Welche Ansprüche können gegen GmbH-Liquidatoren geltend gemacht werden, wenn trotz Zahlungsunfähigkeit in der Liquidation Zahlungen an Dritte erfolgen?
Bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit einer GmbH können Gläubiger häufig ihre Forderungen gegen diese GmbH nicht mehr realisieren. Im Insolvenzverfahren sind sie auf die Geltendmachung durch Anmeldung ihrer Insolvenzforderung zur Tabelle angewiesen. Sofern keine Sicherheiten bestehen, bedeutet das in der Regel: Realisierung nur in Höhe einer häufig geringen Quote. Vor diesem Hintergrund stehen Gläubiger vor der Frage, ob ihnen in diesem Zusammenhang weitere Ansprüche zustehen.
In den Fokus rückt dann häufig der jeweilige Geschäftsleiter der GmbH, also regelmäßig der Geschäftsführer oder in der Liquidation der GmbH deren Liquidator. Dies insbesondere, wenn die Geschäftsleiter vermeintlich gegen das bei Zahlungsunfähigkeit der GmbH bestehende sogenannte Zahlungsverbot nach § 64 S.1 GmbHG verstoßen haben. Der BGH hatte sich hiermit zuletzt gleich mehrfach zu befassen.
Ausgangsfrage: Hat der Gläubiger einen Direktanspruch gegen den Liquidator?
Dem zuletzt vom BGH entschiedenen Fall (BGH, Urteil v. 13. März 2018 – II ZR 158/16) lag verkürzt gesprochen folgender Sachverhalt zugrunde: Der Alleingesellschafter und Liquidator einer GmbH leistete trotz bestehender Zahlungsunfähigkeit der GmbH Zahlungen auf verschiedene Rechnungen. Pikanterweise waren darunter auch Rechnungen, die er selbst als Gläubiger der GmbH in Liquidation stellte. Ob den Rechnungen entsprechende Leistungen, die vertraglich vereinbart waren, zugrunde lagen und ob die Höhe der Rechnungen gerechtfertigt war, blieb offen.
Anschließend wurde die Liquidation beendet und das Erlöschen der GmbH auf Antrag des Liquidators in das Handelsregister eingetragen. Ein Gläubiger der GmbH, der seine Forderung gegen die GmbH bereits vor Eintritt in das Liquidationsverfahren geltend machte, während des Liquidationsverfahrens erfolglos die Zwangsvollstreckung gegen die GmbH betrieben hat und insofern mit der Durchsetzung seines vermeintlichen Anspruchs gegen die GmbH ausgefallen ist, nahm sodann den Liquidator direkt in Anspruch.
Das ist ungewöhnlich, zumal der Anspruch des Gläubigers sich gegen die GmbH gerichtet hat. Fraglich ist also, ob einem Gläubiger in einem solchen Fall ein Direktanspruch gegen den Liquidator zusteht, zumal die GmbH nach Abschluss der Liquidation und der Löschung aus dem Handelsregister faktisch aus dem Rechtsleben ausgeschieden ist.
Entscheidend ist das Zahlungsverbot bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit
Mangels eines vertraglichen Direktanspruchs gegen den Liquidator rückte die Frage nach einer gesetzlichen Haftung in den Fokus. In Betracht kommt hier die zentrale Haftungsnorm von Geschäftsleitern einer GmbH bei Zahlungen im Stadium der Zahlungsunfähigkeit, also das sogenannte Zahlungsverbot.
Das Zahlungsverbot ist in § 64 S. 1 GmbHG normiert. Danach dürfen Geschäftsleiter einer GmbH ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bei der GmbH grundsätzlich keine Zahlungen mehr leisten. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit richtet sich nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO. Danach ist eine GmbH zahlungsunfähig, wenn sie
nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.
Das Zahlungsverbot gilt auch dann, wenn Gläubiger einen unbestrittenen oder gar rechtskräftig titulierten Anspruch haben. Der Geschäftsleiter einer GmbH darf Ansprüche von jeglichen Gläubigern ab eingetretener Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich nicht mehr befriedigen – unabhängig davon, ob über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet worden oder die Eröffnung eines solchen Verfahrens beantragt worden ist. Grund hierfür ist, dass die Regelung an den Eintritt der sogenannten „materiellen Insolvenzreife″ anknüpft. Dieser Zeitpunkt liegt häufig vor einem Insolvenzantrag. Nicht selten tritt die materielle Insolvenzreife bereits ein, ohne dass dies dem Geschäftsführer sofort bewusst ist.
Zahlungsverbot als Ersatzanspruch eigener Art
Das Besondere an dieser Regelung ist ihre Rechtsnatur und die geringen Anspruchsvoraussetzungen. Es handelt sich nicht etwa um einen Schadensersatzanspruch. Schadensersatzansprüche sind grundsätzlich einer Vorteilsausgleichung zugänglich, also der Argumentation, dass einem bestimmten Vermögensabfluss ein diesen Vermögensabfluss kompensierender Vermögenszufluss gegenübersteht. Das würde Geschäftsführern häufig zugutekommen, wird jedoch nicht berücksichtigt.
Vielmehr erfolgt im Rahmen des Zahlungsverbots grundsätzlich keine Saldierung von Vermögensab- mit Vermögenszuflüssen; nur im Einzelfall werden Vermögenszuflüsse unter besonderen, engen Voraussetzungen ausnahmsweise berücksichtigt. Damit handelt es sich beim Zahlungsverbot um einen Ersatzanspruch eigener Art. Geltend gemacht wird er in aller Regel im Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter.
Der Anspruch wird häufig auch als „scharfes Schwert″ der Insolvenzverwalter bezeichnet, da die Anspruchsvoraussetzungen sehr gering und häufig einfach darzulegen sind. Ein Verschulden wird zwar auch beim Zahlungsverbot vorausgesetzt, allerdings genügt die Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und das Verschulden wird vermutet (BGH, Urteil v. 14. Mai 2007 – II ZR 48/06), so dass dies keine große Hürde bei der Anspruchsgeltendmachung ist.
Zweck der Regelung ist es, Abflüsse, die die Haftungsmasse reduzieren, zu vermeiden, um dadurch die Gläubiger zu schützen. Denn bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit ist keine vollständige Befriedigung aller Gläubiger mehr gewährleistet. Es muss daher dem Gesetzeszweck nach vermieden werden, dass Zahlungen an einzelne Gläubiger erfolgen, um diese nicht gegenüber anderen Gläubigern zu bevorzugen.
Das Zahlungsverbot richtet sich grundsätzlich an die Geschäftsführer einer GmbH als Anspruchsverpflichtete, gilt auch für sog. „faktische Geschäftsführer″ und über die gesetzliche Verweisung in § 71 Abs. 4 GmbHG auch für Liquidatoren, also diejenigen, die die Geschäftsleitung in der Liquidation der GmbH übernehmen.
Ausnahmen vom Zahlungsverbot nur bei Einhaltung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsmanns
Ausnahmen vom Zahlungsverbot bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit bestehen lediglich für Zahlungen, die „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns″ (§ 64 S. 2 GmbHG) vereinbar sind. Das sind solche Zahlungen, die für die gesamte Gläubigermehrheit vorteilhaft sind, etwa zur Aufrechterhaltung eines Betriebes, sofern hieraus eine Vermehrung der Masse für die Gläubiger zu erwarten ist.
Beispiele sind etwa die Zahlung einer Lieferantenrechnung, um einen Auftrag zu beenden und somit einen Vergütungsanspruch zu begründen, der den Vermögensabfluss aufgrund der Zahlung der Lieferantenrechnung übersteigt. Ein weiteres Beispiel für für haftungsprivilegierte Zahlungen ist etwa die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge für die Sozialversicherung, weil der Geschäftsführer sich ansonsten strafbar machen würde (§ 266a StGB). Das Strafrecht hat insoweit Vorrang vor dem Zivilrecht. Anders ist es jedoch bei den Arbeitslöhnen selbst und auch bei den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung. Diese sind nicht strafrechtlich geschützt und damit auch nicht zivilrechtlich privilegiert.
Im Einzelnen müssen Geschäftsleiter sehr sorgfältig vorgehen und sollten sich in jedem Fall rechtlich gut beraten lassen, sobald Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder diese droht. Die Hürden für einen Geschäftsführer oder Liquidator dafür, dass eine Zahlung als sorgfaltsgemäß anerkannt wird, sind hoch.
Grundsätzlich haften Geschäftsleiter nicht unmittelbar gegenüber Gläubigern für Verstöße gegen das Zahlungsverbot
Die Krux an dieser Haftungsnorm ist lediglich, dass sie keine Anspruchsgrundlage für Gläubiger einer GmbH ist, sondern nur einen Anspruch der GmbH gegen den jeweiligen Geschäftsleiter begründet. Das ist auch der Grund dafür, dass diese Ansprüche nahezu immer von einem Insolvenzverwalter für die Gesellschaft geltend gemacht werden. In dem vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt war die GmbH jedoch bereits erloschen und es stellte sich die Frage, ob dem Gläubiger der GmbH aus diesem Zahlungsverbot nun ein unmittelbarer Anspruch zustand.
Außerhalb einer Liquidation ist diese Frage längst entschieden: Der BGH und auch die überwiegende Ansicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur gehen davon aus, dass das Zahlungsverbot nicht von Gläubigern der GmbH unmittelbar in Anspruch genommen werden kann. Es droht sonst eine Zersplitterung von Ansprüchen und die Bevorzugung einzelner, diese Ansprüche schnell geltend machender Gläubiger, was vom Schutzzweck des Zahlungsverbots gerade vermieden werden soll. Gläubigern bleibt dann im Grunde nur die Wahl, einen Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH zu stellen, um dadurch die Bestellung eines Insolvenzverwalters zu erreichen, der die Ansprüche sodann durchsetzen kann.
Nichts anderes gilt in der Liquidation
Fraglich ist jedoch, ob dies auch dann gilt, wenn die GmbH wie vorliegend bereits liquidiert und erloschen ist. In diesem Fall scheidet die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über die bereits aus dem Handelsregister gelöschte und damit aus dem Rechtsleben ausgeschiedene GmbH de facto aus. Daher argumentierte der Kläger in diesem Fall so, dass ausnahmsweise das Zahlungsverbot auch durch einzelne Gläubiger der GmbH direkt gegen den damaligen Liquidator geltend gemacht werden könne, da ansonsten die Gläubiger dieses Zahlungsverbot nicht einmal mittelbar über einen Insolvenzverwalter durchsetzen können.
Der BGH ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt und begründet dies damit, dass sich auch in der Liquidation am Schutzzweck des Zahlungsverbots nichts ändert. Dieses hat eben keine individuelle Schutzrichtung, sondern dient nur der Gläubigermehrheit. Somit können sich einzelne Gläubiger nicht unmittelbar hierauf berufen. Diese Entscheidung verdient Zustimmung: Das „scharfe Schwert″ des Zahlungsverbots ist nicht nur eine Besonderheit des Haftungsrechts, sondern auch eine ungewöhnlich haftungsträchtige Regelung für Geschäftsleiter. Daher ist es richtig, den Kreis der Anspruchsberechtigten eng zu ziehen.
Die Entscheidung fügt sich auch ein ins Gesamtbild der Rechtsprechung des BGH, wonach jegliche Haftungsansprüche gegen Gesellschafter und oder Geschäftsführer einer GmbH, auch solche wegen Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot (etwa §§ 30, 31 GmbHG), grundsätzlich nicht von den Gläubigern der GmbH direkt verfolgt werden können. Daher schied vorliegend auch eine Inanspruchnahme des Liquidators, der zugleich Alleingesellschafter der liquidierten und erloschenen GmbH war, wegen Rückzahlung der Stammeinlage unter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot aus. Ein solcher Verstoß wäre in Betracht gekommen, wenn den Rechnungen, auf die er Zahlungen der GmbH geleistet hat, keine entsprechenden, diese Zahlungsansprüche rechtfertigenden Leistungen zugrunde gelegen hätten, was ja hier im Raume stand, aber letztlich offenbleiben konnte, weil solche Ansprüche ebenfalls nicht von den Gläubigern einer GmbH direkt geltend gemacht werden können. Anders ist dies bei der AktG (vgl. § 62 Abs. 2 S. 1 AktG), wo der Anspruch der Aktiengesellschaft
auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden
kann,
soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können.
Allerdings stehen Gläubiger einer GmbH in einem solchen Fall nicht schutzlos dar. Der BGH hat hier auf die Haftung des Liquidators nach § 73 Abs. 3 S. 1 GmbHG verwiesen. Danach haftet ein Liquidator unter bestimmten Voraussetzungen, wenn er gegen seine Pflichten aus dem Amt des Liquidators verstoßen hat, darunter gegen die Verpflichtung, fällige Forderungen von Gläubigern aus dem Vermögen der GmbH zu begleichen, bevor eine Verteilung von Vermögenswerten an die Gesellschafter stattfindet. Da dieser Anspruch anderen, weiteren Voraussetzungen unterliegt als das „scharfe Schwert″ des Zahlungsverbots, war der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif und wurde vom BGH wieder an das ursprüngliche Gericht zurückverwiesen.
Für die Praxis steht damit nunmehr fest, dass Gläubigern auch nicht im Ausnahmefall der Liquidation ein direkter Anspruch wegen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot zusteht. Vielmehr sind Gläubiger in einem solchen Fall auf etwaige spezielle Haftungsansprüche gegen die Liquidatoren verwiesen, die nur unter weiteren Voraussetzungen für die Gläubiger zum Erfolg führen. Dennoch sollten Geschäftsführer und Liquidatoren einer GmbH unbedingt sorgfältig handeln, wenn die Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Raume steht, und sich in jedem Fall frühzeitig rechtlich beraten lassen.