Das BVerwG verpasst der bisherigen Vorkaufsrechtspraxis einen erheblichen Dämpfer. Die Entwicklung zum Vorkaufsrecht bleibt jedoch spannend.
Als Katastrophe bezeichnete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin die jüngste Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil v. 9. November 2021 – 4 C 1.20) zur in Berlin und vielen anderen Großstädten bisher üblichen Vorkaufsrechtspraxis bei Grundstücken aus Milieuschutzgründen.
Und in der Tat lässt die Entscheidung die noch im Mai dieses Jahres beschlossenen Erleichterungen für die Ausübung kommunaler Vorkaufsrechte als weitgehend wirkungslos erscheinen. Denn um Erleichterungen in Anspruch zu nehmen, muss für eine Gemeinde naturgemäß erst einmal die Möglichkeit bestehen, ihr Vorkaufsrecht auszuüben. Und genau dies hat das BVerwG nun für den Fall verneint, in dem ein Vorkaufsrecht auf Basis der Annahme ausgeübt wird, der Käufer könnte die Mieter in Zukunft mutmaßlich aus dem Gebiet verdrängen.
Kommunale Vorkaufsrechte zuletzt im Aufwind
Das kommunale Vorkaufsrecht hat in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Allein in Berlin hat sich die Anzahl der sozialen Erhaltungsgebiete, innerhalb derer ein gemeindliches Vorkaufsrecht besteht, seit 2015 mit einem Anstieg von 22 auf 64 solcher Gebiete fast verdreifacht.
Auch andere deutsche Großstädte machen immer häufiger Gebrauch von Vorkaufsrechten. In Hamburg sind im letzten Jahr 110 Vorkaufsrechtsverfahren bearbeitet worden, rund ein Drittel mehr als noch 2019.
Rechtlicher Rahmen für kommunale Vorkaufsrechte wurde durch das Baulandmobilisierungsgesetz geändert
Der am meisten praxisrelevante Fall für die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts ist § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Danach steht der Gemeinde für Grundstücke, die im Bereich einer Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB liegen, ein Vorkaufsrecht zu. Die Ausübung desselbigen ist nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel i.S.d. § 177 Abs. 2 und 3 S. 1 BauGB aufweist.
Das kommunale Vorkaufsrecht wurde zuletzt durch Inkrafttreten des Baulandmobilisierungsgesetzes im Juni 2021 deutlich ausgeweitet. Im Zuge dessen wurden auch die §§ 24 ff. BauGB geändert, um Gemeinden die Ausübung ihrer Vorkaufsrechte zu erleichtern. Bisher konnten sie gemäß § 28 Abs. 3 BauGB nur dann auf den Verkehrswert abstellen, wenn der zwischen Verkäufer und Käufer vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“. Durch das Baulandmobilisierungsgesetz wurde diese Einschränkung gestrichen, sodass die Gemeinden im Ergebnis bei der Ausübung der Vorkaufsrechte stets „nur“ den Verkehrswert zahlen müssen. Als Verkehrswert gilt nicht automatisch der zwischen Verkäufer und Käufer vereinbarte Betrag. Dieser kann vielmehr von den Gemeinden bestimmt werden, wenn der Verkehrswert von dem vereinbarten Kaufpreis abweicht.
Von dieser Möglichkeit haben Gemeinden vermehrt Gebrauch gemacht. Zudem wurde die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts aus § 28 Abs. 2 BauGB von früher zwei auf nun drei Monate ab Mitteilung des Kaufvertrags erhöht.
Abwendungsvereinbarungen als eigentliches Ziel
Dabei ist es nicht unbedingt immer das Ziel, ein Vorkaufsrecht auch tatsächlich zu realisieren. Oft bieten die Gemeinden den Käufern eine Abwendungsvereinbarung an. Der Berliner Senat betont in seinem Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten sogar, vorrangiges Ziel sei der Abschluss einer Abwendungsvereinbarung (Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten):
Das bundesgesetzliche Instrument der Vorkaufsrechte dient nicht der Bodenbevorratung durch die Gemeinde. Vorrangiges Ziel ist daher nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern der Abschluss einer Abwendungsvereinbarung mit der Käuferin oder dem Käufer. Damit kann ohne Eigentumserwerb durch Berlin sichergestellt werden, dass die Veräußerung der Immobilie den Zielen der sozialen Erhaltungsverordnung nicht zuwiderläuft.
Mit den Abwendungsvereinbarungen werden dem Käufer Verhaltensregelungen auferlegt, um die in der Erhaltungssatzung enthaltenen Vorgaben langfristig sicherzustellen.
Entscheidung des BVerwG erteilt gängiger Praxis zu Vorkaufsrechten klare Absage
Allerdings könnten die Gemeinden nach der Entscheidung des BVerwG Schwierigkeiten bekommen, die bisher gängige Praxis der Ausübung des Vorkaufsrechts fortzusetzen. In großen Städten wie Berlin, München und Hamburg wird ein Vorkaufsrecht von den Gemeinden meist mit sogenannten Milieuschutzgründen begründet. Der Erwerb durch eine städteeigene Wohnungsbaugesellschaft soll dabei die erhaltungswidrige Entwicklung verhindern, die aus Sicht der Städte beim Kauf durch private gewinnorientierte Akteure zu befürchten sei. Es wird also auf eine zukünftige erhaltungswidrige Nutzung abgestellt, weswegen es nach Auffassung der Gemeinden auch nicht zu dem bereits oben erwähnten Ausschluss des Vorkaufsrechts nach § 26 Nr. 4 BauGB kommt.
Entsprechend war auch der nun vom BVerwG entschiedene Fall gelagert. Das zuständige Berliner Bezirksamt hatte befürchtet, dass der Käufer – eine Immobiliengesellschaft – eines im Gebiet einer Erhaltungssatzung gelegenen Mehrfamilienhauses die Bewohner des Gebäudes durch Aufwertung der Mietwohnungen und entsprechende Mieterhöhung oder durch Umwandlung in Wohnungseigentum verdrängen werde. Auf Grundlage dieser Befürchtung übte es zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft sein Vorkaufsrecht aus.
Das BVerwG stellte in seiner Entscheidung jetzt aber klar, dass es für die Bewertung, ob die Voraussetzungen des § 26 Nr. 4 BauGB vorliegen, allein auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht ankomme. Eine Prüfung, ob zukünftig von erhaltungswidrigen Nutzungsabsichten auszugehen ist, scheide daher aus. § 26 Nr. 4 BauGB sei auch auf Grundstücke anwendbar, die sich im Gebiet einer Erhaltungssatzung befinden.
Vorkaufsrechte dürften nur noch in Ausnahmefällen ausgeübt werden
Der Bestrebung der letzten Bundesregierung, das kommunale Vorkaufsrecht als Instrument zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in städtischen Ballungsgebieten weiter zu etablieren, dürfte die Entscheidung des BVerwG zunächst einen Riegel vorgeschoben haben. Vielmehr dürfte aus kommunaler Sicht die Gefahr bestehen, dass das Vorkaufsrecht in Zukunft wieder ein Schattendasein fristen wird. Denn die verbleibenden gesetzlich vorgesehenen Fälle, in denen Städten ein Vorkaufsrecht zusteht, dürften allesamt als Ausnahmetatbestände anzusehen sein. Gerade in den dicht bebauten Ballungsräumen, in denen das kommunale Vorkaufsrecht zuletzt seinen steilen Aufstieg gefeiert hatte, werden die in den §§ 24, 25 BauGB genannten Fälle regelmäßig nicht einschlägig sein.
Während Städte und Mieterverbände den Einschnitt in die Vorkaufsrechtspraxis als gravierende negative Einschränkung des kommunalen Handlungsspielraums sehen und eine entsprechende Änderung des BauGB fordern, ermöglicht er Eigentümern, Investoren, Projektentwicklern und Bauherren, das Risiko bestehender Vorkaufsrechte und ihrer Geltendmachung wesentlich besser einzuschätzen.
Weiterhin spannend: Share Deal kann ein gemeindliches Vorkaufsrecht auslösen
Ungeachtet dessen bleibt das Thema Vorkaufsrecht weiterhin spannend, jedenfalls im Kontext von Share Deals. So hat zuletzt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20. Mai 2021 – OVG S 46/20) grundsätzlich die Möglichkeit anerkannt, dass ein Share Deal ein gemeindliches Vorkaufsrecht auslösen kann, wenn er ein sog. Umgehungsgeschäft darstellt. Ein solches ist demnach nicht von vornherein ausgeschlossen, nur weil lediglich 89,9 % der Geschäftsanteile übertragen worden sind. Nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts komme es vielmehr auf eine wertende Betrachtung des Einzelfalles an.
Im Februar 2021 hat das Land Berlin dem Bundesrat den Entwurf eines „Vorkaufsrechtsstärkungsgesetzes“ zugeleitet. Nach dem Entwurf soll der Gemeinde auch bei vertraglichen Gestaltungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung dem Verkauf eines Grundstücks entsprechen, ein Vorkaufsrecht zustehen. Über den Entwurf wurde im Bundesrat noch nicht beraten.
Zudem hat sich als Reaktion auf das Urteil des BVerwG ein Großteil der Länder bei der Bauministerkonferenz bereits für eine Novellierung des BauGB ausgesprochen. Auch hat erneut der Berliner Senat in seiner Sitzung am 23. November 2021 eine entsprechende Bundesratsinitiative beschlossen.
Vorkaufsrecht auf der Agenda der neuen Ampel-Koalition
Auch der Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 scheint das Thema Vorkaufsrecht im Blick zu haben. So heißt es:
Wir werden prüfen, ob sich aus dem Urteil des BVerwG vom 9. November 2021 zum gemeindlichen Vorkaufsrecht in Gebieten einer Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung) gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt. Wir wollen die Bauforschung stärken.