Das Insolvenzgericht bestimmt im Eröffnungsbeschluss die Termine für die ersten Gläubigerversammlungen im Insolvenzverfahren (Berichts- und Prüfungstermin, § 29 InsO). Der Berichtstermin soll innerhalb von sechs Wochen bis drei Monate nach Verfahrenseröffnung stattfinden. Der Prüfungstermin sollte mindestens eine Woche und höchstens zwei Monate nach Ablauf der Anmeldefrist für die Insolvenzforderungen stattfinden. Oft werden die Termine kombiniert.
Der Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist für den weiteren Fortgang des Verfahrens entscheidend. Auf der Grundlage des Berichts des Insolvenzverwalters (§ 156 InsO) beschließt die Gläubigerversammlung, ob das Unternehmen der Schuldnerin stillgelegt oder – ganz oder teilweise – vorläufig fortgeführt oder veräußert werden soll.
Nach deutschem Insolvenzrecht bestehen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie in einem Insolvenzverfahren ein solventer Teil des Geschäftsbetriebs gerettet werden kann.
- Es kommt eine Veräußerung des Geschäftsbetriebes in Form eines Asset Deals („übertragende Sanierung“) in Betracht. Dabei wird der profitable Kern des insolventen Unternehmens vom Insolvenzverwalter an einen neuen Investor veräußert. Unternehmensteile, die keine Fortführungsmöglichkeit aufweisen oder von denen man sich „trennen“ möchte, können und müssen im Zuge eines Insolvenzverfahrens geschlossen und liquidiert werden.
- Als Alternative zur übertragenden Sanierung besteht nach den §§ 217 ff. InsO auch die Möglichkeit, den Gläubigern einen Insolvenzplan zur Abstimmung zu stellen, der in bestimmten Grenzen von sonst zwingenden Vorgaben des deutschen Insolvenzrechts abweichen kann und so den Rechtsträger erhält. Die Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger und die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Gericht führen dazu, dass das Insolvenzverfahren zeitnah aufgehoben wird, die Geschäftsführung der Schuldnerin wieder die aktive Geschäftsführung übernimmt und der Insolvenzverwalter entsprechend aus dem Amt scheidet. Der ausgearbeitete Insolvenzplan muss von der Kopf- und Summenmehrheit der zu bildenden Gläubigergruppen angenommen und vom Gericht bestätigt werden.
Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle
Die Gläubiger werden im Eröffnungsbeschluss zur Anmeldung ihrer Forderungen aufgefordert (§ 28 InsO). Eine Forderungsanmeldung (§§ 174 ff. InsO) ist also erst im eröffneten Verfahren möglich. Das Ergebnis der Prüfung, ob die jeweiligen Forderungen zu Recht geltend gemacht werden, wird im Prüfungstermin verkündet. Nur sofern eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet und festgestellt wird, kann ein Gläubiger am Verwertungserlös teilhaben und zumeist erst am Ende des Verfahrens mit der Auszahlung einer Insolvenzquote rechnen. Eine Pflicht zur Anmeldung der eigenen Forderung besteht jedoch nicht. Es sollte zudem sorgfältig geprüft werden, ob bzw. in welchem Umfang eine Forderungsanmeldung vorgenommen wird, um einem Insolvenzverwalter keine Grundlage für eine mögliche Insolvenzanfechtung zu geben.
In diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass die Insolvenzordnung zwischen verschiedenen Gläubigergruppen differenziert, deren Befriedigungsaussichten und auch deren Geltendmachung ihrer Forderungen voneinander abweichen. Differenziert wird insbesondere zwischen den sog. aussonderungsberechtigten Gläubigern, absonderungsberechtigten Gläubigern, reinen Insolvenzgläubigern und den sog. nachrangigen Gläubigern.
Die zur Aussonderung berechtigten Gläubiger (§ 47 InsO) – wie z.B. die Eigentümer einer Sache – müssen ihre Forderungen insoweit nicht zur Insolvenztabelle anmelden, sondern können ihre Ansprüche direkt dem Insolvenzverwalter gegenüber geltend machen. Sie sind dazu berechtigt „ihre“ Gegenstände, die nämlich nicht zur Insolvenzmasse gehören, vorab aus der Masse auszusondern/herauszuverlangen.
Die absonderungsberechtigten Gläubiger (wie etwa Sicherungseigentümer), die (anders als die reinen Insolvenzgläubiger) ihre zur Tabelle anzumeldende Forderung zusätzlich besichert haben, werden vorrangig aus dem Verwertungserlös der Gegenstände, an denen sie die Sicherungsrechte haben, befriedigt.
Die reinen Insolvenzgläubiger erhalten (nur) eine quotale Befriedung. Die Insolvenzquote beträgt regelmäßig oft nur drei bis fünf Prozent.
Verfahrensbeendigung
Auf der Grundlage eines vom Insolvenzverwalter aufzustellenden Verteilungsverzeichnisses (§§ 188 InsO) werden die Erlöse an die Insolvenzgläubiger verteilt. Sobald die Schlussverteilung an die Gläubiger vollzogen ist (§ 200 InsO) bzw. die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist (§ 258 InsO), beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Die schuldnerische Gesellschaft ist von Amts wegen nach § 394 Abs. 1 S. 2 FamFG zu löschen, wenn nach der Durchführung des Insolvenzverfahrens keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass diese noch Vermögen besitzt.
Ziel der Blogserie „InsO-Einmaleins“ ist es, Ihnen einen umfassenden Überblick zu den grundlegenden Themen der Insolvenzordnung zu bieten. In den kommenden Beiträgen werden wir den Ablauf des Insolvenzverfahrens erläutern, zeigen, wie Sie Insolvenzbekanntmachungen suchen können, und erklären, wie ein Insolvenzantrag sowie das Insolvenzeröffnungsverfahren ablaufen. Darüber hinaus werden wir die Rolle der Gläubiger beim Insolvenzantrag, das Insolvenzgeld und die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis beleuchten und die Folgen der Verfahrenseröffnung behandeln. Des Weiteren werden wir uns mit der Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren, den Unterschieden zwischen Insolvenzforderungen und Masseforderungen sowie den Wahlrechten des Insolvenzverwalters auseinandersetzen. Weitere Themen umfassen die Aus- und Absonderungsrechte, die Grundlagen der Insolvenzanfechtung, die Aufrechnung in der Insolvenz und die vorläufige Eigenverwaltung.