Morgen, am 15. März 2014, wird in Ungarn ein vollständig neu kodifiziertes bürgerliches Gesetzbuch („uBGB“) in Kraft treten. Nach der Einführung eines neuen Arbeitsgesetzbuchs, Strafgesetzbuchs und dem Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2012 ist das neue BGB die vierte große Neukodifikation in Ungarn.
Im Zuge der Eingliederung des Gesetzes über die Wirtschaftsgesellschaften und des Familienrechts in das uBGB werden auch diese beiden Rechtsgebiete grundlegend reformiert.
Ein zentrales Ziel des uBGB ist es, der sich schnell entwickelnden postindustriellen Gesellschaft und dem Wirtschaftsleben ein effektives und modernes Rechtssystem an die Seite zu stellen. Das uBGB wurde am 11. Februar 2013 vom Parlament verabschiedet und implementiert alle Vorgaben des EU-Rechts, kodifiziert die sich in den letzten Jahren herausgebildete Rechtspraxis und enthält auch neue Regelungen und Rechtsinstitute.
Das uBGB ist in acht Bücher (könyv) aufgeteilt, die wiederum in Teile (rész) untergliedert sind, wobei in jedem Buch die Zählung der Paragrafen neu beginnt. Daher muss bei Gesetzeszitaten stets das jeweilige Buch vorangestellt werden, gefolgt von dem einschlägigen Paragrafen, z.B. „§ 6:405“ oder „§ 5:31“.
Das Gesetz über die Wirtschaftsgesellschaften befindet sich jetzt im 3. Buch (Jogi személy / Rechtssubjekte) und dort im 3. Teil (Gazdasági társaság / Wirtschaftsgesellschaften). Die Umwandlung, Verschmelzung und Abspaltung sind in einem separaten Gesetz geregelt.
Neuerungen im Gesellschaftsrecht
Das alte Gesellschaftsrecht war geprägt von einem eher positivistischen Ansatz, dass nur das erlaubt ist, was in dem Gesetz geregelt ist. Das neue uBGB stellt die Gestaltungsfreiheit in den Vordergrund und erlaubt nun im Gesellschaftsrecht alles, sofern das Gesetz es nicht verbietet.
Beispielsweise zeigt sich dies in den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten der Satzung einer GmbH oder in der freieren Ausgestaltung der Funktionen und Aufgaben des Aufsichtsrates einer GmbH, dem auch einzelne Entscheidungskompetenzen des Geschäftsführers in der Satzung übertragen werden können. Jedoch ist eine Grenze der Gestaltungsfreiheit immer der Schutz der Interessen und Rechte Dritter (der Gläubiger oder der Angestellten) und der Minderheitsgesellschafter. Ferner dürfen die vom Gesetz inhaltlich abweichenden Regelungen das gerichtliche Überprüfungsverfahren nicht behindern.
Ein paar der wichtigsten und praxisrelevanten Änderungen möchten wir hier vorstellen.
Zur Stärkung des Gläubigerschutzes wurde das Mindeststammkapital der GmbH (auf Ungarisch: „Kft.“) von derzeit 500.000 Forint (ca. 1.600 Euro) auf 3 Millionen Forint (ca. 10.000 Euro) erhöht. Im Falle der Geldeinlage gilt als dispositive Grundregel, dass die Hälfte zum Zeitpunkt der Einreichung der Gründungsunterlagen beim Firmengericht und die andere Hälfte binnen eines Jahres einzubezahlen ist. Falls die Gesellschafter von dieser Grundregel in der Satzung abweichen, kommt eine neue Gläubigerschutzregelung zur Anwendung. Danach haftet ein Gesellschafter bis zur Höhe des noch nicht einbezahlten Einlagebetrages, falls die Gesellschaft ihre Schulden nicht begleichen kann und der Gesellschafter nicht von der Dividendenausschüttung ausgeschlossen und der Dividendenbetrag dem Stammkapital zugerechnet werden kann.
Ferner wurde die Regelung, wonach die Höhe eines Geschäftsanteils zwingend durch 10.000 teilbar sein muss, aufgehoben. Dies dient auch der Gestaltungsfreiheit, womit nun oberhalb des Mindestbetrages der Stammeinlage in Höhe von 100.000 Forint (ca. 330 Euro) eine Stückelung des Geschäftsanteils frei möglich ist.
Eine weitere wichtige Neuerung betrifft die Geschäftsführerhaftung. Ein Geschädigter kann sich nach den neuen Regelungen sowohl an die Gesellschaft als auch direkt an den Geschäftsführer halten. Der Geschäftsführer haftet gegenüber Dritten jedoch nur aus außervertraglichen Haftungstatbeständen und auch nur dann, wenn zwischen der Gesellschaft und dem Geschädigten keine Vertragsbeziehung besteht oder im Falle einer Straftat. So haftet etwa der Geschäftsführer einem Wettbewerber gegenüber, der durch ein Kartell einen Schaden erleidet.
Ein Geschäftsführer, der seine Aufgaben entgeltlich erbringt, kann sich von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft (etwa bei Regressansprüchen) nur noch befreien, wenn er beweisen kann, dass der Schaden unter unvorhersehbaren und durch ihn nicht kontrollierbare Umstände entstanden ist und es von ihm als Geschäftsführer nicht zumutbar erwartet werden konnte, dass er den eintretenden Schaden abwendet.
Sind mehrere Geschäftsführer einer GmbH bestellt und besteht Uneinigkeit über eine Geschäftsführungsentscheidung, kann jeder Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung ersuchen, darüber abzustimmen. Diese neue Möglichkeit birgt aber auch das Risiko in sich, dass dem anderen Geschäftsführer ein Vorwurf gemacht werden kann, falls er eine solche klärende Entscheidung der Gesellschafterversammlung eben nicht initiiert hat.
Handlungsempfehlung im Zusammenhang mit dem uBGB
Die eingeführte neue Gestaltungsfreiheit hat auch Nachteile. Da die Regelungen im uBGB allgemeiner gefasst sind, ist es insbesondere in den folgenden Fällen ratsam, die Satzung der ungarischen GmbH an die neue Rechtslage anzupassen oder eine ergänzende Regelung aufzunehmen:
- Bei einer 1-Mann-GmbH mit mehreren Geschäftsführern sollte nun in der Satzung ausdrücklich geregelt werden, dass ein Beschluss des Alleingesellschafters der gesamten Geschäftsführung als zugegangen angesehen wird, wenn er einem der Geschäftsführer wirksam zugestellt wird. Fehlt eine solche Klarstellung, kann es zu Problemen kommen, da das neue uBGB dies nicht abschließend regelt.
- Ferner sollte die Satzung das Prozedere bei der nun möglichen späteren Aufteilung von Geschäftsanteilen festlegen, weil das Gesetz hierzu keine detaillierten Regelungen vorsieht.
- Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass bei jeder von dem Gesetz abweichenden Satzungsbestimmung stets die Interessen aller beteiligten Personen (der Gläubiger, Angestellten usw.) beachtet werden müssen.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Firmengericht bei der Überprüfung der Satzung bestimmte Abweichungen von dem Gesetz ablehnen wird.
Neuerungen im Immobilienrecht sowie bei Finanzierungen
Das neue uBGB führt verschiedene Neuerungen ein, die insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzierung von Immobilienprojekten zu beachten sind. An dieser Stelle möchten wir vier Änderungen kurz vorstellen.
Bei der Finanzierung von Immobilienprojekten war es in der Praxis der ungarischen Banken üblich, neben der Hypothek auch eine Kaufoption zu Gunsten der Bank und zu Lasten des besicherten Grundstücks im Grundbuch eintragen zu lassen. Nach dem neuen uBGB kann zur Sicherung von Kreditforderungen keine Kaufoption oder Sicherungsabtretung mehr vereinbart werden: Gemäß den neuen Regelungen ist eine vor dem Sicherungsfall abgeschlossene Vereinbarung nichtig, aufgrund welcher der Gläubiger bei Eintritt des Sicherungsfalls das Eigentumsrecht an einer Immobilie (Kaufoption) oder eine Forderung erwerben kann.
Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des neuen uBGB wird auch ein neues Pfandrechtsregister eingeführt, welches online eingesehen werden kann. In das Pfandregister wird auch der für bewegliche Gegenstände vereinbarte Eigentumsvorbehalt eingetragen.
Zur Sicherung einer Hypothek kann nun jederzeit ein allgemeines Belastung- und Veräußerungsverbot in das Grundbuch eingetragen werden. Bisher war dies nur gleichzeitig mit Kauf einer Immobilie möglich. Dementsprechend war die Eintragung des Belastung- und Veräußerungsverbotes bei einer Refinanzierung und Finanzierung eines Immobilienerwerbs im Rahmen eines „Share Deals“ nicht möglich (da keine gleichzeitige Übertragung der Immobilie stattgefunden hat).
Eine in der Praxis sehr wichtige Neuerung betrifft die Trennung des Grundstücks von dem darauf errichten Gebäude. Bisher konnte das Gebäude nicht von dem Grundstück getrennt und unter einer gesonderten Parzellennummer eingetragen werden, außer wenn der Eigentümer des Grundstücks einer Drittperson noch vor dem Bau des Gebäudes ein Bodennutzungsrecht eingeräumt hat. Die Trennung eines schon bestehenden Gebäudes von dem Grundstück war aber von unter keinen Umständen möglich. Mit dem Inkrafttreten des neuen uBGB kann der Eigentümer jederzeit das Land und alle darauf errichten Gebäude als getrennte Liegenschaft mit eigener Parzellenzahl in das Grundbuch eintragen lassen. Der Grundeigentümer hat demnach die Möglichkeit, das Grundstück und das darauf errichtete Gebäude getrennt zu veräußern oder auch zu belasten.
Arbeitsrecht
Im Arbeitsrecht ist auf eine Verschärfung der Haftungsregelungen hinzuweisen: Nach dem neuen uBGB haftet ein Arbeitnehmer für Schäden, welche von ihm vorsätzlich verursacht werden, gegenüber Dritten zusammen mit dem Arbeitgeber gesamtschuldnerisch.
Neue Vertragstypen
In das neue uBGB wurden auch neue Vertragstypen mit aufgenommen. Der Garantievertrag ist im 6. Buch in den Paragrafen 6:431 – 6:438 explizit geregelt und ähnelt dem Bankgarantievertrag, der aber bisher nur von Banken abgeschlossen werden durfte. Nun stellt der Garantievertrag eine neue Form der Sicherheit für Gläubiger dar. Ferner werden der Finanzierungsleasingvertrag (Paragrafen 6:409 – 6:415) und der Factoringvertrag (Paragrafen 6:405 – 6:408) als eigene Vertragstypen in das uBGB aufgenommen.
Zeitrahmen für die Umsetzung des uBGB in die Satzung
Bezüglich der Implementierung des neuen uBGB ist darauf zu achten, dass Gesellschaften grundsätzlich bis spätestens 15. März 2016 Zeit haben, ihre Satzung an die neue Rechtslage anzupassen. Jedoch besteht für jede Gesellschaft die Verpflichtung, im Falle einer Satzungsänderung die gesamte Satzung umfassend an den neuen Regelungsrahmen anzupassen. Dies ist beispielsweise schon bei einer Neubestellung eines Geschäftsführers erforderlich.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die Modernisierung und Flexibilisierung des uBGB und die Beseitigung der unpraktischen Rechtsentwicklungen zu einer Steigerung der Effektivität des ungarischen Rechtssystems führen wird.
Unser Autor ist Leiter des CMS CEE German Desk und Head of German Desk bei CMS Budapest. Der German Desk bei CMS Budapest berät mit 24 Anwälten Mandanten umfassend in deutscher Sprache. CMS Budapest hat rund 120 Anwälte und ist als größte Kanzlei in Ungarn anerkannt. In unserer Serie „CMS in Central and Eastern Europe“ berichten unsere Büros aus Mittel- und Osteuropa regelmäßig über aktuelle Themen vor Ort.