Einigung beim Austrittsabkommen, eine weitere Fristverlängerung oder doch ein No Deal Brexit – es bleibt spannend!
Wie in der Presse ausführlich berichtet, haben die EU und das Vereinigte Königreich eine weitere Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist nach Artikel 50 Absatz 3 EU-Vertrag vereinbart – nunmehr bis zum 31. Oktober 2019. Angesichts der intensiven politischen Debatte im Vereinigten Königreich in den letzten drei Monaten wird dies für viele, die die Entwicklungen der letzten Zeit verfolgt haben, eine Erleichterung sein.
Die Fristverlängerung gibt auch den Unternehmen noch etwas Zeit, sich auf den Brexit vorzubereiten. Die Fragen bleiben allerdings: Wie wird der Brexit aussehen? Wird die Wirtschaft wieder mit der Gefahr konfrontiert, dass das Vereinigte Königreich am 31. Oktober 2019 ohne Austrittsabkommen aus der EU austritt, wenn dieses bis dahin nicht ratifiziert wurde? Oder könnte es auch im Oktober wieder auf eine Fristverlängerung hinauslaufen?
Die Details der Fristverlängerung
Die Bedingungen für die Fristverlängerung wurden in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich festgelegt. Hiernach muss das Vereinigte Königreich die Wahl zum Europäischen Parlament, die europaweit vom 23. bis zum 26. Mai stattfindet, abhalten – falls es bis dahin noch ein EU-Mitgliedstaat ist und das Austrittsabkommen noch nicht ratifiziert hat. Hält das Vereinigte Königreich in diesem Fall keine Wahlen ab, erfolgt der Austritt – dann ohne Abkommen – bereits am 1. Juni 2019. Ansonsten gilt: Wird das Austrittsabkommen vor dem 31. Oktober 2019 von dem Vereinigten Königreich und der EU ratifiziert, erfolgt der Austritt am ersten Tag des folgenden Monats.
Darüber hinaus hat das Vereinigte Königreich zugesagt, während des Verlängerungszeitraums – getreu seiner Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit – konstruktiv und verantwortungsbewusst zu handeln, und seine Verpflichtungen gegenüber der EU in einer Weise zu erfüllen, die seiner Situation als austretender Mitgliedstaat entspricht.
Vorgeschichte – die Diskussionen im Unterhaus
Kurz vor diesem Beschluss über die Fristverlängerung verabschiedete das britische Parlament in Rekordzeit den European Union (Withdrawal) Act 2019. Hierfür musste ein Regierungsmitglied einen Antrag an das Unterhaus stellen, der die Premierministerin aufforderte, eine Verlängerung der Frist nach Artikel 50 Absatz 3 EU-Vertrag bis mindestens zum 22. Mai 2019 zu beantragen. Das Gesetz trat in Kraft, nachdem es an einem Tag drei Abstimmungsrunden im Unterhaus und seinen Ausschüssen durchlaufen hatte, bevor es dann auf schnellstem Weg durch das Oberhaus geleitet und von der Queen am Abend des 8. Aprils 2019 unterzeichnet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte die britische Premierministerin bereits einen schriftlichen Antrag bei der EU eingereicht, in dem sie eine Verlängerung der Frist nach Artikel 50 Absatz 3 EU-Vertrag bis zum 30. Juni 2019 beantragt hatte.
Durch den European Union (Withdrawal) Act 2019 wird die Definition des „exit day″ im European Union (Withdrawal) Act 2018 nun an die verlängerte Frist angepasst, so dass nicht mehr jede Änderung des Datums des „exit day″ von Ober- und Unterhaus genehmigt werden muss. Dies bedeutet aber auch, dass die britische Regierung jeder künftigen weiteren Fristverlängerung und damit Verschiebung des „exit day″ zustimmen kann, ohne dass eine Zustimmung des Parlaments erforderlich ist.
Wahlen zum Europäischen Parlament
Das Vereinigte Königreich hat bestätigt, dass es sich – wie in den Schlussfolgerungen zur Fristverlängerung vorgesehen – auf die Wahlen zum europäischen Parlament vorbereiten wird. Hierfür wurde bereits ein entsprechendes Gesetz (The European Parliamentary Elections (Appointed Day of Poll) Order 2019) verabschiedet, das den Termin für die Wahl im Vereinigten Königreich auf den 23. Mai 2019 festlegt. Die Wahl könnte nur dann ausfallen, wenn vorher noch das Austrittsabkommen ratifiziert würde. Allerdings ist das britische Parlament im Moment wegen der Osterferien geschlossen und kehrt erst am 23. April 2019 zurück. Darüber hinaus tagt das Parlament traditionell nicht am Freitag, so dass bis zum 22. Mai 2019 nur 17 Sitzungstage verbleiben. Da eine politische Lösung für die Brexit-Krise derzeit nicht in Sicht ist, und es auch nicht absehbar ist, dass die Labour Party vor den EU-Wahlen eine konsensfähige Lösung vorschlagen wird, werden die Wahlen wohl sehr wahrscheinlich tatsächlich stattfinden.
Europawahl als Stimmungsbarometer
Die politische Debatte im Vereinigten Königreich dürfte sich also fortsetzen. Die britische Wahl zum EU-Parlament wird jedoch vielfach als „weiches″ Referendum behandelt, mit deren Ergebnis sich sowohl die Brexit-Befürworter als auch die Brexit-Gegner intensiv befassen werden, um festzustellen, wer aktuell die meiste Unterstützung genießt. Stand heute ist davon auszugehen, dass die Konservative Partei den Brexit weiterhin unterstützt. Es besteht aber weiterhin Unklarheit über die Position der Labour Party. Einige Kommentatoren sind der Meinung, dass eine deutlichere Unterstützung eines zweiten Referendums der Labour Party helfen würde, deren Stimmenanteil von Parteien mit einer klaren Position zu diesem Thema wie Change UK, den Liberaldemokraten, den Grünen und natürlich in Schottland der SNP, bedroht sein könnte.
No Deal Brexit – immer noch ein realistisches Szenario?
Die bedeutendste politische Entwicklung im Vereinigten Königreich in den letzten Monaten war sicher der Schritt des Unterhauses, an einigen Tagen die Kontrolle über die Tagesordnung zu übernehmen. Die Abgeordneten nutzten dies, um das oben dargestellte Gesetz zu verabschieden, das die Premierministerin verpflichtete, eine Verlängerung der Frist nach Artikel 50 Absatz 3 EU-Vertrag zu beantragen, um den No Deal Brexit zu vermeiden. Dies war ein aus verfassungsrechtlicher Sicht sehr gewagter Schritt, und die Abstimmungen im Unterhaus waren äußerst knapp.
Ob sich dieses Szenario im Oktober wiederholen könnte, um die Premierministerin aufzufordern, eine weitere Verlängerung zu beantragen, ist unklar. Berichten zufolge hat die britische Regierung jedoch bereits Beamte, die zuvor mit der Arbeit an den No Deal Brexit-Vorbereitungen beauftragt waren, in andere Abteilungen versetzt. Dies, zusammen mit der vom Unterhaus verabschiedeten Notstandsgesetzgebung und der Tatsache, dass die Premierministerin von sich aus um eine Verlängerung der Frist nach Artikel 50 Absatz 3 EU-Vertrag bat, deutet darauf hin, dass das Vereinigte Königreich vermeiden will, die EU ohne ein Abkommen zu verlassen. Darüber hinaus kann Theresa Mays Position als Vorsitzende der Konservativen Partei und damit auch als Premierministerin von ihrer Partei erst im Dezember angefochten werden.
Der grundsätzliche Wille für einen geordneten Austritt scheint also vorhanden zu sein – wie dieser aussehen soll, ist allerdings momentan noch offen und eine Annäherung zwischen den verschiedenen Lagern ist aktuell nicht absehbar. Über den Sommer müsste sich hier also noch einiges bewegen. Das Vereinigte Königreich sollte sich nicht darauf verlassen, notfalls noch eine weitere Fristverlängerung aushandeln zu können. Die EU hat auf der einen Seite sicherlich ein hohes wirtschaftliches und politisches Interesse an einem geordneten Brexit, um insbesondere die Situation in Irland nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite wird sie vom Vereinigten Königreich zumindest eine Weiterentwicklung der Diskussionen erwarten.