EU und Vereinigtes Königreich schließen Handels- und Kooperationsabkommen, für Finanzmarktteilnehmer bleiben aber viele Fragen offen.
Kurz vor Ende der Brexit-Übergangsphase haben sich die EU und das Vereinigte Königreich nach zähen Verhandlungen auf ein Handels- und Kooperationsabkommen (das Trade and Cooperation Agreement – „Abkommen“) geeinigt. Das Abkommen trat zum 1. Januar 2021 in Kraft, bedarf aber noch der endgültigen Ratifizierung durch die EU-Mitgliedstaaten.
Keine besonderen Regelungen für den Finanzdienstleistungssektor
Wie bereits im Vorfeld abzusehen war, enthält das Abkommen keine besonderen Regelungen für den Finanzdienstleistungssektor, insbesondere keine Regelungen für den gegenseitigen Marktzugang bei Finanzdienstleistungen. Vielmehr wurde parallel zum Abkommen eine gemeinsame Vereinbarung getroffen (die Joint Declaration on Financial Services Regulatory Cooperation), u.a. mit dem Ziel, gemeinsame Strukturen zur Zusammenarbeit in Bezug auf Finanzdienstleistungen zu errichten. Dazu haben sich beide Seiten verpflichtet, bis Ende März 2021 in Form eines sog. Memorandum of Understanding (MoU) die Rahmenbedingungen für die weitere Zusammenarbeit auf regulatorischer und aufsichtstechnischer Ebene festzulegen. Es ist anzunehmen, dass ein solches MoU auf bestehenden Vereinbarungen, z.B. zwischen der britischen Financial Conduct Authority (FCA) und der European Securities and Markets Authority (ESMA) sowie der FCA und den nationalen Aufsichtsbehörden des EWR, aufsetzen wird. Allerdings ist in einem solchen MoU nur mit punktuellen Lösungen zu rechnen.
Die konkret für Finanzdienstleistungen geltenden Bestimmungen im Abkommen sind begrenzt. Enthalten ist lediglich eine allgemeine Pflicht, internationale Standards hinsichtlich Finanzmarktaufsicht, Geldwäscheprävention, Steuerhinterziehung und Anti-Terrorismus-Standards zu implementieren sowie der Gewährleistung des Zugangs ausländischer Unternehmen zu allen für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Selbstregulierungsgremien und zu öffentlichen Clearing- und Zahlungssystemen. Zudem soll das Abkommen grundsätzlich auch sämtliche neue Dienstleistungen abdecken, welche unter bestehenden Vorgaben erbracht werden können. Jedoch unterliegen diese Regelungen einer aufsichtsrechtlichen Ausnahme (dem sog. prudential carve-out), d.h. jede Seite darf aus „regulatorischen Gründen“ notwendige Vorkehrungen zum Verbraucher- und Anlegerschutz oder der Integrität ihres Finanzsystems treffen.
Daneben enthält das Abkommen allgemeine Bestimmungen für Investitionen und Dienstleistungen, worunter auch Finanzdienstleistungen fallen. Davon umfasst wird beispielsweise das Verbot, die Höhe ausländischer Unternehmensbeteiligungen zu begrenzen oder die Nationalität für das Management vorzuschreiben sowie die Verpflichtung zur Gleichstellung mit lokalen oder anderen ausländischen Unternehmen. Diese allgemeinen Bestimmungen stehen indes unter mehreren Vorbehalten. Insbesondere haben das Vereinigte Königreich und die EU Finanzdienstleistungen von dem Meistbegünstigungsprinzip ausgeschlossen, d.h. zukünftig einer anderen Jurisdiktion gewährte begünstigende Finanzdienstleistungskonditionen (z.B. hinsichtlich der Zulassung zum EU-Binnenmarkt) sind nicht auch auf die andere Partei des Abkommens zu übertragen, sowie sich das Recht vorbehalten, eine bestimmte Rechtsform für eine Finanzdienstleistungstochter festzulegen. Im Ergebnis untermauert das Abkommen damit eher bestehende Rechte, als dass es neue Möglichkeiten schafft.
Status Quo: Wegfall des EU-Passes als gravierendster Einschnitt für den Finanzmarkt
Mit Ende der Brexit-Übergangsphase ist das Vereinigte Königreich zum Drittstaat geworden. Dadurch entfällt für Banken, Finanzdienstleister, Zahlungsdienstleister und Kapitalverwaltungsgesellschaften, die ihren Sitz in UK haben und von der dortigen Finanzmarktaufsicht beaufsichtigt werden, die Möglichkeit, ihre Produkte und Dienstleistungen über den sog. EU-Pass in Deutschland (sowie den anderen EWR-Staaten) anzubieten. Unter dem EU-Pass kann jedes Institut, das in einem EWR-Staat eine Erlaubnis der dortigen Finanzmarktaufsicht besitzt, diese Erlaubnis in allen anderen EWR-Staaten nutzen, ohne dort jeweils eine eigene Erlaubnis beantragen zu müssen. Der Wegfall des EU-Passes ist somit der gravierendste Einschnitt, den der Brexit für den Finanzmarkt mit sich bringt.
Anders als mancher Finanzdienstleister aus dem Vereinigten Königreich vielleicht bis zu Letzt gehofft hatte, bestehen in Deutschland grundsätzlich weder Übergangsmaßnahmen für den Wegfall des EU-Passes, noch hat die BaFin verlautbaren lassen, entsprechende Allgemeinverfügungen (wie im Brexit-StBG ursprünglich vorgesehen) erlassen zu wollen. Vor diesem Hintergrund haben die allermeisten Finanzmarktteilnehmer, die von London aus Zugang zum europäischen Markt suchen, schon vor einiger Zeit eine entsprechende Erlaubnis in einem EWR-Staat beantragt. Bisher haben sich dem Bundesfinanzministerium zufolge 55 Banken und Finanzdienstleister um eine Erlaubnis in Deutschland bemüht, 54 der Anträge wurden genehmigt.
Wird dem Vereinigten Königreich Äquivalenz gewährt?
Weiterhin offen bleibt die Frage, ob und inwiefern dem Vereinigten Königreich Äquivalenz gewährt wird. Das Abkommen enthält hierzu keine weiteren Regelungen. Lediglich in der gemeinsamen Vereinbarung ist vorgesehen, dass beide Seiten Fragen der gegenseitigen Anerkennung weiterhin diskutieren wollen, ohne sich allerdings schon in irgendeine Richtung festzulegen. Bisher hat die EU-Kommission nur für einzelne als besonders relevant eingestufte Bereiche Äquivalenzentscheidungen getroffen, um den künftigen Marktzugang für Anbieter aus dem Vereinigten Königreich zu regeln. Dies gilt speziell für die Marktinfrastruktur. Hier hat die EU-Kommission für drei zentrale Gegenparteien (CCPs) aus dem Vereinigten Königreich eine Äquivalenzentscheidungen getroffen (befristet bis zum 30. Juni 2022), um deren Bedeutung für die Finanzmarktstabilität weiter prüfen zu können, sowie einem britischen Zentralverwahrer (CSD) vorläufige Gleichwertigkeit gewährt (bis zum 30. Juni 2021), um mehr Zeit für die Abwicklung des Handels zu erlauben. Diese Befristungen decken sich mit dem Wunsch der EU, das Euro-Clearing insgesamt in die EU zu verlagern. In anderen Bereichen wurden indes keine Äquivalenzentscheidungen getroffen, beispielsweise bei der Handelsplatzpflicht für Derivate (d.h. Handelsplätze im Vereinigten Königreich sind nunmehr Drittstaatenhandelsplätze, Geschäfte darauf sind OTC-Geschäfte).
Insofern hat sich die Verhandlungsposition der EU, nach der Zugang zum EU-Binnenmarkt nur durch bestehende Gleichwertigkeitsmechanismen gewährt werden könne, größtenteils durchgesetzt. Die EU-Kommission hat zudem verlautbaren lassen, dass sie „derzeit“ keine weiteren Entscheidungen hinsichtlich einer Gleichwertigkeit treffen wolle. Sie möchte zunächst abwarten, bis Klarheit darüber besteht, inwiefern das Vereinigte Königreich von den EU-Rahmenbedingungen abweichen wird. Auch die BaFin hat kürzlich entsprechende Skepsis hinsichtlich weiterer Äquivalenzentscheidungen geäußert. Daher sollten Marktteilnehmer nicht damit rechnen, dass sich kurzfristig weitere Marktzugangsmöglichkeiten für Anbieter aus dem Vereinigten Königreich eröffnen.