Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 8. Juli 2014 über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes (ErbStG) mündlich verhandelt. Die Entscheidung des BVerfG wird mit Spannung erwartet, da sie insbesondere für Familienunternehmen gravierende Konsequenzen haben kann. Mit einem Urteilsspruch wird im Herbst 2014 gerechnet. Was sind denkbare Entscheidungen und deren praktische Auswirkungen?
Der Hintergrund: Überprivilegierung von Betriebsvermögen?
Diese Frage ist durch einen Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 27. September 2012 vor dem BVerfG gelandet. Entscheidende Themen des Vorlagebeschlusses sind die Verschonungsregelungen des ErbStG für Betriebsvermögen.
Diese ermöglichen, Betriebsvermögen unter bestimmten Voraussetzungen nahezu oder vollständig steuerfrei auf die nächste Generation zu übertragen. Nach Ansicht des BFH liegt hierin eine Überprivilegierung der Übertragung von Betriebsvermögen im Vergleich zur Übertragung von privatem Vermögen.
Erster Eindruck von der mündlichen Verhandlung des BVerfG
Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass das BVerfG in der mündlichen Verhandlung insbesondere das Ausmaß der Verschonung für Betriebsvermögen in Frage stellte. Dabei wurde bemängelt, dass die seit 2009 geltenden Regelungen des ErbStG „einen breiten Raum für eine Steuervermeidung bis hin zur völligen Steuerbefreiung“ eröffneten.
Zur Diskussion gestellt wurde zudem, ob diese Steuerverschonung gewährt werden darf, „ohne eine individuelle Prüfung, ob das Unternehmen überhaupt der Verschonung bedarf″.
Im Ergebnis lässt sich aus der mündlichen Verhandlung des BVerfG der Eindruck mitnehmen, dass das Gericht die aktuell gültigen Steuerprivilegien für Unternehmenserben zumindest als sehr kritisch sieht, auch wenn die Richter in der mündlichen Verhandlung noch keine Urteilstendenz haben erkennen lassen.
Denkbare Entscheidungen und deren praktische Konsequenzen
Das Ergebnis des erwarteten Urteils des BVerfG wird immense praktische Bedeutung haben – insbesondere für Familienunternehmen und deren Nachfolge.
Folgende Szenarien sind denkbar:
- Das BVerfG sieht das ErbStG in seiner jetzigen Fassung als mit dem Grundgesetz vereinbar an. Das ist das unwahrscheinlichste Ergebnis.
- Das BVerfG sieht das ErbStG als Ganzes für verfassungswidrig an. In diesem Fall müssten alle noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen, die vorläufig oder durch Einspruch angefochten sind, aufgehoben und die bereits bezahlte Steuer zurückbezahlt werden. Dieses Szenario wird allerdings für eher unwahrscheinlich gehalten.
- Das BVerfG kommt zum Ergebnis, dass (nur) die aktuellen Vergünstigungen für Betriebsvermögen nicht mit der Verfassung im Einklang stehen. Dadurch können bereits durch Bescheide gewährte Verschonungen von Betriebsvermögen nicht rückwirkend versagt werden. Schenkungen und Erbschaften, für die noch keine Veranlagung erfolgt ist, könnten allerdings nicht mehr von den momentan geltenden Regelungen profitieren. Eine solche Entscheidung des BVerfG ist in dieser Konsequenz kaum vorstellbar.
- Wahrscheinlich ist demgegenüber Folgendes: Das BVerfG hält zwar das aktuelle ErbStG für unvereinbar mit der Verfassung, fordert jedoch den Gesetzgeber auf, innerhalb einer bestimmten Frist ein verfassungskonformes ErbStG zu beschließen. Bis dahin gilt das aktuelle ErbStG einschließlich seiner Verschonungsregelungen weiter.
Von verschiedenen Seiten gibt es bereits Vorschläge für eine Neuregelung des ErbStG, die allerdings allesamt eine Erhöhung der ErbSt bei der Schenkung oder Vererbung von Betriebsvermögen zur Folge haben. Eine günstige Übertragung von Betriebsvermögen wird daher nicht mehr allzu lange möglich sein.
Falls eine Übertragung von Betriebsvermögen in naher Zukunft ansteht, sollte mit der Umsetzung nicht mehr gewartet werden: Wahrscheinlich gelten künftig strengere Regelungen des ErbStG.