Gebühren für Wasserdienstleistungen müssen kostendeckend sein, um die Ressource Wasser effizient zu nutzen – das schreibt die EU-Wasserrahmenrichtlinie vor. Deutschland legt diese Vorgabe eng aus und begünstigt damit vor allem die Industrie. Die Europäische Kommission hatte dies in einem Vertragsverletzungsverfahren gerügt, der EuGH gab Deutschland aber nun grundsätzlich Recht (Rs. C-525/12).
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wurde lange erwartet. Der EuGH hat nun im Einklang mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Jääskinen festgestellt, dass Deutschland nicht gegen die in Art. 9 EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) vorgesehene Verpflichtung zur Umlage von Kosten für Wasserdienstleistungen verstoßen hat.
Die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie
Nach Art. 9 WRRL müssen die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen berücksichtigen. Ihre Wassergebührenpolitik soll Anreize für Benutzer setzen, Wasserressourcen effizient zu nutzen und so zu den Umweltzielen der WRRL beitragen.
Zu den in Art. 2 Nr. 38 WRRL definierten Wasserdienstleistungen zählen die Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächen- und Grundwasser sowie die Sammlung und Behandlung von Abwässern.
Die Rüge der Europäischen Kommission
Die Europäische Kommission hatte gerügt, Deutschland lege den Begriff der Wasserdienstleistungen zu eng aus. Dadurch würden einige dieser Dienstleistungen zu Unrecht nicht dem Grundsatz der Kostendeckung unterworfen.
Dies betreffe vor allem die Aufstauung von Gewässern für Zwecke der Schifffahrt oder für Wasserkraftwerke und Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Die Bundesregierung hatte sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, dass zu den Wasserdienstleistungen nur die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung gehören.
EuGH: Kein Verstoß gegen Art. 9 WRRL
Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 11. September 2014 der pauschalen Rüge der Kommission eine Absage erteilt. Das Gericht erörtert zwar die Frage, ob zu den Wasserdienstleistungen nur die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung zählen oder ob dieser Begriff auch andere Maßnahmen, wie das Aufstauen von Gewässern umfasst.
Es beantwortet diese Frage aber letztlich nicht. Art. 9 WRRL verlange nämlich nicht, sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wassernutzung kostendeckend zu bepreisen.
Der Unionsgesetzgeber habe es vielmehr den Mitgliedstaaten überlassen, die Maßnahmen festzulegen, die zur Anwendung des Grundsatzes der Kostendeckung zu ergreifen sind. Er wollte die Bepreisung dieser Kosten zwar fördern, sie aber nicht auf alle Wasserdienstleistungen ausdehnen.
Die WRRL ziele nicht auf eine vollständige Harmonisierung der wasserrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten ab. Vielmehr müssten die Mitgliedstaaten in den eigens dafür vorgesehenen vorrangigen Maßnahmenprogrammen, die sich an den regionalen und lokalen Bedingungen orientierten, Instrumente zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen vorsehen.
Dabei müssten nicht alle in Art. 2 Nr. 38 WRRL aufgezählten Tätigkeiten, wie etwa die Wasserentnahme oder die Aufstauung von Gewässern, dem Grundsatz der Kostendeckung unterworfen werden.
Im Gegenteil erlaube es Art. 9 Abs. 4 WRRL den Mitgliedstaaten explizit, unter definierten Voraussetzungen bestimmte Wassernutzungen von der Kostendeckung auszunehmen, sofern dadurch die Verwirklichung der Ziele der WRRL nicht in Frage gestellt wird.
Der EuGH schließt zwar nicht aus, dass die in Art. 2 Nr. 38 WRRL aufgezählten Tätigkeiten die Erreichung der Ziele der WRRL gefährden. Das bedeute aber nicht, dass das Fehlen einer Bepreisung solcher Tätigkeiten der Zielverwirklichung in jedem Fall zwangsläufig abträglich sei. Allein der von der Kommission gerügte Umstand, dass Deutschland nicht alle dieser Tätigkeiten dem Grundsatz der Kostendeckung unterworfen habe, begründe jedenfalls keinen Verstoß gegen Art. 9 WRRL.
EuGH lässt den Mitgliedstaaten Spielraum
Das Urteil des EuGH ist zu begrüßen. Es lässt aber auch Fragen offen.
Der EuGH stellt zu Recht fest, dass sich die Entscheidung über das Ob und Wie der Bepreisung von Wasserdienstleistungen an den regionalen und lokalen Bedingungen in den Mitgliedstaaten orientieren muss. Art. 9 WRRL lässt der Wasserbewirtschaftung den notwendigen Spielraum zu entscheiden, mit welchen Mitteln die Ziele der Richtlinie erreicht werden sollen. Es gibt keine Verpflichtung, für sämtliche Wasserdienstleistungen Gebühren zu erheben, die auch deren umwelt- und ressourcenbezogene Kosten decken.
Der Industrie, den Energieerzeugern und der Binnenschifffahrt wird mit dem Urteil Luft verschafft. Neue Kosten drohen – neben den ohnehin bestehenden Abwasserabgaben und Wasserentnahmeentgelten – bis auf Weiteres nicht.
Auch die Flussgebietsgemeinschaften können aufatmen. Vorerst müssen sie die in Art. 5 und 9 WRRL vorgeschriebenen aufwendigen ökonomischen Analysen nicht erstellen, mit denen die aus den Wasserdienstleistungen resultierenden Kosten zu erfassen sind. Komplizierte Überlegungen etwa dazu, wie die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten des Ausbaus und der Unterhaltung der Binnenschifffahrt verursachergerecht umgelegt werden können, sind nicht erforderlich.
Begriff der Wasserdienstleistung nach wie vor ungeklärt
Doch eine abschließende Entscheidung ist mit dem Urteil des EuGH nicht getroffen. Eine Pflicht, bestimmte Gewässernutzungen gebührenpflichtig zu machen, könnte sich nämlich dann ergeben, wenn gerade das Fehlen kostendeckender Gebühren dazu führt, dass die Zwecke der WRRL und die Verwirklichung ihrer Ziele in Frage gestellt werden.
Dann würde sich auch die Frage stellen, wie weit der Begriff der Wasserdienstleistungen reicht. Damit musste sich der EuGH wegen der sehr allgemein gefassten Rüge der Kommission nicht befassen.
Endgültig ist die deutsche Wassergebührenpolitik deshalb noch nicht aus der Schusslinie geraten. Der EuGH hat aber bestätigt, dass den Mitgliedstaaten im Rahmen der Bewirtschaftungsplanung ein weites Ermessen zusteht, diejenigen Mittel auszuwählen, mit denen sie die Ziele der WRRL verfolgen. Dass diese Ziele nur dann richtlinienkonform gefördert werden können, wenn etwa Binnenschifffahrt oder Wasserkraftwerke mit zusätzlichen Gebühren belastet werden, wird sich kaum begründen lassen.