Keine analoge Anwendung von § 566 BGB, wenn erst im Zeitpunkt der Veräußerung des Grundstücks ein Interesse des Veräußerers am Mietverhältnis besteht.
Das sich an ein Urteil des LG Itzehoe anschließende Revisionsverfahren hat dem BGH (Urteil vom 27. Oktober 2021 – XII RZ 84/20) Gelegenheit gegeben, zu der von ihm statuierten analogen Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB bei fehlender Identität zwischen Vermieter* und Veräußerer des Grundstücks Stellung zu beziehen und diese zu konkretisieren.
Verkauf eines vermieteten Grundstücks
Dem Urteil lag die Klage einer Grundstückserwerberin zugrunde. Das streitgegenständliche Grundstück hatte zunächst im Eigentum der H-GmbH gestanden und wurde mit notariellem Kaufvertrag im Juli 1995 an eine „Projekt-Gesellschaft“ veräußert. Dabei hatte sich die H-GmbH einen Rückübertragungsanspruch hinsichtlich einer Teilfläche des Grundstücks gesichert.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Juni 2008 erwarb die Klägerin das Grundstück von der Projekt-Gesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt war das Grundstück durch die S-GmbH an den beklagten Verein auf Basis eines als „Pachtvertrag“ bezeichneten Vertrags überlassen. Um eine Ausübung des Rückübertragungsrechts durch die H-GmbH zu verhindern, vereinbarten die Parteien des Kaufvertrags in dessen § 4 Abs. 4, dass die Klägerin das „Pachtverhältnis“ mit dem Beklagten übernehme und mit Wirkung zum Übergabetag hierin eintrete.
Der Beklagte blieb auch fortan in Besitz der streitgegenständlichen Fläche, leistete die mit der S-GmbH vereinbarten Zahlungen aber seit 2009 an die Klägerin. Mit einem dem Beklagten am 3. Januar 2017 zugegangenen Schreiben kündigte die Klägerin den Pachtvertrag zum 30. Juni 2017, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Mit der Klage erstrebte die Klägerin die Herausgabe des Grundstücks und die Feststellung, dass zwischen den Parteien kein Nutzungsverhältnis in Bezug auf diese Fläche besteht.
Grundsätzliche Möglichkeit der analogen Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB
Das LG Itzehoe wies die Klage aufgrund analoger Anwendung des § 566 Abs. 1 i.V.m. § 578 BGB ab.
Der BGH betonte in seinem Urteil zunächst, dass eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB grundsätzlich auch weiterhin in Betracht komme. Die Regelung des § 566 Abs. 1 BGB, wonach bei einer Veräußerung von vermietetem Wohnraum (bzw. von vermieteten Grundstücken oder Nichtwohnräumen, vgl. § 578 Abs. 1 und 2 BGB) der Erwerber in das Mietverhältnis eintritt, erfordert ausweislich ihres Wortlautes die Identität von Vermieter und Veräußerer. Jedoch seien auch Konstellationen ohne eine solche dem Wortlaut entsprechende Identität denkbar, bspw. wenn Sinn und Zweck der Vorschrift – Schutz des Bestandsinteresse des Mieters – deren analoge Anwendung zulassen.
Erforderlich für die vergleichbare Interessenlage sei, dass die Vermietung mit Zustimmung des Eigentümers und in dessen alleinigem wirtschaftlichen Interesse erfolge und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses habe. Es mache für das Mieterinteresse am Fortbestand des Mietverhältnisses keinen Unterschied, ob der Mietvertrag mit dem Eigentümer selbst oder mit einer Person, die hierbei für den Eigentümer mit dessen Wissen und Einverständnis tätig geworden sei, bestehe (so schon BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – XII ZR 26/16).
Begrenzung der Analogie, wenn der Veräußerer nicht wirtschaftlich mit Vermieter gleichzusetzen ist
Diese Voraussetzungen sah der BGH hier als nicht gegeben an. Für die analoge Anwendung sei es erforderlich, dass der Eigentümer bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise als Vermieter angesehen werden könne. Das sei dann der Fall sein, wenn der Eigentümer formale rechtliche Konstruktionen benutze, um nicht selbst als Vermieter in Erscheinung zu treten.
Im zu beurteilenden Fall hatte das LG Itzehoe angenommen, das wirtschaftliche Interesse des Veräußerers am Fortbestand des Mietvertrages sei deshalb gegeben, weil ansonsten die H-GmbH ihr Rückübertragungsrecht im Hinblick auf das streitgegenständliche Grundstück geltend gemacht hätte und der Verkauf geplatzt wäre. Das reicht dem BGH für die Bejahung der analogen Anwendbarkeit des § 566 Abs. 1 BGB – u.E. zu Recht – nicht aus. Es sei schon nicht ersichtlich, dass die S-GmbH bei der Vermietung des Grundstücks im Auftrag oder mit Zustimmung der Projekt-Gesellschaft gehandelt habe. Es bliebe auch unklar, aus welchem Grunde sich die S-GmbH überhaupt das Recht anmaßte, das Grundstück zu vermieten. Zudem reiche es für das wirtschaftliche Eigeninteresse des Veräußerers an der Vermietung nicht aus, wenn dieses erst im Zeitpunkt der Veräußerung des Grundstücks bestehe.
Das Interesse des Veräußerers bestand wohl noch nicht einmal an der Vermietung selbst, sondern lediglich an der Herbeiführung der Rechtsfolge des § 566 Abs. 1 BGB. Der Veräußerer war in diesem Fall wirtschaftlich schlicht nicht mit dem Vermieter gleichzusetzen, sodass es auch nicht gerechtfertigt war, ihn im Rahmen des § 566 BGB als solchen zu behandeln.
Aufhebung des Berufungsurteils führt zum Erfolg der Klage
In der Folge verneinte der BGH ein Besitzrecht des Beklagten. Der (befristete) Mietvertrag war nicht analog § 566 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergegangen. Zwar hätten die Parteien konkludent durch ihr Verhalten ein neues, eigenständiges Mietverhältnis begründet. Dieses wahrte jedoch nicht die Schriftform nach §§ 578 Abs. 1, 550, 126 BGB und galt daher als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Somit war es auch ordentlich kündbar und durch die Kündigung seitens der Klägerin zum 30. Juni 2017 beendet worden.
Sorgfältige Überprüfung nach wie vor notwendig
Das Urteil bedeutet eine gewisse Erleichterung für Verkäufe von Grundstücken mit vermieteten Wohnungen, Nichtwohnräumen oder vermieteten Grundstücken. Nicht jede Vermietung durch einen Dritten stellt einen möglichen Anwendungsfall von § 566 Abs. 1 BGB dar.
Der BGH grenzt die Vermietung durch einen Strohmann überzeugend von einer reinen Untervermietung ab. Entscheidendes Kriterium ist daher, ob der Eigentümer lediglich einen Dritten „vorschickt“, um den Mieterschutz nach § 566 Abs. 1 BGB zu umgehen, oder ob der Dritte bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise von dem Eigentümer verschieden ist. Im Rahmen einer Transaktion verbleibt es aber dabei, dass sorgfältig zu überprüfen ist, ob der Erwerber auf Grundlage der Vorschrift des § 566 Abs. 1 BGB anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt – oder nicht.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.