Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht entscheidet: AGB, wonach Baustrom und Bauwasser vom Bauherrn gestellt werden müssen, sind unwirksam.
Häufig enthalten Bauverträge die Bestimmung, dass die Versorgung der Baustelle mit Baustrom und Bauwasser vom Bauherrn bereitzustellen ist. So sieht etwa das in der Baupraxis gängige Vertragswerk der VOB/B in § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 vor, dass der Auftraggeber*, wenn nichts anderes vereinbart ist, dem Auftragnehmer die Anschlüsse für Wasser und Energie unentgeltlich zur Benutzung oder Mitbenutzung zu überlassen hat.
Zwar hat der Auftragnehmer die Kosten für den Verbrauch und den Messer oder Zähler zu tragen, wie die VOB/B sogleich nachschiebt. Die grundlegende Verantwortung für die Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser sowie das damit einhergehende Risiko bei Versorgungsunterbrechungen weist die VOB/B aber dem Bauherrn zu.
Verletzung der Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser kann Schadensersatzforderungen auslösen
Die insoweit geregelte Mitwirkungspflicht des Bauherrn kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Kommt es zu erheblichen Versorgungsunterbrechungen, kann dem Auftragnehmer eine angemessene Entschädigung (§ 642 Abs. 1 BGB), eine Verlängerung der Ausführungsfristen (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B) oder sogar, wenn die Versorgungsunterbrechung vom Bauherrn zu vertreten ist, Schadensersatz zustehen (§ 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B).
Daneben berechtigt die unterlassene Mitwirkung den Auftragnehmer unter weiteren Voraussetzungen zur Kündigung des Bauvertrages (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B).
In AGB geregelte Bereitstellungspflicht von Baustrom und Bauwasser ist möglicherweise unwirksam
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat nun kürzlich entschieden, dass die Übertragung der Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser durch AGB unwirksam sei (Urteil v. 31. August 2022 – 12 U 119/21). Ein Bauunternehmer klagte gegen den Bauherrn auf den Ersatz unnütz aufgewendeter Mietkosten für eine Mörtel-Freifallförderanlage, die er wegen einer vom Bauherrn zu vertretenden Versorgungsunterbrechung beim Baustrom vorübergehend nicht nutzen konnte. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht wies die Klage ab, da dem Bauherrn die Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom durch AGB nicht wirksam übertragen werden könne.
Nach der Auffassung des Gerichts verstoße eine entsprechende Klausel zum einen gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie mit dem wesentlichen Grundgedanken des Werkvertragsrechts, das den Unternehmer für den Werkerfolg und daher grundsätzlich auch für die Versorgung der Baustelle mit Baustrom und Bauwasser in der Verantwortung sieht, nicht zu vereinbaren sei. Dem Bauherrn werde durch die Klausel entgegen dem Grundgedanken des Werkvertragsrechts nicht nur die Beschaffung des Baustroms auferlegt, er muss zusätzlich auch das Risiko der Stilllegung der Baustelle tragen, wenn aus irgendwelchen Gründen – auch ohne sein Verschulden – der Baustrom nicht geliefert werden könne.
Zum anderen erachtete das Gericht die Klausel als überraschend i.S.v. § 305c BGB, weil kein Bauherr im Rahmen der Zuweisung von Pflichten damit rechnen müsse, dass eine grundsätzlich dem Unternehmer obliegende Verpflichtung ihm auferlegt werde.
Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts nur eingeschränkt verallgemeinerungsfähig
Die Entscheidung wirft die Frage nach der AGB-rechtlichen Zulässigkeit der eingangs beleuchteten Bestimmung von § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 VOB/B auf. Die VOB/B ist zwar als Ganzes der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle entzogen, wenn sie ohne inhaltliche Abweichung in den Bauvertrag einbezogen wird (§ 310 Abs. 1 S. 3 VOB/B). Vereinbaren die Vertragsparteien aber nur einzelne Vorschriften der VOB/B oder modifizieren sie die VOB/B in ihren Verträgen, so ist der Anwendungsbereich der AGB-Inhaltskontrolle gleichwohl eröffnet.
Zudem gilt die Privilegierung der VOB/B bei der Verwendung gegenüber Verbrauchern nicht, sodass sich auch vor diesem Hintergrund die Frage stellt, ob die Überbürdung der Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser auf den Bauherrn nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 VOB/B zulässig ist.
Bei der Übertragung der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf andere Sachverhalte ist zu beachten, dass bei der Entscheidungsfindung möglicherweise zwei Umstände des Einzelfalls eine gewichtige Rolle gespielt haben: Zum einen war der Bauherr ein Verbraucher, der als besonders schützenswert gilt; zum anderen wurden die Kosten für den Energie- und Wasserverbrauch durch den Auftragnehmer nicht abgegolten, sodass der Bauherr in besonderem Maße durch die Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser belastet war.
Die Diskussion über die Wirksamkeit von AGB, die den Bauherrn zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser verpflichten, ist eröffnet
Soweit, wie es in der Praxis regelmäßig der Fall ist, der Unternehmer die Kosten für den Energie- und Wasserverbrauch trägt, könnte sich die Interessenlage entscheidend anders darstellen. In diesem Fall wird der Bauherr zu nichts weiter verpflichtet als zur Zurverfügungstellung des Baugrundstücks mit seinen Versorgungsanlagen, damit der Bauunternehmer das vereinbarte Bauwerk herstellen kann.
Auf das Baugrundstück ist der Bauunternehmer ohnehin zwingend angewiesen, wenn er das Bauvorhaben ausführen soll. Es ist dann nicht einsichtig, weshalb es dem Bauherrn nicht zugemutet werden kann, die auf dem Grundstück vorhandenen Versorgungsanlagen ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Auch dürfte es nicht wirklich überraschen, dass der Bauunternehmer, der auf Energie und Wasser zur Herstellung des vereinbarten Werkes angewiesen ist, auf die vor Ort vorhandenen Versorgungsanlagen zugreifen möchte.
Soweit ersichtlich ist die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts die erste ihrer Art, die sich mit der Übertragung der Pflicht zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser auf den Bauherrn auseinandersetzt. Der Baubranche ist zu empfehlen, bei der Vereinbarung von Bauverträgen eine mögliche Unwirksamkeit von entsprechenden Bestimmungen im Blick zu haben und die weiteren Entwicklungen in der Rechtsprechung aufmerksam zu verfolgen.
Auch wenn das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht seine Entscheidung anhand eines konkreten Einzelfalls traf, so hat es doch eine Diskussion um die generelle Zulässigkeit von Bestimmungen, die den Bauherrn zur Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser verpflichten, ausgelöst.
Weitere juristische Stolperfalle: AGB, wonach der Verbrauch von Baustrom und Bauwasser durch den Unternehmer pauschal abgegolten wird, sind ebenfalls unwirksam
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich bei der Bereitstellung von Baustrom und Bauwasser durch den Bauherrn ein weiteres rechtliches Thema stellt: Nach der Rechtsprechung ist eine AGB, wonach die Bereitstellung und Inanspruchnahme von Baustrom- und Bauwasseranschlüssen durch einen pauschalen Abzug von der Auftragssumme abgegolten wird, gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Denn eine solche Klausel benachteilige den Auftragnehmer wegen der fehlenden Anknüpfung des Abzugs an die tatsächliche Abnahme von Baustrom und Bauwasser entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil v. 4. Dezember 2013 – 13 U 1/09; Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen: BGH, Beschluss v. 29. Juni 2016 – VII ZR 3/14).
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.