Der EU-Rat erteilt endgültige Zustimmung für wegweisenden Schutz geografischer Angaben in Handwerk und Industrie.
Schneidwaren aus Solingen oder Uhren aus Glashütte genießen in Deutschland besonderen Schutz: Nach der „Verordnung zum Schutz des Namens Solingen“ und der „Glashütte-Verordnung″ dürfen die Namen Solingen und Glashütte nur für solche Schneidwaren bzw. Uhren verwendet werden, die in diesen Herkunftsgebieten hergestellt wurden.
Auf europäischer Ebene gab es einen solchen Namensschutz für handwerkliche und gewerbliche Produkte bislang nicht. Dies wird sich nun ändern: Am 9. Oktober 2023 hat der Rat der Europäischen Union die schon länger geplante Verordnung über den Schutz von geografischen Angaben für handwerkliche und gewerbliche Erzeugnisse gebilligt. Die Verordnung, die Anfang 2024 in Kraft treten soll, gilt dann in allen Mitgliedstaaten unmittelbar. Sie schafft einen Rechtsrahmen, der gewerblichen Produkten mit spezifischer geografischer Herkunft wie Schneidwaren aus Albacete, Böhmisches Glas und Porzellan aus Limoges, Glas aus Murano oder Holzkunst aus dem Erzgebirge einen Schutzstatus verleiht, der mit dem Schutz regional erzeugter Lebensmittel oder Getränke vergleichbar ist.
Ziel ist es, das traditionelle Wissen der Handwerker* und Produzenten nicht nur in Europa, sondern weltweit zu erhalten und zu schützen. Die Maßnahme soll nicht nur den Schutz des geistigen Eigentums stärken, sondern auch die kulturelle Identität und Vielfalt innerhalb der Europäischen Union fördern.
Bestehendes Schutzsystem für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel
Die Bedeutung des Schutzes von geografischen Herkunftsangaben nimmt zu. Bisher genießen nur landwirtschaftliche Erzeugnisse und bestimmte Lebensmittel, wie etwa Allgäuer Bergkäse, Bayerisches Bier oder Thüringer Rostbratwurst durch die EU-Verordnung Nr. 1151/2012 einen europaweiten Schutz als geografische Herkunftsangabe.
Die geschützte geografische Angabe (g.g.A.) schützt den Namen eines Erzeugnisses, das sich auf ein bestimmtes geografisches Gebiet bezieht. Um in den Genuss dieses Schutzes zu kommen, müssen die Qualität, das Ansehen oder andere wesentliche Eigenschaften des Erzeugnisses überwiegend seinem geografischen Ursprung zu verdanken sein. Das bedeutet, dass mindestens eine der Produktionsstufen – Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung – im Ursprungsgebiet stattfinden muss. Erzeugnisse mit g.g.A. zeichnen sich somit durch eine besondere Eigenschaft oder ein besonderes Ansehen aus, das sie mit einer bestimmten Region verbindet. Eine g.g.A. wird auf Antrag nach zweistufiger Prüfung durch DPMA und EU-Kommission eingetragen. Geografische Herkunftsangaben dürfen nur für Produkte aus dem Herkunftsgebiet verwendet werden. Verstöße können zivil- und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt werden.
Ausweitung des Schutzes auf gewerbliche und handwerkliche Qualitätserzeugnisse
Der bislang bestehende Schutzmechanismus ist aber nur auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel ausgerichtet, nicht auf handwerkliche und industrielle Erzeugnisse. Daher hat sich die Europäische Kommission mit der Veröffentlichung des EU Action Plan IP im November 2020 zum Ziel gesetzt, den Schutz geografischer Angaben zu verbessern. Sie hat am 13. April 2022 einen Verordnungsentwurf vorgeschlagen, um den Schutz geografischer Angaben auf handwerkliche und industrielle Erzeugnisse auszudehnen. Der Entwurf ist einer der wichtigsten Vorschläge im Rahmen des Aktionsplans für geistiges Eigentum und orientiert sich an bestehenden Regelungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Nachdem sich das EU-Parlament mit dem Entwurf befasst hat, hat der Rat der Europäischen Union desn Rechtsakt am 9. Oktober 2023 angenommen.
Mit diesem Schritt kommt die EU ihren internationalen Verpflichtungen aus der Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben von 2015 nach. Dies ist ein von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) verwaltetes Abkommen, das die internationale Registrierung und den Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben ermöglicht. Dieses System gilt sowohl für landwirtschaftliche Erzeugnisse (wie Kaffee, Tee und Wein) als auch für handwerkliche und industrielle Produkte (wie Kaffee, Tee und Wein) sowie handwerkliche und industrielle Erzeugnisse (wie Töpferwaren, Glas und Stoffe).
Neue Verordnung soll im Wesentlichen an die bereits geschützten landwirtschaftlichen Erzeugnisse anknüpfen
Der Schutz der Herkunftsangabe soll sich auf Erzeugnisse erstrecken, die
entweder vollständig von Hand gefertigt wurden oder mithilfe von Handwerkzeugen oder digitalen Werkzeugen oder mechanischen Mitteln, vorausgesetzt, der unmittelbare manuelle Beitrag bildet den wichtigsten Bestandteil des Fertigerzeugnisses
oder
die standardisiert hergestellt werden, normalerweise serienmäßig und unter Verwendung von Maschinen
(vgl. Art 3 der Verordnung). Die neue Verordnung wird damit einen umfassenden Anwendungsbereich haben.
Geplant ist ein zweistufiger Eintragungsprozess, der auf nationaler Ebene beginnt und an das sich eine Prüfung der Anmeldung durch das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) anschließt. Die Mitgliedstaaten können entscheiden, ob sie eine nationale Registrierungsbehörde einrichten oder ob das EUIPO den gesamten Prozess übernimmt. Innerhalb eines Jahres müssen sie der Kommission und dem EUIPO mitteilen, welche national geschützten Produkte auch EU-weit registriert und geschützt werden sollen. Damit der Name eines handwerklichen oder industriellen Erzeugnisses als „geografische Angabe“ geschützt werden kann, muss das Erzeugnis aus
einem bestimmten Ort, einer bestimmten Region oder einem bestimmten Land
stammen. Ferner soll dessen
Qualität, Ansehen oder andere Merkmale (…) wesentlich auf diesen geografischen Ursprung zurückzuführen
sein und
wenigstens einer der Produktionsschritte des Erzeugnisses (…) in dem abgegrenzten geografischen Gebiet
erfolgen (vgl. Art 5 der Verordnung).
Die Verordnung dürfte den Schutz geografischer Angaben auf EU-Ebene erheblich erweitern. Der Erfolg hängt nun entscheidend davon ab, wie die Mitgliedstaaten die zweistufige Eintragung handhaben und welche konkreten Produkte letztendlich EU-weit registriert und geschützt werden. Die weitere Rechtsentwicklung in diesem Bereich bleibt spannend.
Mit dem EU Action Plan IP möchte die EU die Rechte des geistigen Eigentums auch in Zukunft gesichert wissen. In unserer Blog-Serie „EU Action Plan IP″ gehen wir auf die einzelnen Inhalte ein. In unserem Blog haben wir uns zudem mit dem Thema Schutzsiegel „geschützte geografische Angabe (g.g.A.)“ für das „Oktoberfestbier“ beschäftigt.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.