Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung stellt eine Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts in Aussicht.
Sofern die Beschlussfassung einer Gesellschaft gegen formelles oder materielles Recht verstößt, führt dies indes nicht zwingend zur Nichtigkeit des Beschlusses. Vielmehr ordnen §§ 241 ff. AktG an, dass nur wenige, im Gesetz explizit genannte Rechtsverstöße die Nichtigkeit eines Beschlusses nach sich ziehen. Im Übrigen müssen Rechtsverstöße innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung mit einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden. Klageberechtigt ist u.a. jeder Aktionär. Wird die Klage rechtzeitig erhoben und liegt ein Rechtsfehler tatsächlich vor, erklärt das angerufene Gericht den Beschluss für unwirksam. Andernfalls erwächst der Beschluss in Bestandskraft.
Im Recht der GmbH werden §§ 241 ff. AktG in ständiger Rechtsprechung entsprechend, wenn auch mit geringfügigen Modifikationen angewandt. Für die Personengesellschaften hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) in den §§ 110 ff. HGB ein eigenes Beschlussmängelrecht geschaffen, das seit dem 1. Januar 2024 in Kraft ist. Auch hier gilt: Nicht jeder rechtswidrige Beschluss ist gleich nichtig, kann aber mit einer Klage angefochten werden.
Bereits seit längerer Zeit werden Rufe laut, auch das Beschlussmängelrecht der Kapitalgesellschaften zu reformieren. Diesem Ruf hat sich nunmehr die neue Bundesregierung angenommen und eine entsprechende Absicht im Koalitionsvertrag formuliert.

Wird die Kassationswirkung abgeschafft?
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es unter Rn. 2812-2814:
Wir reformieren das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht zur Stärkung der Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland und dämmen dabei Missbrauchsmöglichkeiten ein.
Wie die Koalitionäre eine „Stärkung der Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit“ anstreben wollen, hat die Fraktion von CDU und CSU bereits in der vergangenen Legislaturperiode zu erkennen gegeben. Seinerzeit noch in der Opposition, hatte sie in einem Entschließungsantrag gefordert, die Kassationswirkung abzuschaffen oder zumindest stark einzuschränken, die Verfahren zu beschleunigen und den Nichtigkeitstatbestand zu präzisieren (BT-Drs. 20/9734). Auch die Sachverständigen, die am 22. April 2024 hierzu im Rechtsausschuss gehört wurden, sprachen sich mehrheitlich für eine Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen aus. An die Stelle des geltenden „Alles- oder -Nichts-Prinzips“ solle eine Verhältnismäßigkeitsprüfung treten. Außerdem sollte das Freigabeverfahren durch ein neues Eilverfahren ersetzt werden (Link zur Anhörung).
Notwendigkeit einer Reform des Beschlussmängelrechts?
Sowohl der seinerzeitige Antrag der Unionsfraktion als auch die Ausführungen der Sachverständigen zielten mithin darauf ab, den Beschlussmängelklagen ihre Kassationswirkung zu entziehen. Zu bedenken ist Folgendes:
- Schon heute sind Aktionärsrechte in Deutschland eher schwach ausgeprägt. Anders als etwa in den USA oder in Frankreich können Aktionäre hierzulande ihre Rechte nicht im Wege der Sammelklage durchsetzen, sondern müssen individuell tätig werden. Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat ist Aktionären nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich (Klageerzwingungsverfahren, § 148 AktG). Die Beschlussmängelklage ist das schärfste Schwert, das einem Aktionär zusteht. Durch die Beseitigung der Kassationswirkung würde es erheblich abgestumpft.
- Überdies nehmen sämtliche Überlegungen zur Reform des Beschlussmängelrechts ausschließlich die börsennotierte Aktiengesellschaft in den Blick . Nach wie vor sind aber 99% der deutschen Aktiengesellschaften nicht an der Börse gelistet. Damit unterscheiden sich ihre Aktionäre sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrer Interessenslage erheblich von denjenigen einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Erst recht gilt dies für die Gesellschafter einer GmbH.
Freilich ist hiermit nicht gesagt, dass sich jegliche Überlegungen zu einer Reform des Beschlussmängelrechts und damit verbunden einer zumindest teilweisen Einschränkung der Kassationswirkung verbieten.
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass sich das Problem der sog. „räuberischen Aktionäre“, die insbesondere im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wichtige Hauptversammlungsbeschlüsse gerichtlich angriffen und damit deren Eintragung im Handelsregister verhindert hatten, schon seit geraumer Zeit erledigt hat. Spätestens mit dem Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie, das 2009 in Kraft trat, hatte der Gesetzgeber ihr „Geschäftsmodell“ verhindert; seither können Beschlüsse trotz anhängiger Anfechtungsklage in das Handelsregister eingetragen werden, wenn das zuständige Oberlandesgericht dies auf Antrag von Vorstand und Aufsichtsrat bestimmt.
Vor diesem Hintergrund kann mithin nicht gesagt werden, dass eine Abschaffung oder auch nur Eingrenzung der Kassationswirkung zwingend erforderlich wäre, um deutsche Aktiengesellschaften zu stärken oder gar in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Kollektiver statt individueller Aktionärsschutz?
Eine Reform des Beschlussmängelrechts könnte dahingehend gestaltet werden, dass die Individualrechte von Aktionären zugunsten von Kollektivrechten modifiziert werden. Denkbar wäre etwa, dass an Stelle der Beschlussmängelklage des einzelnen Aktionärs ein Verbandsklagerecht tritt, mit dem Aktionärsrechte durch eine unabhängige Stelle wahrgenommen werden.
Vorbild könnte insoweit die AGB-Verbandsklage der Verbraucherzentrale sein. Auf diesem Weg könnten nicht nur Mängel der Beschlussfassung, sondern auch eine pflichtwidrige Amtsführung der Organmitglieder geltend gemacht werden. Auch kann das Vertrauen der Anleger in die Rechtmäßigkeit der Führung börsennotierter Unternehmen und damit in die Kapitalmärkte verbessert werden.
Besonderheiten der „kleinen“ AG sowie der GmbH müssen berücksichtigt werden
All diese Überlegungen können jedoch von vornherein nur für die börsennotierte Aktiengesellschaft gelten. In der sog. „kleinen“ Aktiengesellschaft, die nicht auf einen unüberschaubaren Anlegerkreis ausgerichtet ist, gibt es für eine Aufhebung der Kassationswirkung oder eine anderweitige Beschränkung des Klagerechts überhaupt keine faktische Rechtfertigung. Hier muss es vielmehr jedem einzelnen der – häufig persönlich miteinander bekannten – Aktionäre möglich sein, seine Rechte vollumfänglich selbst wahrzunehmen und dabei auch Rechtsmängel eines Hauptversammlungsbeschlusses geltend zu machen. Dies gilt erst recht für die Gesellschafter einer GmbH, in der das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht weiterhin analog angewandt wird. Eine Abschaffung der Kassationswirkung würde den Minderheitenschutz in diesen Gesellschaften erheblich beeinträchtigen.
Eine Aktienreform muss ganzheitlich denken!
Die angekündigte Reform des Beschlussmängelrechts könnte als Anlass dienen, den Aktionärsschutz in Deutschland neu zu strukturieren. Eine Beschränkung von Individualrechten müsste mit einer gleichzeitigen Einführung von Kollektivrechten einhergehen. Zudem müssten die börsennotierte Aktiengesellschaft einerseits und die kleine AG sowie die GmbH andererseits separat beachtet werden. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber bei der angekündigten Reform eine ganzheitliche Betrachtungsweise an den Tag legt.
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