Koalitionsvertrag: Kein Bekenntnis zur digitalen Transformation der betrieblichen Mitbestimmung, erfreulich ist jedoch das Pilotprojekt der „Online-Betriebsratswahl“.
Welche Pläne die neue Ampel-Regierung für die betriebliche Mitbestimmung hat, wird im Koalitionsvertrag nur kurz umrissen. Danach sollen Betriebsräte* künftig selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten.
Wie Betriebsräte künftig zwischen analoger und digitaler Arbeit wählen können sollen und welche Änderungen angedacht sind, lassen die Koalitionspartner offen. Auch der Ablauf der Online-Betriebsratswahl in einem Pilotprojekt bleibt abzuwarten. Zugleich sollen Gewerkschaften einen digitalen Zugang zu den Betrieben erhalten, der ihren analogen Rechten entspricht.
Die Themen sind nicht neu, haben aber angesichts der Pandemie und der fortschreitenden Digitalisierung erheblich an Bedeutung gewonnen.
Online-Betriebsratswahl nicht im Frühjahr 2022
Angesichts der gegenwärtigen Pandemie wäre es wünschenswert gewesen, wenn die im Frühjahr 2022 anstehenden Betriebsratswahlen online hätten erfolgen können. Vorteil einer solchen Online-Betriebsratswahl wäre neben einer deutlichen Zeit- und Kostenersparnis auch eine höhere Wahlbeteiligung aufgrund der vereinfachten Teilnahme. Dies dürfte auch im Interesse der Betriebsräte sein.
Die erforderlichen Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes und vor allem der Wahlordnung bedürfen jedoch einer längeren Vorlaufzeit, sodass mit einer Online-Wahl bereits im Frühling nicht zu rechnen ist. Denn bei einer Online-Wahl sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Urteil v. 3. März 2009 – 2 BvC 3/07) zu beachten. Hiernach ist sicherzustellen, dass jeder Wähler seine Stimmabgabe nachvollziehen kann. Wähler dürfen nicht darauf verwiesen werden, auf die korrekte Ausführung der Technik zu vertrauen. Zum anderen ist sicherzustellen, dass eine Manipulation der Technik ausgeschlossen ist.
Immerhin ermöglicht § 1 der Wahlordnung nun virtuelle Wahlvorstandssitzungen. Dies erleichtert die Durchführung der anstehenden Betriebsratswahlen. Leider scheinen entsprechende Änderungen der Wahlordnungen für die Wahl der Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats nicht anzustehen, obwohl auch hier ein digitaleres Verfahren geboten wäre. Eine schriftliche Stimmabgabe unterliegt weiterhin relativ strengen Anforderungen. Gleichwohl ist sie derzeit möglich, soweit die Beschäftigten im Homeoffice arbeiten müssen.
Online-Betriebsratswahl begründet nur die Anfechtbarkeit
Ungeachtet der dargestellten Vorgaben führte ein Unternehmen bereits im Jahr 2016 eine Online-Betriebsratswahl durch. Nach der Ansicht des LAG Hamburg (Beschluss v. 15. Februar 2018 – 8 TaBV 5/17) begründete die Online-Stimmabgabe „nur“ die Anfechtbarkeit der Wahl, nicht aber die Nichtigkeit. Dies ist interessant. Denn unterbleibt eine fristgerechte Anfechtung innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses, hat die Wahl Bestand. Wird die Wahl erfolgreich angefochten, ist die Wahl zwar zu wiederholen. Die Anfechtung wirkt jedoch nur für die Zukunft, sodass alle bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes vom Betriebsrat vorgenommenen Rechtshandlungen gültig sind und bleiben (vgl. BAG, Beschluss v. 13. März 1991 – 7 ABR 5/90). Das Anfechtungsrisiko lässt sich verringern, soweit die maßgeblichen Anfechtungsberechtigten im Vorfeld eingebunden werden und einer Online-Wahl zustimmen.
Digitale Zugangswege für Gewerkschaften
Weitgehend ungeklärt ist der digitale Zugang zu Betrieben für Gewerkschaften. Derzeit führen sowohl die Zugangswege als auch deren Umfang häufig zu Konflikten. In Betracht kommen ein „digitales Schwarzes Brett“, die aktive Nutzung des betrieblichen Intranets oder sonstige Kollaborationstools. Solche Zugangswege erfordern jedoch häufig einen hohen Organisations- und Pflegeaufwand, der über den der analogen Zugangswege hinausgeht.
Erste Beispiele für die Vereinbarung digitaler Zugangswege
Ein Beispiel für einen digitalen Zugangsweg existiert bereits: Im Frühjahr 2021 vereinbarte die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie mit dem Arbeitgeberverband der Kautschukindustrie die Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht. Hiernach soll das herkömmliche Zugangsrecht in Abhängigkeit von der betrieblichen Situation auf folgenden Wegen ergänzt werden:
1. Die Möglichkeit der Veröffentlichung gewerkschaftlicher Informationen über betriebliche Informationssysteme (z.B. digitales Schwarzes Brett im betrieblichen Intranet).
2. Die Weiterleitung von gewerkschaftlichen Informationen über betriebliche digitale Informationssysteme (Mailinglisten).
3. Eine Zugangsmöglichkeit zu bzw. Nutzungsmöglichkeit von betrieblich eingerichteten Videokonferenzsystemen für gewerkschaftliche digitale Zusammenkünfte (Online-Sprechstunde, Online-VL-Sitzung).
4. Die Bereitstellung betrieblich bestehender Kommunikationswege für die direkte Ansprache und Information der Beschäftigten.
Datenschutz und die Weitergabe der E-Mail-Adressen
Das Bundesarbeitsgericht stellte im Jahr 2009 (Urteil v. 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08) zwar fest, dass die Nutzung betrieblicher E-Mail-Adressen durch Gewerkschaften zum Zwecke der Mitgliederwerbung und -information vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist und im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers selbst dann überwiegen kann, wenn die Werbung unaufgefordert erfolgt. Hier stellt sich jedoch die Frage der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Weitergabe der E-Mail-Adressen an die Gewerkschaften. Nach einem Rechtsgutachten von Professor Däubler für das gewerkschaftsnahe Hugo Sinzheimer Institut steht die Datenschutzgrundverordnung der Weitergabe nicht entgegen (Däubler, Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb, Band 41 der HSI-Schriftenreihe, S. 65ff.). Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte dies beurteilen.
Gerichtsverfahren zur Weitergabe der E-Mail-Adressen anhängig
In diesem Kontext ist das laufende Verfahren der IG BCE gegen Adidas interessant, in dem der Gewerkschaftsverband versucht, die Weitergabe der E-Mail-Adressen der Mitarbeitenden von Adidas zu erstreiten. Das Gericht äußerte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes.
Keine gesetzliche Regelung erforderlich
Die beiden Beispiele zeigen, dass die Kodifizierung des digitalen Zugangsrechts in vollem Gange ist und einer gesetzlichen Regelung nicht bedarf. Vorzugswürdig erscheint es, die Ausgestaltung den Sozialpartnern sowie der Rechtsprechung zu überlassen. Ein solches Vorgehen hat sich bereits im Falle der analogen Zugangsrechte bewährt. Denn so ist es möglich, die Umstände des Einzelfalls angemessen zu honorieren.
In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.