29. Januar 2019
Brexit Kartellverbot Missbrauchsverbot
Brexit

Kartellrechtliche Auswirkungen des Brexits –Teil 2: Kartellverbot und Missbrauchsverbot

Über die zu erwartenden Auswirkungen eines ungeregelten Brexits auf das Kartellverbot und das Missbrauchsverbot informieren wir im folgenden Beitrag.

Am 15. Januar 2019 hat das britische Parlament den Entwurf des Austrittsvertrages zwischen Großbritannien und der Europäischen Union abgelehnt. Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, das sogenannte „No-Deal-Szenario″, ist damit sehr wahrscheinlich geworden.

Nachdem wir uns im ersten Teil der Reihe mit den Auswirkungen des Brexits auf das Fusionskontrollrecht für laufende oder anstehende M&A-Transaktionen befasst haben, beleuchtet dieser Beitrag die wichtigsten Auswirkungen des Brexits auf das Kartellverbot und das Missbrauchsverbot.

I. Hintergrund: Bisherige Anwendung und Durchsetzung des Kartellrechts in der EU

Die Kartellrechtsanwendung in der Europäischen Union ist geprägt von dem Prinzip der Parallelität. Dies gilt sowohl für die Rechtsgrundlagen als auch für die Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten.

1. Europäisches und britisches Kartellrecht

Rechtsgrundlagen des EU-Kartellrechtes sind die unmittelbar anwendbaren Verbotsnormen des europäischen Primärrechtes in Art. 101 und Art. 102 AEUV. Zusätzlich besteht das EU-Kartellrecht aus weiteren Regelungen des europäischen Sekundärrechts. Von besonderer Bedeutung sind dabei die ebenfalls unmittelbar anwendbaren Gruppenfreistellungsverordnungen („GVOen″), die eine Ausnahme vom Kartellverbot für bestimmte Gruppen von Vereinbarung vorsehen, die den Tatbestand des Kartellverbotes erfüllen.

Neben den kartellrechtlichen Verbotsnormen der EU verfügt jeder EU-Mitgliedstaat über eigene kartellrechtliche Regelungen. Die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten wenden auf grenzüberschreitende Kartellverstöße regelmäßig das EU-Kartellrecht und das nationale Kartellrecht an. Für die isolierte Anwendung des mitgliedstaatlichen Kartellrechts verbleiben dann insbesondere rein nationale Sachverhalte. In Großbritannien enthält der Competition Act 1998 („Competition Act″) in Kapitel 1 (Kartellverbot) und Kapitel 2 (Missbrauchsverbot) die kartellrechtlichen Verbotsnormen, die den Verbotsnormen des EU-Kartellrechts nachgebildet sind. Die Gruppenfreistellungsvereinbarungen des europäischen Rechtes sind zudem ausdrücklich in Section 10 des Competition Act im britischen Recht verankert.

2. Durchsetzung des Kartellrechtes in der Europäischen Union

Seit dem Inkrafttreten der Kartellverfahrensverordnung VO (EG) 1/2003 ist auch die Durchsetzung des Kartellrechtes durchweg von einem System der parallelen Zuständigkeit geprägt. Für die Durchsetzung des EU-Kartellrechtes sind sowohl die Europäische Kommission als auch die nationalen Kartellbehörden zuständig (Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003).

Im Falle von Zuständigkeitskonflikten regelt Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003, dass eine nationale Kartellbehörde ihre Zuständigkeit für die Verfolgung von Kartellverstößen verliert, wenn die Europäische Kommission ein Verfahren in derselben Sache einleitet.

II. Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union

Sollte Großbritannien mit Ablauf des 29. März 2019 ungeregelt aus der Europäischen Union austreten, sind sämtliche Regelungen des EU-Rechts sofort nicht mehr anwendbar. Dies gilt selbstredend auch für alle Regelungen des EU Kartellrechtes. Großbritannien hat allerdings bereits früh betont, dass es – unabhängig von den Austrittsverhandlungen mit der EU – rechtliche Kontinuität sicherstellen will. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Großbritannien inzwischen eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen beschlossen oder jedenfalls vorbereitet.

Im Mittelpunkt der Bemühungen steht das britische Aufhebungsgesetz, der European Union (Withdrawal) Act 2018, („EU Withdrawal Act″) der am 26. Juni 2018 verabschiedet wurde. Der Regelungsmechanismus des EU Withdrawal Act sieht vor, dass zunächst pauschal (annähernd) alle europäischen Vorschriften, die am Austrittsstichtag existieren, als sogenanntes „retained EU law″ in das britische Recht überführt werden. In einem zweiten Schritt sollen dann die notwendigen Anpassungen (und Aufhebungen) im Wege von Rechtsverordnungen („Statutory Instruments″) vorgenommen werden. Inzwischen liegt auch der Entwurf einer Rechtsverordnung für das Kartellrecht vor, „The Competition (Amendment etc.) (EU Exit) Regulations 2019″ („Competition SI″). Aus dem Entwurf dieser Rechtsverordnung können bereits zahlreiche Schlussfolgerungen abgeleitet werden, die im Folgenden näher beleuchtet werden.

III. Künftige kartellrechtliche Beurteilung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen

Wenn Großbritannien ungeregelt aus der EU ausscheidet, führt dies zunächst dazu, dass das unternehmerische Verhalten – wenn es sich auf die EU und auf Großbritannien auswirkt – künftig einer Doppelkontrolle unterzogen wird, nämlich wie bisher nach dem Kartellrecht der Europäischen Union und zusätzlich nach dem Kartellrecht Großbritanniens.

Auch wenn sich die kartellrechtlichen Regelungen in Großbritannien aktuell nicht wesentlich von den europäischen unterscheiden, war bisher unklar, wie Großbritannien mit dem europäischen Sekundärrecht umgehen wird. In dem Entwurf der britischen Rechtsverordnung für das Kartellrecht ist das nun deutlich geregelt: Alle Gruppenfreistellungsverordnungen sollen unmittelbar Bestandteil des britischen Rechts werden (sog. „parallel exemptions″). Es sollen nur sprachliche Anpassungen vorgenommen werden, ohne dass sich an dem materiellen Gehalt etwas ändert (Schedule 3, Part 2 Competition SI).

Dies hat die erfreuliche Konsequenz, dass mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU zunächst keine gravierenden Änderungen an bisher bestehenden – und bspw. nach der Vertikal-GVO freigestellten – vertikalen Vereinbarungen wie bspw. Vertriebsverträgen vorgenommen werden müssen. Auch horizontale Kooperationen zwischen Wettbewerbern, die bspw. unter die Technologietransfer-GVO, die F&E-GVO oder die Spezialisierungs-GVO fallen, bleiben – auch in Großbritannien – weiterhin zulässig.

Inhaltlich wird sich daher jedenfalls kurzfristig an den kartellrechtlichen Regeln für Unternehmen nichts ändern. Daran ändert es auch nichts, dass die Mitteilungen und Bekanntmachungen der Europäischen Kommission, wie bspw. die Horizontalleitlinien, nicht unmittelbar übernommen werden. Als Auslegungshilfe dürften diese – aufgrund der bisherigen Parallelität des britischen und EU-Kartellrechts – auch nach einem Brexit weiterhin herangezogen werden. Mittelfristig ist jedoch ein Auseinanderdriften zwischen dem Kartellrecht der Europäischen Union und dem Kartellrecht Großbritanniens durchaus realistisch. Insbesondere kann künftig zu der Beurteilung von kartellrechtlichen Sachverhalten in Großbritannien auf – neue – Bekanntmachungen und Mitteilungen der Europäischen Kommission nicht mehr zurückgegriffen werden. Auch künftige Urteile der EU-Gerichtsbarkeit zur Auslegung des Kartellrechtes haben für britische Sachverhalte keine unmittelbare Wirkung mehr und können in Großbritannien lediglich als Argumentationshilfe verwendet werden.

IV. Auswirkungen des Brexits auf anstehende und laufende Kartellverfahren

Ein ungeregelter Brexit führt verfahrensrechtlich dazu, dass die Kartellverfahrensverordnung VO 01/2003 mit sofortiger Wirkung keine Anwendung mehr in Großbritannien finden wird (vgl. Schedule 3, Part 1 Competition SI). Damit fällt auch die Sperrwirkung von Art. 11 Abs. 6 VO 01/2003 ersatzlos weg.

1. Kartellrechtsdurchsetzung in der Europäischen Union

Wenige Auswirkungen wird dies auf die Durchsetzung des EU-Kartellrechtes in der Europäischen Union haben. Die Europäische Kommission wird auf Grundlage des Auswirkungsprinzips auch weiterhin für die Durchsetzung des EU-Kartellrechts zuständig bleiben, auch wenn der untersuchte Verstoß in Großbritannien begangen wurde. Nach dem Auswirkungsprinzip wendet die Europäische Kommission (und auch alle Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten) das EU-Kartellrecht auf alle Sachverhalte an, die sich auf ihr Gebiet auswirken. Lediglich für die Auswirkungen eines Kartellverstoßes auf Großbritannien verliert die Europäische Kommission ihre Zuständigkeit

Die Europäische Kommission würde allerdings bestimmte Verfahrensrechte gegenüber Unternehmen verlieren, die ausschließlich in Großbritannien vertreten sind. Hierzu zählt insbesondere die Möglichkeit zur Durchführung von Durchsuchungen in Großbritannien. Nach einem ungeregelten Brexit wären der Europäischen Kommission Durchsuchungsmaßnahmen in Großbritannien verwehrt.

2. Kartellrechtsdurchsetzung in Großbritannien

Für Großbritannien beurteilt sich die Sachlage demgegenüber anders. Aufgrund des Wegfalls der Sperrwirkung von Art. 11 Abs. 6 VO 01/2003 erlangt die britische Customer and Markets Authority („CMA″) am Austrittsstichtag die Zuständigkeit für den britischen Teil all derjenigen Verfahren, die bisher von der Europäischen Kommission geführt wurden. Die damit verbundenen Auswirkungen hängen von dem Verfahrensstand der bisherigen Kompressionsverfahren ab:

a) Abgeschlossene Kartellverfahren

Nach bisherigem Stand führt der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zu keinen Änderungen für Verfahren, die von der Europäischen Kommission bereits abgeschlossen wurden. Die CMA soll auch künftig nicht berechtigt sein, ein Verfahren für solche Verstöße einzuleiten, die bereits Gegenstand eines Verfahrens der Europäischen Kommission waren, das durch eine förmliche Entscheidung beendet wurde (Schedule 4 Part 3, Competition SI).

b) Laufende Kartellverfahren

Der Wegfall der Sperrwirkung aus Art. 11 Abs. 6 VO 01/2003 führt dazu, dass die CMA nach dem Austrittsstichtag jederzeit ein Bußgeldverfahren wegen eines Verstoßes gegen britisches Kartellrecht einleiten kann, unabhängig davon, ob der Sachverhalt bereits von der Europäischen Kommission untersucht wird oder nicht.

Dies birgt die Gefahr, dass Kartellrechtsverstöße in Europa künftig sowohl von der Europäischen Kommission als auch von der CMA verfolgt und bestraft werden. Ein Verbot von Doppelbestrafungen bzw. eine Berücksichtigung der jeweiligen Geldbußen der Europäischen Kommission und der CMA existiert in diesem Fall naturgemäß nicht.

Unternehmen, deren Verhalten aktuell von der Europäischen Kommission untersucht wird, müssen sich daher darauf einstellen, dass die CMA nach einem ungeregelten Brexit ebenfalls ein (zusätzliches) Bußgeldverfahren gegen sie einleiten wird, jedenfalls dann, wenn das untersuchte Verhalten spürbare Auswirkungen auf Großbritannien hat. Ob die CMA von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird, liegt in ihrem alleinigen Ermessen.

b) Umgang mit Markern und Kronzeugenanträgen

Ein bedeutendes Mittel der Kartellbekämpfung durch die Kartellbehörden sind Kronzeugenanträge bei der Europäischen Kommission. Unternehmen, die einen Kronzeugenantrag bei der Europäischen Kommission stellen, können dadurch eine teilweise oder vollständigen Bußgeldermäßigung erhalten.

Die Höhe der Ermäßigung hängt davon ab, welchen Rang der jeweilige Antragsteller einnimmt. Mit anderen Worten, ob das Unternehmen der erste Kronzeuge war oder nicht. Um einen möglichst hohen Rang zu sichern, reichen Unternehmen in der Praxis deshalb zunächst einen sogenannten Marker bei der Kartellbehörde ein, der die kartellrechtswidrige Tat nur oberflächlich beschreibt und einen – ausführlichen – Kronzeugenantrag ankündigt.

Das System von Markern und Kronzeugenanträgen richtet sich bereits heute nach dem mitgliedstaatlichen Recht oder – auf EU-Ebene – nach der entsprechenden Bekanntmachung der Europäischen Kommission. Ein ungeregelter Brexit hat hierauf grundsätzlich keine Auswirkungen, weil für Marker und Kronzeugenanträge bereits heute keine exklusive Zuständigkeit der Europäischen Kommission besteht. Insbesondere führt ein Kronzeugenantrag bei der Europäischen Kommission nicht dazu, dass ein entsprechender Rang bei den Kartellbehörden der Mitgliedstaaten gewahrt wird (kein „One-Stop-Shop-Prinzip″).

Dies führt dazu, dass Unternehmen im Falle von Kronzeugenerklärungen bereits heute Marker bzw. (Kurz-)Kronzeugenanträge bei allen in Betracht kommenden Kartellbehörden einreichen sollten. Für laufende Kartellverfahren der Europäischen Kommission sollten daher parallel entsprechende Anträge bereits bei der CMA gestellt sein. Sollte dies nicht der Fall sein, droht in dem Fall, dass die CMA nach einem ungeregelten Brexit ein Parallelverfahren aufnimmt, dass andere Unternehmen in der Reihenfolge der Kronzeugenanträge für das britische Kartellverfahren einen besseren Rang einnehmen.

V. Auswirkungen auf das Kartell- und Missbrauchsverbot gering aber zusätzliche Kartellverfahren durch CMA wahrscheinlich

Sollten die britischen kartellrechtlichen Regelungen für den Fall eines ungeregelten Brexits in der Form des aktuellen Entwurfs in Kraft treten, wird sich an den bisherigen kartellrechtlichen Regeln für Unternehmen zunächst wenig ändern. Dies gilt gleichermaßen für das Horizontalverhältnis, also die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, als auch für das Vertikalverhältnis, also die – vertragliche oder tatsächliche – Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Abnehmern. Sofern die jeweiligen Verhaltensweisen bereits vor dem Brexit kartellrechtlich zulässig sind, ändert hieran auch ein ungeregelter Brexit unmittelbar nichts. Mittelfristig ist jedoch ein Auseinanderdriften in der Auslegung der kartellrechtlichen Verbote zu befürchten.

Unmittelbare Auswirkungen hätte ein ungeregelter Brexit auf laufende Kartellverfahren. Während sich an der Durchsetzung durch die Europäische Kommission wenig ändert, müssen Kartelltäter befürchten, künftig zusätzlich durch die britische CMA untersucht und bestraft zu werden. In diesem Zusammenhang sollten Unternehmen sicherstellen, dass Kronzeugenanträge nicht nur bei der Europäischen Kommission gestellt wurden, sondern auch bei der britischen CMA.

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