20. November 2025
Kartellrecht Kartellverbot
Kartellrecht Kompakt – Kompaktwissen zu Antitrust, Competition & Trade

Kartellrecht Kompakt #1 – Das Kartellverbot

Grundlagenwissen zum Kartellverbot – Rechtsfolgen, Tatbestandsmerkmale, Prüfungsreihenfolge. Kurz, kompakt, praxisorientiert.

In diesem ersten Teil unserer Blogserie „Kartellrecht Kompakt – Kompaktwissen zu Antitrust, Competition & Trade“ geht es um die wohl relevanteste Norm des EU- und des deutschen Kartellrechts: das Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB. 

Das Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB ist wohl die zentrale Norm des EU- und des deutschen Kartellrechts. Sie verbietet v.a. Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Die praktische Handhabung des Kartellverbots ist anspruchsvoll, seine Rechtsfolgen gravierend. Der folgende Beitrag soll Grundlagenwissen vermitteln.

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Ein Verstoß gegen das Kartellverbot kann für die Unternehmen und ggf. die handelnden Personen schwerwiegende Rechtsfolgen haben:

  • Zivilrechtliche Rechtsfolgen 

    Vereinbarungen, die gegen das Kartellverbot verstoßen, sind ex tunc nichtig, d.h., sie gelten von Anfang an als unwirksam.

    Die beteiligten Unternehmen können verpflichtet werden, die Störung zu beseitigen oder bei Wiederholungsgefahr zu unterlassen. Bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit können Schadensersatzansprüche gegen die beteiligten Unternehmen geltend gemacht werden

  • Bußgeldverfahren

    Der (vorsätzliche oder fahrlässige) Verstoß gegen das Kartellverbot ist eine Ordnungswidrigkeit, die die zuständigen Kartellbehörden (EU-Kommission bzw. Bundeskartellamt) bebußen können. Unternehmen können mit einem Bußgeld von bis zu 10 % des weltweiten Umsatzes im letzten Geschäftsjahr belegt werden. Die sog. wirtschaftliche Einheit wird als Maßstab genommen (dazu genauer unten) – es haftet also nicht nur die einzelne Gesellschaft, sondern die gesamte Gruppe (sog. Konzernhaftung). Das Bundeskartellamt kann auch gegen natürliche Personen ein Bußgeld von bis zu EUR 1 Mio. verhängen.

  • Verwaltungsverfahren: Die Kartellbehörden können auch verwaltungsrechtliche Maßnahmen ergreifen, z. B.
    • Abstellungsverfügungen: Untersagung oder Anordnung bestimmter Verhaltensweisen, ggf. auch einstweilig;
    • Feststellung beendeter Zuwiderhandlungen (wichtig für spätere Schadensersatzklagen);
    • Verpflichtungszusagen der Unternehmen können für verbindlich erklärt werden. Das verkürzt das Verfahren und hat in späteren Schadensersatzklagen Vorteile für die Unternehmen;
    • Anordnung einer Abschöpfung von Vorteilen, die durch den Kartellverstoß erlangt wurden;
    • Ausschluss von Vergabeverfahren: Kartellrechtsverstöße können im deutschen Recht die vergaberechtliche Eignung entfallen lassen.

    Der Verbotstatbestand

    Normadressat: Unternehmen (wirtschaftliche Einheit)

    Das Kartellverbot richtet sich v.a. an „Unternehmen“. Das ist „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.“ Beispielsweise können auch Einzelpersonen, eingetragene Vereine oder GbRs können Unternehmen sein.

    Maßgeblich ist die sog. wirtschaftliche Einheit. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Angehörigen dieser wirtschaftlichen Einheit (etwa zwischen Konzernmutter und Tochtergesellschaft) sind vom Kartellverbot grundsätzlich ausgenommen (sog. Konzernprivileg). Umgekehrt kann bei Zuwiderhandlungen einzelner Konzerngesellschaften die Konzernspitze bebußt werden und es kommt für die Bußgeldbemessung auf die gesamte Gruppe an (sog. Konzernhaftung). Eine wirtschaftliche Einheit liegt vor, 

    wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden.

    Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen 

    Das Kartellverbot erfasst v.a. Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen den Unternehmen. Das Gegenstück zu Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen sind einseitige Maßnahmen. Sie fallen ggf. in den Anwendungsbereich des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§§ 19, 20 GWB und Art. 102 AEUV).

    Eine Vereinbarung liegt schon dann vor, 

    wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.

    Die Vereinbarung kann z.B. schriftlich, mündlich, via E-Mail oder WhatsApp geschlossen werden. 

    Die Fallgruppe der abgestimmten Verhaltensweisen dient v.a. als Auffangtatbestand, um Schutzlücken in den Fällen zu vermeiden, in denen der Nachweis einer Vereinbarung nicht gelingt. Hauptanwendungsfall ist der Austausch wettbewerblich sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern.

    Horizontale oder vertikale Vereinbarungen

    Das Kartellverbot erfasst sowohl Vereinbarungen unter (tatsächlichen oder potenziellen) Wettbewerbern (horizontale Vereinbarungen, z.B. Vermarktungsvereinbarungen), als auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen operieren (vertikale Beschränkungen, z.B. Vertriebsverträge). 

    Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung

    Das Kartellverbot erfordert Wettbewerbsbeschränkung, die entweder bezweckt (restrictions of competiton by object) oder bewirkte (restrictions of competiton by effect) ist.

    Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liegt im Grundsatz vor, wenn die Beschränkung ihrer Natur nach und unabhängig von konkreten Auswirkungen eine spürbare Begrenzung des Wettbewerbs darstellt. Sie ist schon ihrer Natur nach schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs. Maßgeblich sind der Inhalt der Vereinbarung und die mit ihr verfolgten Ziele sowie ihr wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhang. Der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ist eng auszulegen. Beispiele sind Preiskartelle oder Marktaufteilungen zwischen Wettbewerbern. 

    Wenn eine Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung nicht bezweckt, mag eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegen. Es ist ein kontrafaktisches Szenario zu prüfen, d.h. es ist die Situation, die auf dem relevanten Markt mit den Beschränkungen besteht, mit der Situation zu vergleichen, die ohne die in der Vereinbarung vorgesehenen Beschränkungen bestehen würde. Bei diesem Vergleich müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf Preise, Produktionsmengen, Innovationen oder Bandbreite bzw. Qualität von Waren und Dienstleistungen erwartet werden können. 

    Der praktische Unterschied zwischen bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung liegt v.a. in der Darlegungslast: Weil eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung schon ihrer Art nach zu negativen Auswirkungen auf dem Markt führt, müssen die Kartellbehörden die negativen Auswirkungen der jeweiligen Vereinbarung im konkreten Fall nicht weiter darlegen.

    Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung

    Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Kartellverbots ist die sog. Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung: 

    • Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist stets spürbar.
    • Bei einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung kommt es darauf an, ob die beteiligten Unternehmen bestimmte Marktanteilsschwellen (bei horizontalen Vereinbarungen 10% gemeinsam, bei vertikalen jeweils 15 % individuell) nicht überschreiten und vom sog. safe harbour der De-minimis-Bekanntmachung profitieren.

    Freistellung vom Kartellverbot

    Generieren die wettbewerbsbeschränkenden und gegen das Kartellverbot verstoßenden Vereinbarungen objektive Effizienzgewinne, die die Wettbewerbsbeschränkung ausgleichen, so können sie unter weiteren Voraussetzungen von dem Kartellverbot „freigestellt“ werden. Sie sind dann (für den Zeitraum, in dem die Freistellungsvoraussetzungen vorliegen – insofern bedarf es einer kontinuierlichen Überwachung) nicht verboten und zulässig.

    Eine Freistellung kann einmal im Wege der Gruppenfreistellung über sog. Gruppenfreistellungsverordnungen erfolgen oder im Wege der Einzelfreistellung unter den Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV / § 2 Abs. 1 GWB

    Einzelfreistellung 

    Für eine Einzelfreistellung müssen kumulativ die nachfolgenden vier Voraussetzungen vorliegen. 

    1. Effizienzgewinne: Die Vereinbarung muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen (Kostensenkungen, neue Produkte, verbesserte Warenverteilung, usw.).
    2. Verbraucherbeteiligung: Die Verbraucher müssen an diesem Effizienzgewinn angemessen beteiligt werden, was erfordert, dass die Netto-Auswirkungen der Vereinbarung wenigstens neutral sind.
    3. Unerlässlichkeit: Die den beteiligten Unternehmen auferlegten Beschränkungen müssen unerlässlich für den Effizienzgewinn und die Beteiligung der Verbraucher daran sein, d.h. es darf keine andere wirtschaftlich machbare und weniger wettbewerbsbeschränkende Möglichkeit hierfür geben.
    4. Keine Ausschaltung wesentlichen Wettbewerbs: Die Maßnahme darf keine Möglichkeiten eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

    Gruppenfreistellungsverordnungen

    Die Prüfung dieser vier Voraussetzungen, die den Unternehmen obliegt (Selbsteinschätzung), ist von den Details des Sachverhalts stark abhängig, entsprechend zeitintensiv und komplex und daher mit Rechtsunsicherheit behaftet. Für eine erhebliche Rechtssicherheit sorgen demgegenüber die Gruppenfreistellungsverordnungen. Diese sind in ihren Voraussetzungen klarer (pauschaler – für eine „Gruppe von Vereinbarungen“) gefasst und können in der Regel einfacher geprüft werden als die Einzelfreistellung. Die Gruppenfreistellungsverordnungen haben im Wesentlichen vier Tatbestandsvoraussetzungen:

    1. Freistellungsreichweite (z.B. vertikale Vereinbarung oder Technologietransfer-Vereinbarung),
    2. Nicht-Überschreiten von Marktanteilsschwellen,
    3. Fehlen von Kernbeschränkungen in der Vereinbarung, d.h. besonders schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen (z.B. vertikale Preisbindung), 
    4. Nicht-Vorliegen einer nichtfreigestellten Beschränkung (z.B. bestimmte Wettbewerbsverbote).

    Gruppenfreistellungsverordnungen sind

    • die Vertikal-GVO (vertikale Vereinbarungen),
    • die TT-GVO (Technologietransfer-Vereinbarungen),
    • die Kfz-GVO (für den sog. Anschlussmarkt im Automobilsektor),
    • die F&E-GVO (Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen), und
    • die Spez-GVO (Spezialisierungsvereinbarungen).

    Hinweise zur Prüfungsreihenfolge in der Praxis

    Entgegen der gesetzlichen Systematik hat sich in der Praxis angesichts der Gruppenfreistellungsverordnungen mit ihren relativ klaren und zumeist belastbar nachprüfbaren Tatbestandsvoraussetzungen im Regelfall die folgende Prüfungsreihenfolge etabliert:

    1. Freistellung der eventuell wettbewerbswidrigen Klauseln der Vertikalvereinbarung nach einer Gruppenfreistellungsverordnung?
    2. Falls nein: Verwirklichung des Tatbestands des Kartellverbots?
    3. Falls ja: Einzelfreistellung?

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    Tags: Kartellrecht Kompakt Kartellverbot