3. November 2020
Abrechnungsbetrug, Krankenkasse Strohmann MVZ
Healthcare

Strohmanngeschäfte: Risiko Abrechnungsbetrug bei Medizinischen Versorgungszentren

Wer ein MVZ ohne Befugnis gründet und betreibt, geht ein hohes Strafrisiko ein. Der BGH stellt klar: Ein Strohmann-MVZ darf nicht gegenüber den Krankenkassen abrechnen.

Das Landgericht Hamburg hatte im Frühjahr 2019 einen Apotheker und zwei Ärzte wegen Betruges verurteilt. Sie hätten die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) über ein Strohmann-Konstrukt umgangen und die erbrachten Leistungen anschließend gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) abgerechnet.

Über die Revision hatte der BGH mit Urteil vom 19. August 2020 – 5 Str 558/19 – entschieden. Nun liegen die mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe vor.

Allgemeinmediziner als Strohmann zur Gründung eines MVZ eingesetzt: Unzulässige Umgehung der sozialrechtlichen Gründungsvoraussetzungen

Der BGH bestätigt einmal mehr die streng formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts. Danach führt ein Verstoß gegen die Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs. 1a SGB V zu einem Wegfall des Vergütungsanspruchs und damit zur fehlenden Abrechnungsfähigkeit der vom MVZ erbrachten Leistungen.

Herr F. gründete 2012 als Alleingesellschafter die MVZ GOB GmbH und betrieb über diese ein gemäß § 95 Abs. 1a SGB V zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenes MVZ. Im Anschluss suchte er nach Mitgesellschaftern und lernte den Herrn Z. kennen, der eine Apotheke betrieb und zudem Medikamente in seinem Unternehmen, der C&C GmbH, herstellte. Weil weder Herr Z. noch die C&C GmbH sich rechtlich an einem MVZ beteiligen dürfen, suchte Herr Z. einen niedergelassenen Vertragsarzt, der die Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs. 1a SGB V erfüllte.

Der Allgemeinmediziner D. erklärte sich bereit, die Anteile am MVZ als „Strohmann“ zu erwerben und formal die Funktion eines Gesellschafters zu übernehmen. Er sollte seine Gesellschafterrechte ausschließlich gemäß den Anweisungen des Herrn Z. ausüben. Dafür solle er von Herrn Z. die Finanzierung für den Erwerb der Geschäftsanteile sowie eine Vergütung erhalten. Außerdem wurde Herr D. von sämtlichen mit der Beteiligung verbundenen unternehmerischen Risiken freigestellt. Der Zulassungsausschuss genehmigte 2014 den Eintritt von Herrn D. als Gesellschafter ohne zu wissen, dass die Anteile wirtschaftlich dem Herrn Z zustanden.

Für die im MVZ anschließend erbrachten Leistungen wurden Quartalsabrechnungen für die Quartale 4/2014 bis 2/2015 (sog. Sammelerklärungen) erstellt und bei der KVH eingereicht. Die MVZ GOB GmbH erhielt daraufhin rund EUR 1 Mio.

Das Landgericht Hamburg hatte in der Einsetzung des Arztes D. eine unzulässige Umgehung der sozialrechtlichen Gründungsvoraussetzungen gesehen. Daher seien 2014 die Gründungsvoraussetzungen der MVZ GOB GmbH und damit die Berechtigung zur Abrechnung nachträglich entfallen, § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V. Das Gericht hatte die Angeklagten deshalb wegen Abrechnungsbetruges verurteilt.

BGH: Täuschung über die gesetzlichen Voraussetzungen zur Abrechnung für das MVZ

Auch der BGH wertet die jeweilige Einreichung der Sammelabrechnungen als einen Betrug zum Nachteil der KVH. Lediglich hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Bewertung der Taten von Z. und D. hat der BGH Rechtsfehler gesehen; diese sollen hier aber nicht weiter thematisiert werden.

In der Einreichung der Sammelerklärungen liege eine Täuschung der zuständigen Mitarbeiter der KVH, da konkludent wahrheitswidrig erklärt werde, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Abrechnung für die MVZ GOB GmbH vorliegen. Ein Arzt bringe mit der Abrechnung insbesondere auch zum Ausdruck, dass die Voraussetzungen zur vertragsärztlichen Zulassung eingehalten wurden.

Der BGH verwirft diese sodann einige hiergegen gerichtete Argumente aus dem Schrifttum: Soweit etwa vorgetragen werde, dass die Täuschung im Zulassungsverfahren erfolge, nicht bei der Abrechnung, hält der BGH dem entgegen, dass der Vertragsarzt die Richtigkeit seiner Abrechnung eigens zu bestätigen und garantieren habe, § 45 Abs. 1 BMV-Ä.

Im Abrechnungszeitraum waren wegen des Eintritts von D. die Voraussetzungen zur vertragsärztlichen Zulassung nicht mehr gegeben. § 95 Abs. 1a Satz 1 SGB V legt den Kreis der potentiellen Gründer abschließend fest; das gilt auch für später Eintretende, § 95 Abs. 6 SGB V. Der BGH führt hierzu aus:

Mit dieser Eingrenzung verfolgt er [der Gesetzgeber] das Ziel, überwiegend kapitalorientierte Investoren ohne hinreichenden fachlichen Bezug von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen (BT-Drucks. 17/6906, S. 70). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen […] nicht.

Als zugelassener Vertragsarzt erfülle D. zwar die sozialrechtlichen Gründungsvoraussetzungen.

Für die Rechtmäßigkeit der Gewährung vertragsärztlichen Honorars kommt es jedoch dann nicht auf die formalen Umstände an, wenn ein Fall des Gestaltungsmissbrauchs anzunehmen ist. Ein solcher liegt vor, wenn die vorgegebenen formalen Verhältnisse nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Dies war hier der Fall. Denn bei dem Angeklagten D. handelte es sich lediglich um einen „Strohmann“, während tatsächlich der Angeklagte Z. die Funktionen eines Gesellschafters der MVZ GOB GmbH wahrnahm.

Zudem habe eine unzulässige Risikoverteilung vorgelegen, weil Z. den D. vom unternehmerischen Risiko entlastet hat. Vereinbarungen zwischen dem Gründer des MVZ und einem Investor dürfen nicht dazu führen, dass das unternehmerische Risiko auf den Investor übergeht, so der BGH.

Schließlich liege ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV vor, der über § 1 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV auf MVZ anwendbar sei und Vertragsärzten ein gewisses Maß an Selbstständigkeit sichern solle. Trotz der Übernahme der Mehrheitsanteile durch D. sei dies nicht der Fall gewesen, weil D. verpflichtet war, seine Gesellschafterrechte gemäß den Anweisungen des Z. auszuüben.

BGH bejaht Vermögensschaden: Keine Anrechnung von erbrachten ärztlichen Leistungen

Die Auszahlung der Honorare hat bei wirtschaftlicher Betrachtung auch zu einem Vermögensschaden der KVH geführt. Der KVH ist trotz der erbrachten ärztlichen Leistungen kein Vermögenswert zugeflossen.

Auch hier erteilt der BGH der Kritik aus dem Schrifttum eine Absage: Der Wert der zuvor erbrachten ärztlichen Leistung sei nicht gegenzurechnen, denn im Zeitpunkt der Abrechnung habe der Arzt seine Leistung bereits erbracht. Ein Vertragsarzt, der Leistungen erbringe, ohne die sozialrechtlichen Voraussetzungen der kassenärztlichen Abrechnung zu erfüllen, handele letztlich außerhalb des vertragsärztlichen Abrechnungssystems auf eigenes wirtschaftliches Risiko.

Das sozialrechtliche Abrechnungssystem sei darauf angelegt, dass Vertragsärzte und ihnen gleichgestellte medizinische Versorgungszentren einen Zahlungsanspruch nur erwerben, wenn sie bei ihrer Tätigkeit die entscheidenden sozialrechtlichen Regeln einhalten – und nicht allein schon dadurch, dass sie eine medizinische Leistung erbringen. Entstehe aber nach dieser streng formalen Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts kein Vergütungsanspruch, sei – verfassungsrechtlich unbedenklich – derjenige betrügerisch geschädigt, dem ein solcher vorgespiegelt wird und der irrtumsbedingt darauf zahlt.

Die Entscheidung zeigt: Umgehungslösungen bergen ein hohes Compliance-Risiko

Mit seiner Entscheidung bestätigt der BGH – entgegen beständig vorgebrachter Kritik aus dem Schrifttum – die streng formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts und überträgt diese auf das Strafrecht.

Dabei lässt insbesondere die ausführliche Prüfung der Einflussnahme auf ärztliche Entscheidungen aufhorchen: Das Landgericht hatte noch explizit offengelassen, ob jede Konstruktion, die den Einfluss einer nicht gründungsfähigen Person herbeiführt, eine Umgehung der Vorgaben des § 95 Abs. 1a SGB V darstellt oder nur „klassische″ Strohmann-Konstruktionen. Der Umstand, dass der BGH nach den Ausführungen zur Strohmanneigenschaft des D. noch die von § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV geschützte vertragsärztliche Selbstständigkeit sowie die Verteilung des unternehmerischen Risikos beleuchtet, lässt vermuten, dass nicht nur klassische Strohmannkonstellationen Gefahr laufen, in den Fokus staatsanwaltlicher Ermittlungen zu rücken.

Insbesondere sollten schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen einem MVZ-Gründer und einem Investor darauf überprüft werden, ob sie eine unzulässige Verteilung des unternehmerischen Risikos vorsehen.

Tags: Abrechnungsbetrug Krankenkasse MVZ Strohmann