Das OLG Düsseldorf hat die Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose für Start-ups konkretisiert.
Die deutsche Gründungsszene boomt. Die Gründer* von Start-ups sind nicht nur in TV-Shows präsent, sondern werden von Jahr zu Jahr wichtiger für die deutsche Wirtschaft. Laut einer aktuellen Studie schaffen Start-ups in Deutschland bereits heute rund 1,6 Millionen Arbeitsplätze; bis zum Jahr 2030 könnten es sogar 3,7 Millionen sein.
Eine allgemeingültige Definition für Start-ups gibt es nicht. Die Gründungsszene selbst beschreibt Start-ups als neu geschaffene Unternehmen, die mit einem innovativen Geschäftsmodell auf ein rasches Wachstum ausgerichtet sind.
Fremdfinanzierung von Start-ups meist schon in früher Phase notwendig
Das Eigenkapital der Gründer reicht in den meisten Fällen nicht, um das Start-up zu finanzieren, bis es aus eigener Kraft in der Lage ist, Geld zu verdienen und Wachstum zu finanzieren. Der Finanzierungsbedarf ist insbesondere in den ersten Entwicklungsphasen, in denen es um die Entwicklung, Umsetzung und Etablierung des neuen Geschäftsmodells geht, sehr hoch. In diesen Phasen erwirtschaften Start-ups ausschließlich Verluste. Aber auch in späteren Phasen, wenn ein Übergang in die Gewinnzone gelingt, ist oft weiteres Eigen- oder Fremdkapital erforderlich, um ein starkes Wachstum und damit eine schnelle Skalierung des Geschäftsmodells zu ermöglichen.
Da nur wenige Start-ups nachhaltig erfolgreich sind und am Markt bestehen, haben Finanzierer ein hohes Ausfallrisiko. So bleibt der Zugang zu klassischen Bankenfinanzierungen oft versperrt. Vielmehr sind alternative Finanzierer gefragt. Hierzu zählen private Investoren – oft sog. Business Angels, die den Gründern neben der Kapitalbeteiligung mit Knowhow zur Seite stehen. Darüber hinaus sind sog. Venture-Capital-Investoren im Markt aktiv. Schließlich gibt es öffentliche Förderprogramme, die Finanzierungen von Start-ups unterstützen.
Auch Start-ups und deren Geschäftsführer müssen die Insolvenzfalle im Blick haben
Wegen des hohen Finanzierungsbedarfs muss die wirtschaftliche Situation eines Start-ups laufend überwacht werden. Denn auch für die Geschäftsführer von Start-ups gelten Insolvenzantragspflichten, sofern diese in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (z.B. einer GmbH) organisiert sind. Tritt bei dem Start-up ein Insolvenzgrund ein, so müssen die Geschäftsführer rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellen, um keine persönliche Haftung zu riskieren.
Zwingende Insolvenzgründe sind die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO und die Überschuldung gemäß § 19 InsO.
Ein Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn es seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen kann. Die Zahlungsunfähigkeit lässt sich anhand einer 13-Wochen-Liquiditätsplanung überwachen.
Die Überschuldung ist komplexer. Sie besteht gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO, wenn das Vermögen der Gesellschaft die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist überwiegend wahrscheinlich. Die Prüfung der Überschuldung erfolgt also zweistufig: Eine Überschuldung ist ausgeschlossen, wenn das Unternehmen mehr Vermögen als Schulden hat oder wenn eine sog. positive Fortführungsprognose besteht.
Für Start-ups ist die positive Fortführungsprognose entscheidend
Meist sind mehr Schulden als Vermögenswerte vorhanden. Das kann zu Problemen führen, da die Voraussetzungen einer positiven Fortführungsprognose nicht eindeutig geregelt sind.
Eine positive Fortführungsprognose ist im Kern eine Zahlungsfähigkeitsprognose. Es muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (>50%) bestehen, dass das Unternehmen innerhalb der nächsten zwölf Monate zahlungsfähig bleibt. Diese Prognose ist anhand einer Planung zu treffen, die auf einem schlüssigen und realisierbaren Konzept beruht.
Umstritten ist, ob die positive Fortführungsprognose neben der Zahlungs- auch eine Ertragsfähigkeit im Sinne einer Selbstfinanzierungskraft voraussetzt. Zugespitzt könnte dies bedeuten, dass bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit nur solche Mittel berücksichtigt werden dürfen, die vom Unternehmen selbst erwirtschaftet werden. Alle externen Finanzquellen müssten außen vor bleiben.
Gerade dieser Punkt ist für Start-ups entscheidend. Da sie wie beschrieben über mehrere Entwicklungsphasen hinweg auf Fremdfinanzierungen angewiesen sind und keine Gewinne erwirtschaften, wären viele Start-ups überschuldet und damit insolvent.
OLG Düsseldorf: Positive Fortführungsprognose meint eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Ausgleichs fälliger Verbindlichkeiten innerhalb des Prognosezeitraums
Dass dieses Ergebnis unbefriedigend wäre, hat das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung aus Juli 2021 (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 20. Juli 2021 – I-12 W 7/21) klargestellt.
In dem entschiedenen Fall hatte ein an dem Start-up beteiligter Investor die Finanzierung ab einem bestimmten Zeitpunkt eingestellt, was zur Insolvenz des Unternehmens führte. Der Insolvenzverwalter verklagte daraufhin den ehemaligen Geschäftsführer auf Rückzahlung bestimmter Zahlungen. Er vertrat die Ansicht, das Start-up sei mangels positiver Fortführungsprognose bereits vor dem Rückzug des Investors überschuldet und damit insolvent gewesen. Danach hätte der Geschäftsführer des Start-ups keine Zahlungen mehr leisten dürfen. Der Investor hatte das Start-up über einen längeren Zeitraum mit Mezzanine-Kapital finanziert und zugesagt, in der Gründungsphase bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung und dem Nachweis des Finanzierungsbedarfs jeweils weitere Liquidität zur Verfügung zu stellen.
Das OLG Düsseldorf stellt in seiner Entscheidung bei der Prüfung der positiven Fortführungsprognose allein auf die Zahlungsfähigkeit des Start-ups ab und bejaht diese.
Die positive Fortführungsprognose liege bei einem Start-up grundsätzlich bereits dann vor, wenn dieses mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen. Die dafür erforderliche Liquidität könne auch von Dritten, sowohl von Fremd- als auch Eigenkapitalgebern, zur Verfügung gestellt werden.
Nach der Auffassung des Gerichts konnte der Geschäftsführer des Start-ups bis zu dem Rückzug des Investors von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen. Denn es bestand bis zu diesem Zeitpunkt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Zahlungsfähigkeit. Nach den Feststellungen des Gerichts lag ein nachvollziehbares, operatives Konzept vor, das aus damaliger Sicht eine Ertragsfähigkeit des Start-ups erwarten ließ. Zudem hätten keine konkreten Anhaltspunkte vorgelegen, dass der Investor nicht weiterfinanzieren wird. Ein rechtlich gesicherter Anspruch gegen den Investor auf die Finanzierung sei nicht erforderlich.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist folgerichtig und praxisgerecht, da sie der besonderen Finanzierungsstruktur von Start-ups Rechnung trägt.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.