5. September 2022
Nordirland-Gesetz
Brexit

Britisches Oberhaus stimmt für umstrittenes Nordirland-Gesetz

Trotz Streit mit der EU ist die britische Regierung einen Schritt weiter bei der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzentwurfs des Nordirland-Protokollgesetzes.

Das britische Oberhaus hat in zweiter Lesung für ein umstrittenes Nordirland-Protokollgesetz gestimmt. Mit dem geplanten Gesetz sollen die Brexit-Abkommen zu Nordirland einseitig von der Regierung in London annulliert werden können. Die EU hat für diesen Fall Konsequenzen angedroht.

Protokoll regelt Sonderstatus von Nordirland als Teil des EU-Binnenmarktes und der europäischen Zollunion

Das Nordirland-Protokoll ist Teil des Brexit-Abkommens und regelt den Sonderstatus von Nordirland. Es sieht vor, dass Nordirland Teil des EU-Binnenmarktes und der Europäischen Zollunion bleibt. Damit sollten Warenkontrollen an der Grenze zum EU-Mitglied Irland verhindert werden, um den Konflikt zwischen Befürwortern* und Gegnern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands nicht neu zu entfachen.

Im Streit mit der EU über die Zollkontrollen an der Grenze zu Nordirland will die britische Regierung nun wesentliche Änderungen am Protokoll vornehmen. Die EU-Kommission lehnt Änderungen strikt ab und will stattdessen Lösungen im Rahmen des bestehenden Abkommens aushandeln.

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, das Nordirland-Protokoll zu umgehen

Der Gesetzentwurf sieht Erteilung einer Befugnis für die Minister vor, das Austrittsabkommen, das mit der EU am 1. Januar 2020 geschlossen wurde, einseitig außer Kraft zu setzen.

Der Gesetzentwurf befasst sich mit vier Bereichen, darunter auch mit der Frage, wie die Probleme in den Häfen an der Irischen See gelöst werden können. Das dürfte der wohl wichtigste Bereich sein, um eine Grenze zwischen Nordirland und dem übrigen Vereinigten Königreich durch die Irische See zu verhindern. Im Rahmen des Protokolls werden derzeit Waren kontrolliert, die aus Großbritannien nach Nordirland gelangen, wodurch eine umstrittene britische Binnenhandelsgrenze entsteht.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass für Waren, die für Nordirland bestimmt sind, „grüne Fahrspuren“ ohne Kontrollen genutzt werden, während Lkw, die Waren durch die Region über die offene Grenze in die Republik Irland bringen, auf der „roten Fahrspur“ kontrolliert werden sollen. Dies wird durch die Klausel 4 (Warenverkehr und Zoll) des Gesetzentwurfs gewährleistet, die verschiedene Teile von Art. 5 des Protokolls ausschließt, der den Zoll und den Warenverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und Nordirland betrifft.

Der Gesetzentwurf beendet auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für die Durchsetzung des Protokolls und des Austrittsabkommens; die britischen Gerichte wären jedoch weiterhin in der Lage, Fragen des EU-Rechts an den EuGH zu verweisen. Ein wichtiger Aspekt des Austrittsabkommens ist, dass es Mechanismen zur Durchsetzung sowohl des Abkommens im Allgemeinen als auch des Protokolls im Besonderen enthält. Dazu gehören verschiedene Überwachungs- und Streitbeilegungsfunktionen für EU-Institutionen sowie die Festlegung der Rolle des EuGH bei der Auslegung und Anwendung von EU-Recht, wenn dieses in das Protokoll und andere Teile des Austrittsabkommens aufgenommen wird.

Klausel 13 des Gesetzentwurfs schließt jede Bestimmung des Austrittsabkommens aus, die dem EuGH eine Zuständigkeit bei der Durchsetzung des Protokolls und der damit verbundenen Bestimmungen erteilen würde. Dies wird durch Klausel 20 des Gesetzentwurfs bekräftigt, die den „verbindlichen“ Status der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf das Protokoll und die damit zusammenhängenden Bestimmungen aufhebt und verhindert, dass der EuGH konsultiert wird (obwohl dies eine Anforderung des Protokolls ist).

Klausel 14 des Gesetzentwurfs hebt das Streitbeilegungsverfahren des Austrittsabkommens in Bezug auf Teile des Protokolls, die durch die Gesetzgebung außer Kraft gesetzt werden, im weiteren Sinne auf.

Der Gesetzentwurf würde auch verhindern, dass die EU die Kontrolle über staatliche Beihilfen und die Mehrwertsteuer in Nordirland ausübt. Klausel 17 erlaubt es den Ministern, Verordnungen zu erlassen, um „alle Bestimmungen“ über die Mehrwertsteuer, die Verbrauchsteuer oder jede andere Steuer zu erlassen, die die Minister „im Zusammenhang mit dem Nordirland-Protokoll für angemessen halten“.

Mit dem Gesetzentwurf wird auch ein duales Regulierungssystem eingeführt. Unternehmen, die ihre Produkte in Nordirland zum Verkauf anbieten, werden die Wahl haben, ob sie dies nach den Vorschriften des Vereinigten Königreichs oder nach denen der EU tun wollen, auch wenn diese Vorschriften im Laufe der Zeit voneinander abweichen werden.

Der Gesetzentwurf könnte gegen internationales Recht verstoßen

Die britische Regierung behauptet, dass die prounionistischen Politiker den mit Nordirland vereinbarten Brexit-Deal nicht akzeptieren, da sie die interne Handelsbarriere innerhalb ihres Landes in der Irischen See nicht hinnehmen wollen.

Darüber hinaus behauptet die britische Regierung, die Durchführung von Kontrollen durch die EU im Rahmen des Protokolls destabilisiere das Karfreitagsabkommen von 1998. Die EU hat dieses Argument zurückgewiesen, und die Mehrheit der im Mai dieses Jahres gewählten Mitglieder der nordirischen Regionalversammlung unterstützt die Beibehaltung des Protokolls.

Einige Stimmen vertreten jedoch die Ansicht, dass der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form internationales Recht bricht, da er gegen den Brexit-Vertrag verstoßen würde, der vor zwei Jahren mit der EU unterzeichnet wurde. Der Gesetzentwurf enthält außerdem die umstrittene Klausel 15, die den Ministern im Falle einer Verabschiedung des Entwurfs weitreichende Befugnisse einräumt, um andere Teile des Nordirland-Protokolls abzuschaffen oder zu ändern, wenn sie der Meinung sind, dass gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, wobei Art. 2 (Menschenrechte), Art. 3 (Reisefreiheit) und Art. 11 (Nord-Süd-Zusammenarbeit) die einzigen Bereiche sind, die ausgenommen sind.

Gesetz könnte noch 2022 in Kraft treten       

Der Gesetzentwurf befindet sich derzeit in der zweiten Lesung im Oberhaus, wo er drei weitere Phasen durchlaufen wird, bis er die königliche Zustimmung erhalten kann. Wenn der Entwurf nicht angefochten wird, könnte er noch in dieser Legislaturperiode die königliche Zustimmung erhalten, wenn das Oberhaus am 4. September 2022 aus der Sommerpause zurückkehrt.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Brexti Nordirland-Gesetz Nordirland-Protokoll