15. Juni 2023
Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln
Restrukturierung und Insolvenz

Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln

Die Entscheidung des BGH zur Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln könnte der Grundstein einer neuen Linie in der Rechtsprechung werden.

In seinem Urteil vom 22. Oktober 2022 (IX ZR 213/21) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der umstrittenen Frage der Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln sowie den an diese zu stellenden Anforderungen auseinandergesetzt. Die Entscheidung löst sich von allgemeingültigen Aussagen und gibt dadurch Möglichkeiten in der Vertragsgestaltung. Die Grenzen der Wirksamkeit bleiben aufgrund erheblicher Wertungsspielräume im Detail allerdings weiter unklar.

Gängige Vertragsgestaltung – Recht zur fristlosen Kündigung im Insolvenzfall

Der Entscheidung liegt ein Vertrag zwischen einem Aufgabenträger und dem Betreiber eines Busunternehmers über die Beförderung von Schülern zugrunde. Nachdem das Insolvenzgericht auf Antrag des Busunternehmens die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet hatte, kündigte der Aufgabenträger den Beförderungsvertrag fristlos unter Verweis auf eine vertraglich vereinbarte insolvenzabhängige Lösungsklausel und eine Bestimmung der ebenfalls anwendbaren Allgemeinen Vertragsbedingungen (VOL/B 2003). 

Der Insolvenzverwalter hielt die Kündigung im Hinblick auf § 119 InsO für unwirksam und verklagte den Aufgabenträger auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Nach erstinstanzlicher Klageabweisung gab das Berufungsgericht der Klage statt (OLG Celle, Urteil v. 25. November 2021 –11 U 43/21). Der BGH teilte die Auffassung des Berufungsgerichtes nicht und wies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Dabei führte er unter anderem aus, nach welchen Maßstäben die Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Klauseln zu bemessen ist.

Die rechtliche Einordnung insolvenzabhängiger Klauseln: Spannungsverhältnis zwischen dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters und den berechtigten Interessen der Gläubiger

Eine sog. insolvenzabhängige Lösungsklausel liegt vor, wenn einer Vertragspartei für den Fall des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder des Antrags auf oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der anderen Vertragspartei ein Kündigungsrecht eingeräumt wird oder der Vertrag auflösend bedingt auf den Eintritt eines solchen insolvenzbezogenen Umstands abgeschlossen wurde.

Vertragliche Vereinbarungen unterliegen im Insolvenzfall den besonderen gesetzlichen Regelungen der Insolvenzordnung, sodass für die Beurteilung der Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln die §§ 103 und 119 InsO von entscheidender Bedeutung sind. Gemäß § 119 InsO sind Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder „nur“ beschränkt wird. Gegen die Wirksamkeit solcher Lösungsklauseln spricht insbesondere der Schutz des Wahlrechts des Insolvenzverwalters auf Vertragserfüllung nach § 103 InsO und der damit bezweckte Schutz der Insolvenzmasse. Zudem verschlechtern sich die Chancen einer erfolgsversprechenden Sanierung, wenn betriebsnotwendige Verträge aufgekündigt werden (können).

Im Unterschied dazu knüpfen insolvenzunabhängige Lösungsklauseln nicht an insolvenzspezifische Umstände an. Sie haben keinen oder nur einen mittelbaren Insolvenzbezug, wie beispielsweise ein Kündigungsrecht wegen (Zahlungs-)Verzugs einer Partei. Solche Lösungsklauseln sind zulässig, da sie nicht auf das Ziel ausgerichtet sind, die Wahlmöglichkeiten des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO einzuschränken. 

Grundsatzentscheidung zur Wirksamkeit – Rechtsunsicherheit durch Wertungsspielräume

Mit der nunmehr ergangenen Entscheidung hat der BGH vorerst abschließend die Möglichkeit einer wirksamen insolvenzabhängigen Lösungsklausel bestätigt, dabei allerdings Vorgaben zu der dafür erforderlichen Ausgestaltung der Klauseln gemacht. Er schließt sich damit keiner der beiden in der Literatur vorherrschenden Meinungen der grundsätzlichen Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit derartiger Klauseln an.

Die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH nahm ihren Anfang mit der Grundsatzentscheidung vom 15. November 2012 (IX ZR 169/11). Der Senat urteilte damals, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln bei Verträgen über fortlaufende Lieferungen von Waren und Energie grundsätzlich unwirksam seien, da andernfalls das Wahlrecht des Insolvenzverwalters beschränkt werden würde. Die Vertragspartner und nicht der Insolvenzverwalter hätten es andernfalls in der Hand, für den Insolvenzschuldner günstige Verträge zu beenden. Der BGH machte bereits in dieser Entscheidung klar, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln dennoch ausnahmsweise wirksam sein können, wenn sie einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entsprechen. Als Beispiel führte der BGH eine vertragliche Klausel an, die das damals nach § 14 VVG a.F. bestehende Kündigungsrecht des Versicherers im Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers ausgestaltete.

Unklar blieb nach dieser Entscheidung dennoch, ob insolvenzabhängige Lösungsklauseln im Grundsatz auch bei anderen Vertragstypen unwirksam sind oder die Rechtsprechung auf den speziellen Fall der fortlaufenden Lieferung von Waren und Energie beschränkt bleibt.

Keine eindeutige Antwort auf diese Frage lieferte die Entscheidung des BGH v. 7. April 2016 (VII ZR 56/15). Der BGH hatte über eine insolvenzabhängige Lösungsklausel des Auftraggebers nach VOB/B 2009 zu entscheiden. Zur Begründung der Wirksamkeit stützte er sich in diesem Fall auf die bereits 2012 bestätigte Aussage, dass die bloße Ausgestaltung einer gesetzlichen Lösungsmöglichkeit zulässig sein kann. Nach § 649 BGB a.F. (nunmehr § 648 BGB) konnte der Auftragsgeber bis zur Fertigstellung des Werks jederzeit kündigen. Die in Frage stehende insolvenzabhängige Lösungsklausel sei eine zulässige Ausgestaltung dieser Kündigungsmöglichkeit und die vertragliche Regelung entspreche zudem der besonderen Interessenlage der am Bau beteiligten Personen im Insolvenzfall. 

Damals traf der BGH erneut keine grundsätzliche Entscheidung über die Wirksamkeit beziehungsweise Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln. Dies ändert sich mit der aktuellen Entscheidung. Der BGH bestätigt die Möglichkeit einer wirksamen Vereinbarung insolvenzabhängiger Lösungsklauseln, unabhängig vom Typ des zugrundeliegenden Vertrags. Zu der erforderlichen Ausgestaltung der Klauseln macht er allerdings deutliche Vorgaben.

In seiner Begründung zur Wirksamkeit von Lösungsklauseln geht der BGH wie in den vorangegangenen Entscheidungen auf die Entstehungsgeschichte des § 119 InsO ein. Sie spreche nicht für ein umfassendes Verbot von Lösungsklauseln, da das ursprünglich vorgesehene Regelungskonzept der Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln im Ergebnis nicht Gesetz geworden sei. Hingegen habe allerdings ebenso wenig eine ausdrückliche Regelung zugunsten der Wirksamkeit von Lösungsklauseln Eingang in das Gesetz gefunden.

Insolvenzabhängige Lösungsklauseln bedürfen vor diesem Hintergrund einer umfassenden Einzelfallbetrachtung und können nach dem Leitsatz der Entscheidung nur dann unwirksam sein, „wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass es für diese bei objektiver ex-ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Vereinbarung auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen“.

Entscheidend für die Wirksamkeit ist somit vor allem, dass ein berechtigter Grund für die Beendigung des Vertrages im Insolvenzfall besteht, der darüber hinausgeht, die besonderen Befugnisse des Insolvenzverwalters und damit den Schutz der Insolvenzmasse zu unterlaufen.

Ein berechtigter Grund kann sich danach unter anderem aus einer sog. insolvenzrechtlich gerechtfertigten Zielsetzung ergeben. Diese liegt beispielsweise vor, wenn der zu kündigende Vertrag im Rahmen einer bereits andauernden Sanierung abgeschlossen wird.

Für die Bewertung der berechtigten Gründe in anderen Fällen kommt es maßgeblich auf das zugrundeliegende Vertragsverhältnis an. Wirksame Lösungsklauseln sind aufgrund der Interessenlage insbesondere bei Dienst- und Sachleistungsverträgen denkbar. Geldleistungsgläubigern soll die Möglichkeit einer insolvenzabhängen Lösungsmöglichkeit aufgrund der bestehenden Zurückbehaltungsrechte hingegen verwehrt bleiben.

Ausdrücklich, aber nicht abschließend nennt der BGH als mögliche Gründe für die Loslösung von Verträgen im Insolvenzfall die Zuverlässigkeit der weiteren Leistungserbringung, den möglichen Verlust von Gewährleistungsansprüchen sowie das schützenswerte Interesse des Gläubigers an späteren zusätzlich zu erbringenden Leistungen, wie etwa Wartungsarbeiten. 

Im zugrundeliegenden Fall wurde zudem die Möglichkeit wiederholter Störungen der ordnungsgemäßen Beförderung oder die Gefährdung der ausreichenden Absicherung der beförderten Schüler bei Unfallschäden im Insolvenzfall als grundsätzlich ausreichend erachtet.

Liegt nach diesen Grundsätzen eine wirksame insolvenzabhängige Lösungsklausel vor, kann ihre Ausübung im Einzelfall trotzdem noch unzulässig sein. Nach der aktuellen Entscheidung des BGH unterliegen wirksame Klauseln zusätzlich noch einer Ausübungskontrolle nach den Geboten von Treu und Glauben. Im Regelfall handelt der Ausübende zwar nicht treuwidrig, sondern nimmt berechtigte Belange wahr. Dies kann allerdings anders sein, wenn die Lösungsmöglichkeit missbräuchlich genutzt wird, beispielsweise zur Durchsetzung höherer Preise.

Ausblick für die Praxis: Bislang kein erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit

Das Urteil gibt eine Orientierung, wie sich die Rechtsprechung zu insolvenzabhängigen Lösungsklauseln entwickelt und weiter ausdifferenziert, fördert allerdings aufgrund der nunmehr zwingend erforderlichen Einzelfallbetrachtung auch die bestehende Rechtsunsicherheit. Es wird vor allem die Aufgabe der Instanzgerichte sein, die Fallgruppe der berechtigten Gründe mit Leben zu füllen und verlässliche und praxistaugliche Leitlinien für die Rechtsanwendung zu erarbeiten.

Insoweit rücken auch die sonstigen Beendigungsmöglichkeiten, wie beispielsweise das Recht zur ordentlichen Kündigung bei Vertragsverhandlungen mit insolvenzgefährdeten Vertragspartnern, in den Vordergrund, da diese auch im Falle einer Insolvenz wirksam ausgeübt werden können.

Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH, in welchem Verhältnis die dargelegten Grundsätze zu den Vorschriften des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) stehen. § 44 StaRUG, der im Gegensatz zu § 119 InsO ausdrücklich das „Verbot von Lösungsklauseln″ normiert, soll verhindern, dass sich Vertragspartner bei der Durchführung von Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen von für den Betrieb relevanten oder dringend benötigten Verträgen lösen können. Infolge der nun ausdrücklich möglichen Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln kann es im Restrukturierungsverfahren und einem sich eventuell anschließenden Insolvenzverfahren zu Unterschieden kommen. Insoweit bleibt abzuwarten, ob die je nach Verfahrensziel des Insolvenzverfahrens unterschiedliche Interessenlage ebenfalls ein relevantes Kriterium bei der Beurteilung der Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln werden wird.

Vor diesem Hintergrund werden die Vertragsparteien ihre Verträge nach den neuen Maßstäben der Rechtsprechung insgesamt überprüfen, ihre berechtigten Interessen begründen und diese in den Lösungsklauseln objektiviert darlegen müssen. Als erste Orientierung für die Beurteilung der Wirksamkeit der Lösungsklauseln können die nachfolgenden Leitlinien dienen, wobei eine einzelfallabhängige Begutachtung unerlässlich bleibt: 

  • Lösungsklauseln, die nicht an insolvenzabhängige Umstände anknüpfen, sind regelmäßig wirksam und können auch im Insolvenzfall erklärt werden. Die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten können also grundsätzlich ausgeübt werden.
  • Insolvenzabhängige Lösungsklauseln zugunsten reiner Geldleistungsgläubiger sind unwirksam, da sie wegen ihres Zurückbehaltungsrechtes aus § 320 BGB gegen den Forderungsausfall ausreichend geschützt sind.
  • Lösungsklauseln sind zudem wirksam, wenn die Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung verfolgen (z.B., wenn der Vertrag der vorinsolvenzlichen Sanierung dient).
  • Insolvenzabhängige Lösungsklauseln können zudem wirksam sein, wenn das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei objektiver Betrachtung ex-ante berechtigte Gründe einer Partei für die Zulässigkeit der Vertragsbeendigung im Insolvenzfall sprechen.
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