1. Februar 2019
Brexit Haftung Lieferverzögerung
Brexit Commercial

Stau am Ärmelkanal – Supply Chain in Zeiten des Brexit

Nach einem möglichen harten Brexit drohen Lieferverzögerungen und Mehrkosten - Jetzt Lieferverträge auf Haftungsrisiken prüfen.

Mit der Abstimmungsniederlage von Theresa May steigt das Risiko, dass das Vereinigte Königreich die EU am 29. März 2019 um 23 Uhr britischer Zeit im Wege des harten Brexits verlässt. Wird keine Austrittsregelung vereinbart, entstehen mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Zollunion wieder Zollgrenzen.

Experten prognostizieren für den Fall eines harten Brexits lange Staus an den Häfen von Calais und Dover. Wer trägt bei Lieferverträgen das Risiko für durch den Brexit verursachte Verzögerungen und wie kann einer möglichen Haftung vorgebeugt werden?

Anwendbares Recht klären

Die Frage, wer für durch einen möglichen harten Brexit verursachte Verzögerungen und dadurch entstehende Mehrkosten haftet, richtet sich zunächst nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht. Sofern im Vertrag keine Rechtswahl getroffen wurde, gilt für Lieferverträge regelmäßig das Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen Sitz hat.

Vereinbarte Lieferbedingungen sind entscheidend

Bei Lieferverzögerungen in Folge eines harten Brexits sind sowohl nach englischem als auch nach deutschem Recht vorrangig die im Vertrag vereinbarten Lieferbedingungen entscheidend. Neben expliziten Regelungen zur Haftung für verspätete Lieferungen kommen dabei insbesondere im Vertrag vereinbarten Incoterms große Bedeutung zu:

Ist beispielsweise eine Lieferung Ex Works (EXW) oder Free Carrier (FCA) vereinbart, hat der Verkäufer die Ware lediglich am vereinbarten Ort zur Abholung bereitzustellen oder an den Frachtführer zu übergeben. Für den Transport der Ware und alle damit in Zusammenhang stehenden Kosten ist der Käufer verantwortlich, daher trägt er auch das Risiko von Verzögerungen. Sieht der Vertrag hingegen Delivery at Place (DAP) oder Delivery Duty Paid (DDP) vor, ist der Verkäufer für die komplette Lieferung bis zum vereinbarten Lieferort verantwortlich und haftet – sofern nichts anderes im Vertrag vereinbart wurde – entsprechend für alle Verzögerungen.

Etwas anderes kann gelten, wenn der Verkäufer nachweisen kann, dass er eine eingetretene Verspätung nicht zu vertreten hat, oder sonstige vertragliche oder gesetzliche Haftungserleichterungen greifen. Ist der Verkäufer für den Transport verantwortlich, muss er aber grundsätzlich jedenfalls vorhersehbare Verzögerungen einkalkulieren und die Lieferungen entsprechend organisieren.

Brexit im Regelfall wohl keine „Höhere Gewalt″

Ob sich der Verkäufer der DAP oder DDP liefert in Fällen von Brexit-bedingten Verzögerungen auf höhere Gewalt berufen kann und somit nicht haftet, erscheint zumindest fraglich, wenn der Vertrag nach dem 29. März 2017 abgeschlossen wurde. „Höhere Gewalt″ setzt nämlich regelmäßig voraus, dass ein Ereignis bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war, und von den Vertragsparteien auch nicht abgewendet werden konnte. Jedenfalls seit der Einreichung des offiziellen Austrittsgesuchs Großbritanniens vor knapp zwei Jahren war aber grundsätzlich vorhersehbar, das es ggf. auch zu einem harten Brexit kommen könnte.

Enthält der Liefervertrag eine – wirksame – Regelung, die festlegt, was in der Vertragsbeziehung als höhere Gewalt oder Force-Majeure gelten soll (in Verträgen nach englischem Recht häufig auch als hardship- oder material adverse change-Klausel bezeichnet), kommt es auf die konkrete Formulierung des Vertragstexts an, ob diese Raum für eine Anwendung auch auf einen harten Brexit bietet. „Klassische″ Force Majeure-Klauseln umfassen jedoch regelmäßig ebenfalls nur unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse, wie z.B. Kriege oder Naturkatastrophen. Sofern die konkrete Klausel keine anderweitigen Anhaltspunkte bietet, wird die Einstufung des Brexit als höhere Gewalt daher vermutlich ebenfalls zumindest an der bekannten zweijährigen Vorlaufzeit scheitern.

Ohne vertragliche Regelung haftet im Zweifel der Käufer

Sind

  • im Vertrag keine expliziten Regelungen zu den Verantwortlichkeiten der Parteien oder zum Leistungsort, insbesondere keine Incoterms, vereinbart und
  • ergibt sich hierzu auch nichts aus den sonstigen Umständen,

muss der Verkäufer nach deutschem Recht im Zweifel die Ware (nur) an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz zur Verfügung stellen. Grundsätzlich kann daher davon ausgegangen werden, dass der Käufer für den weiteren Transport zum Bestimmungsort verantwortlich ist. Dementsprechend haftet in diesen Fällen auch der Käufer für alle Verzögerungen, die beim Transport entstehen.

„Exit because of Brexit″ – Kündigungsmöglichkeiten

Wird ein bestehender Liefervertrag durch die Auswirkungen des Brexit für eine Partei praktisch nicht mehr durchführbar oder wirtschaftlich unrentabel, stellt sich die Frage, ob solche Verträge abgeändert oder aber vorzeitig beendet werden können. Hier sollte zunächst immer geprüft werden, ob im konkreten Fall vertraglich vereinbarte Kündigungsrechte bestehen.

„No (hard) Brexit″ als Geschäftsgrundlage?

Das deutsche Recht sieht zudem grundsätzlich die Möglichkeit vor, bestehende Verträge anzupassen oder – als ultima ratio – zu kündigen, wenn eine „Störungen der Geschäftsgrundlage″ vorliegt. Ob dies im Falle eines harten Brexit angenommen werden kann, ist allerdings ebenfalls fraglich.

Für eine Störung der Geschäftsgrundlage ist erforderlich, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändern und die Parteien den Vertrag nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Auch hier wird die relativ lange Umsetzungsfrist eher gegen eine Unvorhersehbarkeit eines harten Brexit sprechen. Hinzu kommt, dass bloße Erschwerungen der Lieferbedingungen zulasten einer Partei regelmäßig nicht ausreichen, um dieser eine Vertragsanpassung oder -aufhebung zu ermöglichen.

Ein Anpassungs- oder Kündigungsrecht wird man daher wohl allenfalls bei sehr langfristigen Lieferverträgen annehmen können, bei denen ein harter Brexit zu für eine Partei untragbaren (und nicht bloß wirtschaftlich nachteiligen) Auswirkungen führt.

Brexit Klauseln vereinbaren

Bei jetzt noch abzuschließenden Verträgen über Lieferungen nach dem 29. März 2019 empfiehlt es sich, die Verantwortung für Brexit-bedingte Mehrkosten und Verzögerungen durch die Vereinbarung entsprechender Lieferbedingungen klar zu regeln. Weiterhin können – je nach Interessenlage – auch Brexit-Klauseln erwogen werden, die eine Kündigung oder Preisanpassung bzw. die Weitergabe von Kosten ermöglichen, die durch die – bis jetzt noch unklaren – tatsächlichen Auswirkungen des Brexit entstehen.

Sofern die eigene Verhandlungsposition es erlaubt, kann es sich auch anbieten, bestehende Verträge um entsprechende Klauseln zu ergänzen. Eine Pauschallösung gibt es hierbei aufgrund der zahlreichen denkbaren Konstellationen nicht; vielmehr ist bei jedem Liefervertrag der konkrete Einzelfall zu betrachten.

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