Video-Beurkundungen, digitale Hauptversammlungen und Dual Shares – der Koalitionsvertrag enthält wenige Impulse für Kapitalgesellschaften und Börsengänge.
Die Ampelparteien SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP kündigen in ihrem Koalitionsvertrag an, die Gründung von Gesellschaften zu erleichtern, indem die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts vorangetrieben und Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlaubt werden soll.
Erweiterung von Online-Beurkundungen auf Gründungen mit Sacheinlagen
Bei der Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie ist die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften in der Form einer GmbH und UG ab dem 1. August 2022 ohnehin schon gesetzlich vorgesehen, allerdings bisher nur gegen Bareinlage. Von der Möglichkeit, dies auf die AG zu erweitern, hat der deutsche Gesetzgeber leider keinen Gebrauch gemacht. Nun soll diese Art der Gründung auch gegen Sacheinlage möglich sein.
Die praktische Relevanz einer solchen Erweiterung ist gering. Gesellschaftsgründungen finden in der weit überwiegenden Zahl der Fälle gegen Bareinlage statt. Falls doch einmal andere Vermögenswerte eingebracht werden sollen, erfolgt dies meist als Sachagio, das heißt, neben der Bareinzahlung des Nominalbetrags der Anteile werden materielle oder immaterielle Vermögensgegenstände ohne weitere Erhöhung des Stammkapitals in die Rücklagen gebucht. Dies ist weniger aufwendig als eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage, die unter anderem die Erstellung eines Sachgründungsberichts über die Werthaltigkeit der Einlage erfordert.
Aus Praxissicht interessanter dürfte daher sein, auf welche weiteren Gesellschafterbeschlüsse die Möglichkeit der Online-Beurkundung künftig ausgeweitet werden wird. Bisher ist diese nur für Beschlüsse vorgesehen, die in engem Zusammenhang mit der Gründung stehen. Es wäre wünschenswert, dass künftig auch Beschlüsse über Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen und Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz auf diese Weise vereinfacht würden.
Im Aktienrecht und insbesondere bei börsennotierten Unternehmen gibt es weitere Gründe, warum Sachkapitalerhöhungen kaum stattfinden. Da es im Unterschied zu anderen Strukturmaßnahmen kein Spruchverfahren gibt, in dem eine unangemessene Bewertung der Sacheinlage gerichtlich überprüft werden kann, bleibt Aktionären nur die Erhebung der Anfechtungsklage gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss. Anders als bei einem Spruchverfahren wird damit die Durchführung der Kapitalerhöhung blockiert. Dies ist kein rechtstheoretisches Problem: Großvolumige Unternehmenskäufe werden in Deutschland dadurch behindert, dass das übernehmende Unternehmen als Gegenleistung nur unter erschwerten Bedingungen eigene Aktien anbieten kann und stattdessen den Kaufpreis in bar zahlen muss – mit entsprechenden Konsequenzen für die Verschuldung und Liquidität des Käufers.
Online-Hauptversammlungen sollen dauerhaft erleichtert werden
Die COVID-19-Pandemie hat den Gesetzgeber und die Aktiengesellschaften über die letzten knapp zwei Jahre gezwungen, die Durchführung virtueller Hauptversammlungen praktisch zu erproben. Das Konzept hat sich trotz teils berechtigter Kritik von Aktionärsvereinigungen bewährt. Folgerichtig kündigen die Ampelkoalitionäre an, Online-Hauptversammlungen dauerhaft zu ermöglichen und die Aktionärsrechte dabei „uneingeschränkt“ zu wahren.
Ob künftig auch rein virtuelle Hauptversammlungen möglich bleiben sollen oder ob damit nur hybride Hauptversammlungsmodelle gemeint sind, bei denen die virtuelle Teilnahme an der physisch durchgeführten Hauptversammlung gegenüber der Situation vor der Pandemie erleichtert wird, bleibt offen. Klar dürfte sein, dass die Aktionäre ihre Rechte künftig uneingeschränkt wahrnehmen können.
Dies erfordert es, dass sie auch bei einer virtuellen Teilnahme Fragen stellen, bei unbefriedigenden Antworten nachfragen und alle Anträge sowie andere Verfahrensrechte ebenso geltend machen können wie bei einer physischen Teilnahme.
Dual Class Shares: Ausgabe von Aktien mit unterschiedlichen Rechten
„Dual Class Shares“ ermöglichen es einem Unternehmen, Aktienklassen mit unterschiedlich ausgestalteten Aktienrechten auszugeben, sodass beispielsweise eine Aktienklasse über mehr Stimmen verfügt als eine andere. Somit können die Unternehmensgründer durch Kapitalerhöhungen in erheblichem Umfang Eigenkapital einsammeln, ohne die Stimmenmehrheit zu verlieren.
Die Gründer einiger der US-amerikanischen Internet-Giganten haben davon Gebrauch gemacht, beispielsweise Mark Zuckerberg bei Facebook sowie Larry Page und Sergey Brin bei Alphabet, nicht aber Elon Musk bei Tesla. In Deutschland war dies bisher nicht möglich. Es galt das Gebot „one share, one vote“. Die eng begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten, die das Aktienrecht bot, beispielsweise die Ausgabe von stimmberechtigten Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien oder die Gründung als KGaA, sind offensichtlich zu umständlich beziehungsweise mit Nachteilen für die Börsenbewertung verbunden.
Laut Koalitionsvertrag sollen künftig Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten ausgegeben werden können, um Börsengänge und Kapitalerhöhungen „gerade auch für Wachstumsunternehmen und KMUs“ zu erleichtern. Dadurch wird ein Wettbewerbsnachteil der deutschen Börsen, die bei Börsengängen stark mit ausländischen Handelsplätzen konkurrieren, eingeebnet. Der Gesetzgeber zielt vermutlich in erster Linie auf unterschiedliche Gestaltungen von Stimmrechten ab. Ob auch andere Aktienrechte wie der Dividendenanspruch von der Neugestaltung erfasst werden, bleibt abzuwarten.
Punktuelle Verbesserungen, aber (noch) kein großer Wurf
Gemessen an der Überschrift des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ ist die Ankündigung punktueller Änderungen im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht von einem großen Wurf weit entfernt.
Wenn die neue Bundesregierung es ernst meint mit der Förderung der deutschen Aktienkultur, sind weitere Änderungen notwendig. So wichtig beispielsweise Transparenz für den Anlegerschutz und die Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten ist, so kontraproduktiv sind Offenlegungen, die wegen ihrer Komplexität vom normalen Anleger kaum verstanden werden. Dies gilt beispielsweise für Stimmrechtsmitteilungen über wesentliche Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen oder auch für die immer komplexeren Berichte über die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat. Hier wäre ein Weniger an strikten, aber klaren Vorgaben häufig mehr.
In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.