9. Juli 2015
Wasserrahmenrichtlinie
Öffentliches Wirtschaftsrecht

EuGH-Urteil zu den Umweltzielen der Wasserrahmenrichtlinie

Am 01. Juli 2015 hat der EuGH sein mit Spannung erwartetes Urteil (Rs. C-461/13) im Verfahren über die Zulässigkeit der Weservertiefung gesprochen.

Der EuGH hat entschieden, dass die Umweltziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nicht nur programmatische Formulierungen bloßer Ziele der Bewirtschaftungsplanung darstellen, sondern für jedes Vorhaben verbindlich sind. Kann ein Vorhaben zur Verschlechterung eines Oberflächenwasserkörpers führen, darf es nicht genehmigt werden, es sei denn die Voraussetzungen einer Ausnahme liegen vor. Außerdem hat der EuGH die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung des Vorliegens einer Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers bestimmt.

Verschlechterungen der Gewässer sollen vermieden werden

Nach ihrem Art. 1 ist Ziel der WRRL, die Qualität der Oberflächengewässer und des Grundwassers zu verbessern (Verbesserungsgebot) sowie Verschlechterungen zu vermeiden (Verschlechterungsverbot). Art. 4 WRRL definiert das Verschlechterungsverbot und bezieht sich dafür auf die in Anhang V beschriebenen biologischen, hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten für die Kategorisierung des Gewässerzustandes.

Sowohl der ökologische Zustand eines Wasserkörpers als auch die einzelnen Qualitätskomponenten werden in fünf Zustandsklassen eingeteilt (sehr gut, gut, mäßig, unbefriedigend und schlecht). Nach der „one out all out“-Regel bestimmt sich der ökologische Zustand eines Wasserkörpers nach der Bewertung der niedrigsten relevanten Qualitätskomponente. Entsprechendes gilt für künstliche und erheblich veränderte Gewässer, bei denen es nicht auf den ökologischen Zustand, sondern auf das ökologische Potential ankommt.

Zustandsklassentheorie vs. Status quo-Theorie

Im Planfeststellungsverfahren für die Weservertiefung hatten die Behörden eine Verschlechterung verneint, weil sich der Zustand der betroffenen Gewässer nicht um eine ganze Zustandsklasse (z.B. von mäßig auf unbefriedigend) verringern werde (sog. Zustandsklassentheorie). Der klagende Umweltverband sah demgegenüber jede noch so geringe Beeinträchtigung, auch innerhalb einer Zustandsklasse, als Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot an (sog. Status quo-Theorie). Das BVerwG hat dem EuGH mehrere Fragen zur Tragweite der Begriffe „Umweltziele“ und „Verschlechterung“ vorgelegt.

Generalanwalt votiert für Status quo-Theorie

Generalanwalt Jääskinen hatte sich in seinen Schlussanträgen für eine strenge Auslegung der WRRL ausgesprochen. Die Umweltziele seien keine unverbindlichen Zielvorgaben für die behördliche Bewirtschaftungsplanung, sondern in jedem einzelnen Genehmigungsverfahren bindend. Es seien alle Vorhaben zu verbieten, die gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen. Bei der Auslegung des Verschlechterungsverbots folgte der Generalanwalt der strengeren Status quo-Theorie. Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot seien bei Vorliegen der in der WRRL genannten engen Voraussetzungen aber zulässig.

EuGH entwickelt modifizierte Zustandsklassentheorie

Im Einklang mit dem Generalanwalt qualifiziert der EuGH die Umweltziele nicht nur als Programmsätze für die Bewirtschaftungsplanung. Es handele sich vielmehr um konkrete Vorgaben, an denen jedes Vorhaben zu messen sei. Die Mitgliedstaaten müssten jedes Vorhaben untersagen, das eine Verschlechterung des ökologischen oder chemischen Zustands bzw. Potentials eines Oberflächenwasserkörpers verursachen könne oder die Erreichung des guten Zustands gefährde. Dass der EuGH die Umweltziele der WRRL nicht als bloße Programmsätze, sondern als verbindliche und im einzelnen Genehmigungsverfahren zu beachtende Verpflichtungen ansehen werde, entspricht der überwiegenden Auffassung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums.

Eine Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers nimmt der EuGH dann an, wenn sich die Einstufung mindestens einer der relevanten Qualitätskomponenten um eine Klasse verschlechtert. Ist die betreffende Qualitätskomponente schon in der schlechtesten Kategorie eingeordnet, sodass nach dem eben genannten Grundsatz keine Verschlechterung des Zustandes mehr möglich wäre, stelle jede weitere Beeinträchtigung eine Verschlechterung des Zustands dar. Der EuGH stellt das Verschlechterungsverbot ausdrücklich nicht unter einen Bagatellvorbehalt.

Anders als von vielen Beobachtern des Verfahrens erwartet worden war, folgte der EuGH damit nicht der strengen Auslegung des Verschlechterungsverbots durch den Generalanwalt, sondern einer modifizierten Zustandsklassentheorie. Entscheidend sei nicht die Zustandsklasse des Wasserkörpers, sondern die Einstufung jeder einzelnen Qualitätskomponente. Im Vergleich zur strengen Zustandsklassentheorie liegt darin eine Verschärfung. Allerdings geht der EuGH nur dann von einer Verschlechterung aus, wenn sich die Einstufung einer Qualitätskomponente um eine ganze Stufe verschlechtert. Generalanwalt Jääskinen sah demgegenüber noch jede – auch geringfügige – Beeinträchtigung einer Qualitätskomponente als Verschlechterung an. Dieser strengen Auffassung folgt das Gericht nur für den Fall, dass die Qualitätskomponente bereits in der niedrigsten Kategorie eingestuft ist. Anderenfalls würden erheblich geschädigte Gewässer schutzlos gestellt.

Folgen für die Weservertiefung

Im Ausgangsverfahren wird das BVerwG jetzt zu prüfen haben, ob sich durch die Vertiefung der Weser eine der für das ökologische Potential der betroffenen Gewässer maßgeblichen Qualitätskomponente um eine ganze Klasse verschlechtert. Dafür wird der Vorhabenträger ergänzende Unterlagen vorlegen müssen.

Die strengen Anforderungen des EuGH an Beeinträchtigungen von Gewässern, die bereits in der niedrigsten Kategorie eingestuft sind, werden für die Weservertiefung hingegen nicht relevant. Keines der betroffenen Gewässerweist ein „schlechtes“ ökologisches Potential auf.

Ähnliches gilt für das Verfahren der Elbvertiefung. Auch dort hatte das BVerwG das Hauptsacheverfahren bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt.

Für beide Vorhaben kommt aber auch die Erteilung einer Ausnahme vom Verschlechterungsverbot aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses in Betracht. Daran hat der EuGH nicht gerüttelt.

Auswirkungen der Entscheidung

Im Grundsatz hat der EuGH eine salomonische Entscheidung getroffen. Er verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie die Umweltziele der WRRL ernst nehmen und stellt strenge Anforderungen an das Verschlechterungsverbot. Zugleich vermeidet er für die meisten Fälle, dass wegen nur geringfügiger Verschlechterungen Ausnahmen beantragt werden müssen. Solche Ausnahmen sieht die WRRL zwar unter bestimmten Voraussetzungen vor. Der Begründungsaufwand ist aber hoch.

Problematisch ist die Entscheidung im Hinblick auf Gewässer, deren ökologischer Zustand oder ökologisches Potential in der niedrigsten Kategorie „schlecht“ eingestuft ist. Das betrifft immerhin ca. 23 % der deutschen Oberflächengewässer. Beeinträchtigt ein Vorhaben ein solches Gewässer auch nur geringfügig, kann es nur genehmigt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahme vorliegen.

Übertragung auf das Umweltziel des guten chemischen Zustands?

Offen ist auch, ob sich die Ausführungen des EuGH auf das Umweltziel des guten chemischen Zustands übertragen lassen. Dieses Ziel gilt neben dem Kriterium des ökologischen Zustands für Oberflächengewässer und – dort neben dem guten mengenmäßigen Zustand – auch für das Grundwasser. Die Besonderheit liegt hier darin, dass es für den chemischen Zustand nur zwei Klassen („gut“ und „nicht gut“) gibt. Für bezüglich des chemischen Zustands schlecht eingestufte Gewässer, wäre dann jede noch so geringe Beeinträchtigung eine Verschlechterung. Dies betrifft in Deutschland jedoch weniger als 10 % der Gewässerkörper und wäre vor allem für Beeinträchtigungen durch Abwassereinleitungen relevant. Für derartige Beeinträchtigungen sieht die WRRL nämlich keine Ausnahmen vor. Im Hinblick auf das Übermaßverbot, das nach der europäischen Grundrechtecharta auch für die Auslegung von Unionsrecht gilt, ist die Kombination von fehlender Ausnahme und strenger Auslegung des Verschlechterungsverbots für stark geschädigte Gewässer bedenklich.

Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das letzte Wort zum Verschlechterungsverbot noch nicht gesprochen ist.

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