Forderungsverzicht und Rangrücktritt als Sanierungsmittel für Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten insbesondere im Konzern und im Verhältnis zum Gesellschafter.
Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) sind zwingende Insolvenzgründe. Liegen diese vor, muss die Geschäftsleitung spätestens innerhalb von drei (Zahlungsunfähigkeit) bzw. sechs (Überschuldung) Wochen Insolvenzantrag stellen. Bei verspäteter Antragstellung drohen der Geschäftsleitung straf- und zivilrechtliche Haftungsrisiken.
Die Geschäftsleitung muss daher fortdauernd prüfen, ob ein zwingender Insolvenzgrund vorliegt, und rechtzeitig, spätestens innerhalb der Antragsfrist, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung des Insolvenzgrundes ergreifen. Ein Forderungsverzicht oder ein Rangrücktritt sind dabei i.d.R. nur zur Beseitigung der Überschuldung sinnvoll. Benötigt das Unternehmen kurzfristig Liquidität und soll auch eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden, sind andere Maßnahmen wie ein Darlehen oder eine Stundung sinnvoll.
Zahlungsunfähigkeit bei Liquiditätslücke ab einer Höhe von 10 % – Überschuldung bei fehlender positiver Fortbestehensprognose
Vereinfacht gesagt liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner* nicht in der Lage ist, seinen fälligen Zahlungspflichten nachzukommen. Der BGH hat dies dahingehend konkretisiert, dass regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt. Ist nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Liquiditätslücke demnächst fast vollständig beseitigt wird, liegt Zahlungsunfähigkeit vor.
Eine Überschuldung gem. § 19 InsO liegt vor, wenn die Gesellschaft rechnerisch überschuldet ist und keine positive Fortbestehensprognose vorliegt. Die rechnerische Überschuldung wird dabei im Wege eines Überschuldungsstatus ermittelt. In diesem werden die Vermögenswerte zum Liquidationswert den Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Existiert eine rechnerische Überschuldung, kommt es darauf an, ob eine positive Fortbestehensprognose vorliegt. Diese liegt – vereinfacht gesagt – vor, wenn die Gesellschaft für einen Zeitraum von zwölf Monaten durchfinanziert ist. Dabei hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2021 den Prognosezeitraum durch die Änderung des § 19 InsO im Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG – BGBl. 2020 Teil I Nr. 66 S. 3283) klarer definiert und vom Prognosezeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) abgegrenzt.
Forderungsverzicht und Rangrücktritt verschaffen dem Unternehmen keine neue Liquidität und dienen daher i.d.R. nur der Beseitigung der rechnerischen Überschuldung. Inhaltlich sind sie dabei voneinander abzugrenzen.
Forderungsverzicht als Sanierungsmittel
Gibt es für ein Unternehmen bspw. aufgrund von Darlehen mit kurzer Laufzeit oder unsicherer Auftragslage keine positive Fortbestehensprognose, kommt es darauf an, ob eine rechnerische Überschuldung vorliegt. Ist dies der Fall, ist die Gesellschaft gem. § 19 InsO überschuldet. Die Geschäftsleitung muss unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen, es sei denn, die Sanierungsaussichten sind aus der Perspektive eines sorgfältigen Geschäftsführers noch nicht gescheitert. Dann darf die Höchstfrist von sechs Wochen ausgeschöpft werden. Für eine Beseitigung der Antragspflicht muss demnach an einer der beiden „Stellschrauben“ – rechnerische Überschuldung oder positive Fortbestehensprognose – gedreht werden.
Der Forderungsverzicht als Sanierungsmittel kann eine rechnerische Überschuldung in entsprechender Höhe beseitigen. Rechtstechnisch erfolgt der Forderungsverzicht über einen Erlassvertrag. Alternativ kann mit einer Abtretung der Forderung an den Gesellschafter dasselbe bewirkt werden, weil dann die Forderung infolge von Konfusion erlischt (Forderungsschuldner und -gläubiger sind identisch).
Im Überschuldungsstatus führt der Forderungsverzicht dazu, dass die Verbindlichkeit, auf die der Gläubiger verzichtet, auf der Passivseite nicht mehr aufgeführt wird. Die rechnerische Überschuldung wird so reduziert.
Handelt es sich bei dem Gläubiger um einen Gesellschafter, bietet es sich insbesondere bei langfristigen Darlehen an, diese durch Gesellschafterbeschluss in eine Einbringung in die freie Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) umzuwandeln. Die Situation im Überschuldungsstatus wird so verbessert und der Gesellschaft wird Eigenkapital zugeführt.
Steuerliche Implikationen: Beratung durch einen Steuerberater empfehlenswert
Zu beachten sind jedoch die steuerlichen Implikationen eines Forderungsverzichtes. Der aus dem Forderungsverzicht resultierende sog. Sanierungsgewinn ist nur unter den Voraussetzungen des § 3a EStG steuerfrei. Diese Regelung wurde geschaffen, nachdem der Bundesfinanzhof den sog. Sanierungserlass für rechtswidrig befunden hat. Ein Forderungsverzicht kann sich daher u.U. steuerlich ungünstig auswirken. Eine steuerliche Prüfung oder Beratung durch einen Experten ist anzuraten, um den Sanierungserfolg nicht zu gefährden.
Qualifizierter Rangrücktritt
Um eine Verbindlichkeit auf der Passivseite eines Überschuldungsstatus „auszublenden“, kann auch ein sog. qualifizierter Rangrücktritt vereinbart werden. Der BGH hat in seinem Grundsatzurteil vom 5. März 2015 (IX ZR 133/14) die Rechtsqualität eines solchen qualifizierten Rangrücktrittes definiert. Er stellt einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der Gläubigergesamtheit dar. Dies hat zur Folge, dass die Vereinbarung ab Eintritt der Insolvenzreife nicht durch zweiseitige Abrede mit dem Gläubiger, mit dem der qualifizierte Rangrücktritt vereinbart wurde, aufgehoben werden kann. Zudem hat der BGH die Kernelemente des qualifizierten Rangrücktrittes benannt: Diese sind zum einen die Vereinbarung, dass die Forderung im Rang hinter sämtliche gegenwärtige und künftige Verbindlichkeiten des Schuldners i.S.d. § 38 InsO und des § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO zurücktritt. Zum anderen gehört hierzu die Vereinbarung, dass die Forderung nur beglichen werden muss, wenn und soweit der Schuldner hierzu insbesondere aus zukünftigen Jahresüberschüssen, einem Liquidationsüberschuss oder aus dem sonstigen freien Vermögen in der Lage ist, ohne dass eine Insolvenzreife entsteht oder vertieft wird (sog. vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre).
Bei einem qualifizierten Rangrücktritt vereinbaren die Parteien folglich keinen Erlass der Forderung. Entsprechend ist regelmäßig nicht gewollt, dass auf die Forderung vollständig verzichtet wird, weshalb eine Steuerpflicht nach § 5 Abs. 2a EStG, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH (BFH, Urt. v. 19.08.2020 – XI R 32/18), nicht anzunehmen wäre. Um in steuerlicher Hinsicht Sicherheit zu erlangen, ist jedoch trotzdem eine Beratung durch einen Experten und gegebenenfalls, sofern dies zeitlich möglich ist, die Einholung einer verbindlichen Auskunft angezeigt.
Wird der qualifizierte Rangrücktritt wirksam vereinbart, wird die Forderung nicht auf der Passivseite des Überschuldungsstatus berücksichtigt, wodurch eine rechnerische Überschuldung folglich beseitigt werden kann (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO).
Patronatserklärung als Sanierungsmittel
Forderungsverzicht und Rangrücktrittserklärung dienen dazu, eine rechnerische Überschuldung zu beseitigen. Sie setzen dagegen nicht an der „Stellschraube“ der positiven Fortbestehensprognose an, um den Insolvenzgrund der Überschuldung zu beseitigen. Hiergegen hilft nur echte Liquiditätszufuhr in Form von Darlehen oder Eigenkapital.
Sofern Liquidität erst in der Zukunft benötigt wird, aber die Beseitigung der Überschuldung eine Fortführungsprognose erfordert, kommt auch die Patronatserklärung in Betracht. Wird im Rahmen der Patronatserklärung ein Darlehen ausgereicht, sollte der Rückforderungsanspruch mit einem qualifizierten Rangrücktritt versehen sein, um beim Überschuldungsstatus ausgeblendet zu werden.
Fazit: Monitoring und aktuelle Liquiditätsplanung bleiben unerlässlich
Der Forderungsverzicht und der qualifizierte Rangrücktritt sind geeignete Sanierungsmittel, um den Insolvenzgrund der Überschuldung zu beseitigen. Sie können diesbezüglich an der „Stellschraube“ der rechnerischen Überschuldung drehen. Um einem Unternehmen aus der Krise zu helfen, sind insbesondere bei Liquiditätsproblemen jedoch noch weitere Maßnahmen wie ein Darlehen oder eine Stundungsvereinbarung erforderlich. Geschäftsleiter sollten sich vor allem durch ein permanentes Monitoring und fortdauernde Aktualisierung der Liquiditätsplanung absichern, um das Eintreten von Insolvenzgründen rechtzeitig zu bemerken.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.