16. Oktober 2025
No-Poach-Abrede Kartellrecht
Kartellrecht

Kartellrecht & Arbeitsmärkte: No-Poach-Abreden im Visier der Kartellbehörden 

Absprachen im Personalbereich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen: Neue europäische Fallpraxis zeigt Fokus der Kartellbehörden auf Arbeitsmärkte.

In Zeiten des Fachkräftemangels sind kompetente Mitarbeiter* über alle Branchen hinweg dringend gesucht. Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern über Abwerbeverbote gibt es nicht nur bzgl. hoch spezialisierter Fachkräfte im Silicon Valley, sondern auch hier in den EU-Mitgliedstaaten – und diese Vereinbarungen geraten immer mehr ins Visier der europäischen Kartellbehörden. 

Kartellrechtliche Relevanz von Abwerbeverboten

Abwerbeverbote, auch „No-Poach-Abreden“ genannt, sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Arbeitgebern, in denen diese sich verpflichten, gegenseitig keine Mitarbeiter abzuwerben, sei es durch Verbote der gezielten Ansprache von Arbeitskräften eines anderen Unternehmens mit Jobangeboten („non-solicit“, „do not call“), oder aber auch durch passive Verbote jeglicher Anstellung („no-hire“). Möglich ist dabei sowohl eine einseitige als auch eine gegenseitige Ausgestaltung des Verbots. Unternehmen bezwecken mit solchen Vereinbarungen oftmals den Schutz von unternehmensspezifischem Know-how und die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen. 

Allerdings stellt der Kampf um die besten Angestellten keine kartellrechtsfreie Zone dar. Aus Sicht der Arbeitgeber – und auch des Kartellrechts – sind Arbeitsmärkte Einkaufsmärkte, auf denen Arbeitgeber unterschiedlichster Branchen um Arbeitnehmer konkurrieren. Werden Fachkräfte in ihrer Freiheit, ihren Arbeitgeber zu wechseln, beschränkt, können sich Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen oder innovativeren Angeboten nicht durchsetzen. Zudem sinkt bei reduziertem Wettbewerb um Arbeitskräfte für Unternehmen der Anreiz, Gehälter zu erhöhen. Schlechtere Bezahlung und geringere Anreize für Leistung und Weiterbildung sind die Folge. Der Wettbewerb auf Arbeitsmärkten wird so weiter geschwächt. 

Sowohl das europäische als auch das deutsche Kartellrecht verbieten gemäß Artikel 101 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Verhaltensweisen, die bereits ihrer Natur nach objektiv den Zielsetzungen des Kartellrechts zuwiderlaufen und daher als besonders schädlich für das Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können. Im Gegensatz zu bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen müssen die Kartellbehörden bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen keine negativen Auswirkungen des in Frage stehenden Verhaltens auf den Wettbewerb nachweisen. Nach ständiger Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist bei der Einstufung einer Wettbewerbsbeschränkung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung jedoch Zurückhaltung geboten. 

Europäische Kommission stuft Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ein

Abwerbeverbote geraten seit geraumer Zeit immer mehr ins Visier der Kartellbehörden. Eine Reihe von nationalen und internationalen Kartellbehörden haben in den vergangenen Jahren Leitlinien zur Vermeidung kartellrechtswidriger Verhaltensweisen auf den Arbeitsmärkten erlassen, so z.B. die US-Kartellbehörde , die portugiesische Kartellbehörde, die polnische Kartellbehörde und die britische Kartellbehörde. Auch häufen sich in jüngerer Vergangenheit  Entscheidungen europäischer Kartellbehörden gegen Unternehmen im Rahmen von Kartellverfahren wegen kartellrechtswidrigen Abwerbeverboten. Insbesondere die portugiesische und polnische Kartellbehörde nehmen dabei eine Vorreiterrolle in Europa ein, aber auch in Frankreich erging im Jahr 2025 eine entsprechende Entscheidung der Kartellbehörde

Nun hat auch die Europäische Kommission (Kommission) erstmals eine Entscheidung zu Abwerbeverboten erlassen: Am 2. Juni 2025 hat die Kommission gegen Delivery Hero und Glovo, zwei der größten Lebensmittel-Lieferdienste in Europa, Geldbußen in Höhe von insgesamt EUR 329 Mio. wegen des Austauschs wettbewerblich sensibler Informationen, der Aufteilung der nationalen Märkte für Online-Lebensmittellieferungen im EWR sowie einer No-Poach-Abrede verhängt. Die Kommission stufte die No-Poach-Abrede ausdrücklich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 AEUV ein. 

Nach Hinweisen einer nationalen Wettbewerbsbehörde und dem anonymen Instrument für Hinweisgeber hat die Kommission im Juni 2022 und November 2023 unangekündigte Nachprüfungen (sog. Dawn Raids) in den Räumlichkeiten von Delivery Hero und Glovo unter anderem wegen mutmaßlicher No-Poach-Abreden durchgeführt. Delivery Hero und Glovo sollen zunächst vereinbart haben, von der Einstellung bestimmter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzusehen, als Delivery Hero eine Minderheitsbeteiligung an Glovo erwarb. Diese Vereinbarung soll anschließend zu einem allgemeinen gegenseitigen Abwerbeverbot erweitert worden sein. Diese No-Poach-Abrede, ebenso wie der von der Kommission sanktionierte Informationsaustausch und die Aufteilung räumlicher Märkte, wurden durch die Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo erleichtert, da sie einen wettbewerbsschädigenden Einfluss von Delivery Hero auf Glovo sowie einen wettbewerbswidrigen Informationsaustausch zwischen den beiden Wettbewerbern auf mehreren Ebenen ermöglichte. 

Bereits vor dem Erlass dieser Entscheidung hat die Kommission mitgeteilt, dass sie Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einstuft. In ihrem im Mai 2024 veröffentlichten Policy Brief zum Kartellrecht in Arbeitsmärkten stuft die Kommission Abwerbeverbote als Aufteilung von Märkten bzw. Versorgungsquellen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen nach Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV ein. Dabei führt die europäische Kartellbehörde aus, dass es schwierig sei, ein berechtigtes Ziel solcher Vereinbarungen festzustellen. Als mildere Mittel stünden zudem Wettbewerbsverbote in Individualarbeitsverträgen zulasten von Mitarbeitern regelmäßig zur Verfügung, sofern sie nach den nationalen kartellrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften zulässig sind. Bei der notwendigen Bewertung des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes von Abwerbeverboten sei außerdem zu berücksichtigen, dass Arbeit ein grundlegender Produktionsfaktor sei und die Fähigkeit, Arbeitskräfte zu gewinnen, einem maßgeblichen Wettbewerbsparameter darstelle. Aus diesem Grund ließen Abwerbeverbote ein erhebliches Maß an Wettbewerbsbeeinträchtigung erkennen. Etwaige wettbewerbsfördernde Auswirkungen, die mit Abwerbeverboten einhergingen, seien nach Auffassung der Kommission hingegen im Allgemeinen nicht so erheblich, dass sie der Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung entgegenstünden. 

Lediglich unter folgenden, restriktiv anzuwendenden kumulativen Voraussetzungen sollen Abwerbeverbote als notwendige Nebenabrede zu einer wettbewerbsneutralen Hauptvereinbarung kartellrechtlich zulässig sein:

  1. Wenn Abwerbeverbote mit der nicht den Wettbewerb beschränkenden Hauptvereinbarung unmittelbar verbunden sind, 
  2. wenn die Abwerbeverbote für die Ausführung dieser Hauptvereinbarung objektiv notwendig sind, und 
  3. wenn die Abwerbeverbote verhältnismäßig sind, d.h. wenn es keine weniger wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen gibt, die ausreichen würden, um die Hauptvereinbarung umzusetzen. Als mildere Maßnahmen kommen nach Auffassung der Kommission in Individualarbeitsverträgen mit den jeweiligen Mitarbeitern vereinbarte und mit den nationalen Arbeitsrechtsvorschriften im Einklang stehende Wettbewerbsverbote, Non-Disclosure Agreements und sog. „Gardening Leaves“, d.h. die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf seiner Kündigungsfrist unter Weiterbezug seines Gehalts, in Betracht. 

Diese hohen Anforderungen werden in den seltensten Fällen erfüllt sein. Darüber hinaus hält es die Kommission für unwahrscheinlich, dass Abwerbeverbote mit wettbewerbsfördernden Aspekten nach der allgemeinen Freistellungsvorschrift des Artikel 101 Abs. 3 AEUV von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen freigestellt sein könnten.

Entscheidung des EuGH zu Abwerbeverboten steht an 

Der EuGH hat Gelegenheit, sich zeitnah zu der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Abwerbeverboten zu positionieren. In dem derzeit anhängigen EuGH-Verfahren Tondela (Rechtssache C-133/24) wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Abwerbeverbot eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Diesem Fall liegt eine No-Poach-Abrede zugrunde, die die Fußballvereine der ersten und zweiten portugiesischen Profifußballliga während der Corona-Pandemie mit dem nationalen Fußballverband getroffen haben. Diese Abrede untersagte den beteiligten Vereinen, Fußballspieler vertraglich zu verpflichten, die ihre Verträge zuvor einseitig aufgrund von Problemen im Zusammenhang mit der Pandemie gekündigt hatten. 

Der EuGH-Generalanwalt Nicholas Emiliou hat sich in seinen Schlussanträgen vom 15. Mai 2025 mit der Frage befasst, ob Abwerbeverbote bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Er ist der Ansicht, dass Abwerbeverbote grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien. Wie auch die Kommission weist Generalanwalt Emiliou darauf hin, dass Abwerbeverbote als eine Aufteilung von Versorgungsquellen im Sinne des Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV angesehen werden können, genauer gesagt als eine Aufteilung des Arbeitskräfteangebots. Darüber hinaus betont er, dass Abwerbeverbote zu einer schlechteren Verteilung von Personalressourcen, zu Effizienz- und Innovationsverlusten sowie zu niedrigeren Gehältern für Arbeitnehmer führen. Dies wirke sich sowohl negativ auf die Arbeitsmärkte als Inputmärkte wie auch auf die Outputmärkte, d.h. die betroffenen Märkte, auf denen die beteiligten Unternehmen Produkte und/oder Dienstleistungen anbieten. 

Im Tondela-Verfahren weist Generalanwalt Emiliou jedoch daraufhin, dass – wie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH üblich – es auf den Inhalt, den rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext sowie die Ziele der jeweiligen Vereinbarung ankomme. Generalanwalt Emiliou ist der Ansicht, dass die fragliche Abwerbeverbotsklausel im Tondela-Fall keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und somit gerechtfertigt werden kann. In Anwendung der Rechtsprechung in der Rechtssache Meca-Medina argumentiert er, dass das Ziel der fraglichen Abwerbeverbotsvereinbarung – die Gewährleistung eines fairen und ordnungsgemäßen Abschlusses der Fußballsaison 2019/2020 während der COVID-19-Pandemie – nach EU-Recht schutzwürdig war und mangels Vorliegens ebenso wirksamer und weniger einschränkender Maßnahmen auch erforderlich und verhältnismäßig, um dieses Ziel zu erreichen. 

Da Schlussanträge als unabhängige Entscheidungsvorschläge der Generalanwälte für den EuGH nicht bindend sind, bleibt abzuwarten, ob der EuGH sich dieser Rechtsauffassung anschließen und, im Einklang mit der Kommission, Abwerbeverbote als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einordnen wird. Der EuGH hatte bereits im sogenannten FIFA-Fall (Rechtssache C-650/22) auf Artikel 101 Abs. 1 lit. c) AEUV in Bezug auf abgestimmtes Verhalten zur Beschränkung oder Kontrolle der Einstellung hochqualifizierter Arbeitnehmer als mögliche bezweckte Wettbewerbsbeschränkung hingewiesen. 

Vergütungsabsprachen

Nicht nur No-Poach-Abreden, sondern auch Vergütungsabsprachen, sogenanntes „Wage Fixing“, sind kartellrechtlich relevant. Dabei handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern über die Festsetzung des Gehalts und dessen Bestandteile, wie z.B. Boni und Firmenfahrzeugen. Für die Kommission in den Horizontal-Leitlinien (Rn. 279) sind Vergütungsabsprachen ein Beispiel für ein Einkaufskartell. Sie betrachtet sie außerdem als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 101 Abs. 1 lit. a) AEUV

Informationsaustausch im Personalbereich 

Auch bei dem Austausch von Informationen mit Bezug zum Personalbereich, z.B. über die Inhalte von Beschäftigungsverträgen und Einstellungen von Arbeitnehmern, ist Vorsicht vonnöten: Grundsätzlich kann der Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen einen Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Artikel 101 Abs. 1 AEUV darstellen, jedenfalls dann, wenn die sich austauschenden Unternehmen im Wettbewerb um dieselben Arbeitnehmer stehen. Dieses Wettbewerbsverhältnis ist häufig nicht deckungsgleich mit der Haupttätigkeit des Unternehmens, mit der Konsequenz, dass Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Bereichen im Personalbereich bzw. dem Personalgewinnungsbereich Wettbewerber sind.  

Dies gilt es im Übrigen auch im Rahmen von Unternehmenstransaktionen zu berücksichtigen: Auch in der Due Diligence dürfen Wettbewerber keine wettbewerbsrelevanten Informationen offenlegen, jedenfalls nicht ohne geeignete Sicherheitsvorkehrungen (wie z.B. Clean Team Vereinbarungen) zu treffen. 

Erhöhter Verfolgungsdruck bedingt erweiterte Compliance Anforderungen 

Unternehmen müssen sich auf eine verstärkte Verfolgung von Kartellverstößen in den Personalmärkten durch die Kartellbehörden einstellen. Anlässlich des Verfahrens gegen Delivery Hero und Glovo hat Wettbewerbskommissarin Ribera geäußert, dass sie die Gewährleistung fairer Arbeitsmärkte anstrebe, auf denen Arbeitgeber nicht zusammenwirken, um die Anzahl und Qualität der Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer zu begrenzen. Das Ziel ist vielmehr der sogenannte „war for talents“ Dies und die jüngere Entscheidungspraxis der europäischen Kartellbehörden macht jedenfalls deutlich, dass Unternehmen – soweit noch nicht geschehen – dringend ihre kartellrechtlichen Compliance-Richtlinien auch auf den Bereich Arbeitsmärkte erweitern. Andernfalls drohen erhebliche kartellrechtliche Bußgeldrisiken. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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