11. September 2015
SVHC, öffentliches Wirtschaftsrecht
Öffentliches Wirtschaftsrecht

REACH Compliance: Konzentrationsschwelle von SVHC in Erzeugnissen differenziert zu bestimmen

Mit Urteil vom 10. September 2015 beendet der EuGH den Streit um das Bezugsobjekt für die Berechnung der Konzentrationsschwelle von SVHC in Erzeugnissen.

Importeure, Produzenten und Lieferanten von Erzeugnissen, die mehr als 0,1 Massenprozent (w/w) von Stoffen mit besonders besorgniserregenden Eigenschaften (substances of very high concern – SVHC) enthalten, müssen gemäß Art. 7 Abs. 2 bzw. Art. 33 REACH Verordnung – sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen – Unterrichtungs- oder Informationspflichten gegenüber der ECHA bzw. den Abnehmern oder auf Verlangen auch gegenüber Verbrauchern erfüllen.

Gesamterzeugnis oder Einzelerzeugnis – worauf kommt es an?

Die Europäische Kommission, die ECHA und verschiedenen Mitgliedsstaaten streiten seit dem Inkrafttreten der REACH Verordnung darüber, ob der Gehalt von 0,1 Massenprozent (w/w) in Bezug auf das Gesamterzeugnis oder in diesem enthaltene Teilerzeugnisse zu bestimmen ist.

Die Kommission, die ECHA und die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten vertraten bisher die Auffassung, dass die Konzentration von SVHC in Bezug auf das Gesamterzeugnis zu bestimmen sei. Hiergegen wenden sich mehrere Mitgliedsstaaten, unter ihnen auch Frankreich und Deutschland, die für die Beurteilung der 0,1%-Grenze nicht auf das Gesamterzeugnis, sondern auf jedes einzelne (eingebaute) Erzeugnis abstellen („einmal ein Erzeugnis – immer ein Erzeugnis″).

Das vielfach zitierte Beispiel des Fahrrads und des Lenkergriffs verdeutlichen die Auswirkungen anschaulich: Während die eine Seite die 0,1%-Grenze der in dem Fahrradgriff enthaltenen Weichmacher an dem Bezugsobjekt Fahrrad misst, betrachten die abtrünnigen Mitgliedsstaaten den Anteil von SVHC lediglich in Bezug auf den Lenkergriff, mit der Folge, dass die 0,1%-Grenze viel häufiger überschritten wird.

Die Vorlagefrage

Das französische Gericht, welches über die Klage zweier Handelsverbände gegen einen Erlass des französischen Umweltministeriums, in dem das französische Verständnis der Bezugsgröße für den Anteil von SVHC in Erzeugnissen dargelegt worden war, zu entscheiden hatte, legte folgende Rechtsfrage dem EuGH vor:

Finden die Pflichten aus Art. 7 Abs. 2 und Art. 33 der Verordnung Nr. 1907/2006 (REACH) bei einem ‚Erzeugnis‘ im Sinne dieser Verordnung, das sich aus mehreren Bestandteilen zusammensetzt, die ihrerseits der Definition des Begriffs ‚Erzeugnis‘ gemäß der Verordnung entsprechen, nur auf das zusammengesetzte Erzeugnis Anwendung oder auf jeden einzelnen Bestandteil, der der Definition des Begriffs ‚Erzeugnis‘ entspricht?

Generalanwältin setzt differenzierte Betrachtung an

Mit dem am 12. Februar 2015 veröffentlichten Votum empfahl die Generalanwältin die Beantwortung der Vorlagefrage weitgehend im Sinne der abweichenden Mitgliedsstaaten, wobei sie allerdings zwischen den Pflichten von Importeuren, Produzenten und Lieferanten von Erzeugnissen differenzierte.

Sie bejaht eine Unterrichtungs- bzw. Informationsverpflichtung von Importeuren bzw. Lieferanten von Gesamterzeugnissen, wenn ein Teilerzeugnis trotz der Integration in das Gesamterzeugnis eine eigene Form, Oberfläche oder Gestalt behält und die SVHC-Konzentration von 0,1 Massenprozent (w/w) in diesem Teilerzeugnis überschritten wird. Für Produzenten stellt sie hingegen auf das Gesamterzeugnis als Bezugsgröße ab und bejaht die Unterrichtungsverpflichtung nur dann, wenn die SVHC-Konzentration im Gesamterzeugnis 0,1 Massenprozent (w/w) übersteigt.

EuGH bestätigt Votum der Generalanwältin

Der EuGH bestätigt mit der am 10. September 2015 verkündeten Entscheidung in der Rechtssache C-106/14 im Ergebnis das Votum der Generalanwältin und beantwortet die Vorlagefrage wie folgt:

Art. 7 Abs. 2 der REACH-Verordnung ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung der Produzent festzustellen hat, ob in jedem von ihm produzierten Erzeugnis ein gemäß Art. 59 Abs. 1 dieser Verordnung ermittelter besonders besorgniserregender Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massenprozent (w/w) enthalten ist, und dass der Importeur eines Produkts, das sich aus mehreren Erzeugnissen zusammensetzt, für jedes Erzeugnis festzustellen hat, ob es einen solchen Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massenprozent (w/w) dieses Erzeugnisses enthält.

Art. 33 der REACH-Verordnung ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke der Anwendung dieser Vorschrift der Lieferant eines Produkts, bei dem ein oder mehrere Erzeugnisse, aus denen es sich zusammensetzt, einen gemäß Art. 59 Abs. 1 der Verordnung ermittelten besonders besorgniserregenden Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massenprozent (w/w) je Erzeugnis enthalten, den Abnehmer und, auf entsprechendes Ersuchen, den Verbraucher über das Vorhandensein dieses Stoffes zu informieren hat, indem er ihnen mindestens den Namen des betreffenden Stoffes angibt.

Zunächst befasst sich der EuGH mit dem Erzeugnisbegriff. Anhand des Wortlauts des Art. 3 Nr. 3 REACH gelangt er zu dem Ergebnis, dass jedes Teilerzeugnis eines Erzeugnisses, welches sich aus mehreren Teilerzeugnissen zusammensetzt (sog. komplexes Produkt), ein Erzeugnis im Sinne der Vorschrift sei. Die Erzeugniseigenschaft gehe nicht durch die Zusammenfügung oder Vereinigung mit anderen Gegenständen verloren.

Die lediglich beschränkte Unterrichtungspflicht des Produzenten auf solche Erzeugnisse, die er selbst produziert hat, begründet der Gerichtshof insbesondere über die Formulierung im 29. Erwägungsgrund der REACH Verordnung. Dort heißt es, dass Produzenten und Importeure die Verantwortung für „ihre″ Erzeugnisse tragen. Die Unterrichtung der ECHA hinsichtlich des SVHC-Gehalts in Erzeugnissen, die ein Produzent für die Herstellung eines komplexen Produkts verwendet, sei zudem auch deshalb nicht erforderlich, weil es dann zu einer doppelten Unterrichtung der ECHA, nämlich durch den Produzenten des komplexen Produkts sowie durch den Produzenten des integrierten Erzeugnisses, käme. Dies sei mit dem im 130. Erwägungsgrund verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.

Für Importeure gelangt der EuGH zu der Bewertung, dass diese hinsichtlich jedes Teilerzeugnisses zur Unterrichtung verpflichtet sind, wenn der SVHC-Anteil 0,1 Massenprozent (w/w) übersteigt. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die ECHA über die Verwendung und die auf den Binnenmarkt gebrachten Mengen von SVHC nicht informiert würde.

Zur Begründung der Informationspflicht von Lieferanten von komplexen Produkten gegenüber Abnehmern und ggf. Verbrauchern für jedes Erzeugnis, aus dem dieses zusammengesetzt ist und welches die 0,1%-Grenze überschreitet, stellt der EuGH zunächst auf in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Zielrichtung von Art. 7 Abs. 2 und Art. 33 REACH Verordnung ab. Im Rahmen des Art. 33 REACH Verordnung sei eine Informationspflicht entlang der Lieferkette bis zum Endverbraucher zu gewährleisten. Dass die Informationspflicht für Erzeugnisse, die zu einem früheren Zeitpunkt in ein komplexes Produkt integriert wurden, erlischt, sei mit dieser Intention unvereinbar.

Auch wenn die Begründung der Entscheidung teilweise fragwürdig erscheint, müssen Importeure und Lieferanten die Entscheidung umsetzen und die nunmehr häufiger bestehenden Unterrichtungs- und Informationspflichten erfüllen.

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